# taz.de -- Konservative Muslime gegen Eiferer: Aufruhr gegen Salafisten | |
> Die arabische Welt steht vor einer beispiellosen Konfrontation zwischen | |
> den islamisch-konservativen Parteien und den radikalen Religiösen. | |
Bild: In Tunis schützt das Militär die französische Botschaft vor Anhängern… | |
KAIRO taz | Wieder einmal feiern die Vertreter des Kampfes der Kulturen | |
Festtage – dieses Mal im Zusammenhang mit einem in den USA produzierten | |
Mohammed-Schmähvideo, französischen Karikaturen des Propheten und | |
gewalttätigen muslimischen Reaktionen. | |
Der Kampf der Kulturen wird gleichsam auf beiden Seiten propagiert, im | |
Orient von den Salafisten, im Okzident von christlichen Fundamentalisten | |
und manchen Konservativen. Von letzterer Seite wird gerne darauf verwiesen, | |
dass der Arabische Frühling lediglich zu einer Machtergreifung der | |
Islamisten geführt habe. | |
Aber das ist ein Trugbild. Denn statt des Kampfs der Kulturen zwischen | |
Orient und Okzident steht den Ländern des Arabischen Frühlings ein anderer, | |
ein interner Kulturkampf bevor. Die dortige Frontlinie in Ägypten, Libyen | |
und Tunesien verläuft dabei zwischen der Mehrheit der Gesellschaft und den | |
ultrakonservativen Salafisten. Diese Konfrontation zeichnet sich in allen | |
drei Ländern ab. | |
Deutlich wurde das an diesem Wochenende in Bengasi. Dort versammelten sich | |
Zehntausende zu einer „Rettet Bengasi“-Demonstration und entledigten sich | |
in Eigeninitiative der Plage der salafistischen Milizen. „Ich will einfach | |
diese Typen hier nicht mehr sehen, die mich, auf afghanische Art gekleidet, | |
anhalten und mir Befehle erteilen. Ich möchte hier Menschen in regulärer | |
Uniform“, sagte der Student Omar Muhammed. | |
## Milizen weichen „arabischen Wutbürgern“ | |
„Jetzt kommt der arabische Sommer“, wurde hoffnungsvoll aus Bengasi | |
getwittert. Es war eine neue Art „arabischer Wutbürger“, dem die gut | |
bewaffneten Milizen weichen mussten. Ob die diese Niederlage ohne Weiteres | |
akzeptieren werden, sei dahingestellt. Aber für den Konflikt | |
Mehrheitsgesellschaft gegen Salafisten könnten die Ereignisse | |
richtungsweisend sein. | |
Denn auch in Tunesien zeichnet sich eine härtere Gangart gegen die | |
Salafisten ab. Hatten diese noch vor einer Woche vor der US-Botschaft und | |
in der amerikanischen Schule gewütet, ließ ihnen die Polizei letzten | |
Freitag keinen Raum mehr. Rachid Ghannouchi, Chef der | |
islamisch-konservativen Regierungspartei Ennahda, erklärte die Salafisten | |
zu einer Gefahr für Sicherheit und Freiheit des Landes. | |
Der Vorfall zeigt, dass der Sammelbegriff „Islamisten“ ausgedient hat. Denn | |
der wird gleichermaßen auf islamisch-konservative Parteien wie auf die | |
ultrareligiösen Salafisten angewendet. In Tunesien und Ägypten hatten | |
westliche Beobachter einen „islamistischen Schulterschluss“ befürchtet. Nun | |
zeigt sich immer mehr, dass die Salafisten für die großen | |
islamisch-konservativen Parteien ein Problem darstellen und dass sie dieser | |
Konfrontation kaum mehr ausweichen können. | |
Das gilt auch für Ägypten, wo die regierende Muslimbruderschaft zwar noch | |
zögert, die Zeichen zwischen ihnen und den Salafisten aber auf Sturm | |
stehen. Der von den Muslimbrüdern stammende Präsident Mohammed Mursi kann | |
sich nicht einerseits staatsmännisch geben und anderseits zusehen, wie die | |
Salafisten versuchen, der Gesellschaft ihre mittelalterlichen Vorstellungen | |
aufzudrücken – mit rigider Kleiderordnung für Mann und Frau, der Scharia | |
als Gesetzesgrundlage und einem kompletten Alkoholverbot. | |
## Mohammed-Video aus den Tiefen des Internets | |
Es waren salafistische Fernsehkanäle, die vor zwei Wochen das | |
Mohammed-Video aus den Tiefen des Internets ausgruben und zu Protesten | |
aufriefen, was die ägyptischen Sicherheitskräfte zwei Wochen lang in Atem | |
hielt. | |
Zu Zeiten der Diktatur waren die Salafisten Spielball der Staatssicherheit. | |
In der neuen arabischen Welt kann und sollte man sie nicht wegsperren. | |
Erstmals muss man dieses Problem gesellschaftlich und politisch angehen. | |
Um die Salafisten zu isolieren, braucht es gerade die großen | |
islamisch-konservativen Parteien, seien es die Muslimbrüder in Ägypten oder | |
Ennahda in Tunesien, die die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung | |
genießen. Diese Gruppen müssen sich entscheiden, ob sie auf dem | |
salafistischen Auge blind bleiben wollen, aus Angst, einen Teil der | |
konservativen muslimischen Wählerschaft zu verlieren, oder ob sie gegen die | |
Salafisten vorgehen und sie politisch und gesellschaftlich isolieren. | |
Kommt das nicht bekannt vor? In gewisser Weise erinnert der Konflikt an die | |
konservativen Volksparteien in Europa und deren nicht immer einfachen | |
Umgang mit dem rechten Rand in der Politik. Das Gebot auf beiden Seiten | |
wäre es, gegen totalitäres, rassistisches oder religionsfeindliches | |
Gedankengut vor der eigenen Haustür zu kehren. Das wäre dann aber kein | |
Kampf der Kulturen, sondern ein Kampf der Kultur. | |
23 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
Karim El-Gawhary | |
## TAGS | |
Zehn Jahre Arabischer Frühling | |
Gefängnis | |
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