# taz.de -- Botschaftssturm in Libyen: Bewährungsprobe für die Regierung | |
> Viele sind entsetzt über den Sturm auf das US-Konsulat in Bengasi. Sie | |
> erwarten, dass gegen die Islamisten hart durchgegriffen wird. | |
Bild: Trauer in Libyen um den getöteten US-Botschafter Chris Stevens. | |
TRIPOLIS taz | Auf dem wackligen Handyvideo zerren junge Männer einen | |
ohnmächtigen Mann aus dem Fenster des verrauchten Sicherheitsraums des | |
amerikanischen Konsulats in Bengasi. „Er lebt noch! Wo ist der | |
Krankenwagen? Wo bleibt die Armee?“, hört man aufgeregte Stimmen | |
durcheinanderschreien. | |
Doch am 11. September hatte der libysche Staat schon Stunden zuvor | |
kapituliert und sich vor denen zurückgezogen, die das Konsulat angriffen. | |
Wie so häufig seit dem Ende der Revolution sind es ausschließlich mutige | |
Bürger, die aktiv gegen die Extremisten in Libyen vorgehen. Der neue | |
Sicherheitsapparat SSC gilt als von Islamisten unterwandert. | |
Es sind Jugendliche aus der Nachbarschaft, die sich in dem Chaos | |
schließlich ein Herz fassen und den mittlerweile leblosen Körper von | |
Botschafter Chris Stevens ins Krankenhaus fahren. Zu diesem Zeitpunkt sind | |
seine drei Leibwächter schon tot. | |
## Ein letzter Weckruf | |
„Dass gerade Stevens nun in in der Stadt ums Leben kam, in der die | |
Revolution begann, hat uns schockiert und aus die Hoffnung genommen, dass | |
alles schnell besser wird“, sagt der Journalist Osama Alfitory. „Die Tat | |
ist vielleicht ein letzter Weckruf. Es stellt sich die Frage, wer in Libyen | |
eigentlich an der Macht ist.“ | |
In Bengasi gab es um den 11. September keine Demonstrationen gegen das | |
Mohammed-Video. Praktisch ohne Vorankündigung wurde das US-Konsulat mit | |
schweren Waffen angegriffen. Viele Libyer gingen in den vergangenen Tagen | |
zu Solidaritätsbekundungen für Stevens auf die Straße, alle libyschen | |
Politiker verurteilten die Tat öffentlich. | |
Doch mit dem Mord an Stevens hat eine neue Phase begonnen. Während die | |
Salafisten der Ansar-Al-Scharia-Brigade aus Bengasi den Tod der vier | |
Amerikaner in Internetforen feiern, kündigt al-Qaida im Maghreb sogar | |
weitere Morde an US-Diplomaten in Nordafrika an. | |
## Die alten Phrasen | |
Vielen Libyern wird damit immer klarer, dass sich die Parlamentswahl vom | |
Juli als folgenlos erweisen könnte, falls der neue Regierungschef Mustafa | |
Abuschagur jetzt nicht hart durchgreift und die Extremisten entwaffnet. | |
Die Anführer von Ansar al-Islam bestreiten allerdings, mit dem Angriff | |
etwas zu tun zu haben. Deren Brigadekommandeur Mohammed al-Sahawi und | |
Scheich Nasser al-Tarschani geben dem Gaddafi-Geheimdienst die Schuld. | |
Parlamentspräsident Mohamed Jussef Margarief vermutet „ausländische Kräfte… | |
hinter der Tat, eine Phrase, die auch schon zu Gaddafis Zeiten häufig | |
herhalten musste. | |
Der Journalist Alfitory ging mit der neuen Regierung hart ins Gericht: „Die | |
50 bisher Festgenommenen sind wohl eher Plünderer, die Drahtzieher sind | |
noch frei. Das als Fahndungserfolg zu werten erinnert mich irgendwie an das | |
Vorgehen in alten Zeiten.“ | |
Nur die US-Luftwaffe ist nicht untätig. Am Dienstag wurde der Luftraum über | |
Ostlibyen geschlossen, um den Einsatz von Drohnen zu ermöglichen. Die | |
unbemannten, aber bewaffneten Flugzeuge werden schon seit mehreren Monaten | |
genutzt, um mehr Informationen über die islamistischen Gruppen zu erhalten. | |
Diese haben sich in den sogenannten grünen Bergen südlich von Tobruk und | |
Derna verschanzt. Zusammen mit Salafisten aus Algerien, Tunesien und | |
Deutschland trainieren sie in den abgelegenen Gebieten den Kampf gegen die | |
neue Regierung und den Westen. Von dort sind es nur zwei Stunden bis zum | |
US-Konsulat in Bengasi. | |
19 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
## TAGS | |
Schwerpunkt USA unter Donald Trump | |
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