# taz.de -- Radikale Prediger im Libanon: Salafisten im Aufwind | |
> Verunsicherte Sunniten wenden sich im Libanon zunehmend radikalen | |
> Predigern zu. Einer möchte nun eine Partei gründen und bei den Wahlen | |
> antreten. | |
Bild: Ahmed al-Assir predigt in Beirut. | |
TRIPOLIS taz | Tausende sind aus dem ganzen Land nach Tripolis im | |
Nordlibanon gekommen, um Ahmed al-Assir, einen aufstrebenden | |
Salafistenprediger, zu hören. Die Stuhlreihen sind bis zum Ende des Platzes | |
gefüllt. Vorwiegend junge Männer schauen gespannt zum Rednerpodium. | |
„Das nächste Mal sehen wir uns hoffentlich nach dem Fall Baschar al-Assads | |
in Syrien“, ruft al-Assir ins Mikrofon und hebt den Arm. Seine folgenden | |
Worte gehen in einem Sturm aus „Allah u akbar“-Rufen unter, viele reißt es | |
von den Sitzen. Seit Monaten macht er im ganzen Land Stimmung gegen Assad | |
und seinen libanesischen Verbündeten, die schiitische Hisbollah. | |
Al-Assir trägt das klassische lange Gewand und den buschigen Bart der | |
Salafisten. Diese „frommen Altvordern“ leiten ihre enge Auslegung des Islam | |
aus dem Geist der Zeit Mohammeds und seiner Gefährten sowie den beiden | |
darauffolgenden Generationen ab. Nur eine Minderheit sieht den „heiligen | |
Krieg“ als legitimes Mittel an, ihre Ziele zu erreichen. | |
„Scheich al-Assir hat Mut und er trifft sich mit dem Volk“, sagt Mohammed. | |
„Er ist der Einzige, der wirklich gegen Assad und Hisbollah aufsteht.“ | |
Sauber rasiert, in Jeans und weißem Polohemd, sieht Mohammed nicht aus wie | |
ein radikaler Islamist. Er wirkt fast deplatziert neben jenen, die schwarze | |
Stirnbänder und Fahnen mit dem islamischen Glaubensbekenntnis tragen. Doch | |
Mohammed gehört zu einer wachsenden Gruppe Libanesen, die sich an Leuten | |
wie al-Assir orientieren. | |
„Saad Hariri ist der Führer der Sunniten im Libanon. Aber er ist nicht | |
hier. Und währenddessen kann die Hisbollah tun, was sie will. Sie ist gut | |
bewaffnet“, fasst Mohammed die Gefühle vieler Sunniten zusammen. Der | |
Bürgerkrieg in Syrien hat direkte Auswirkungen auf die Politik des Landes, | |
in dem die Religionszugehörigkeit alles dominiert. Während die Hisbollah | |
Assad unterstützt, stehen die Sunniten auf der Seite der syrischen | |
Opposition. | |
## Verunsicherung als Nährboden | |
Hinzu kommt, das Saad Hariri, der politische Führer der Sunniten, außer | |
Landes weilt. Zum letzten Mal sorgte er nach einem Skiunfall in Frankreich | |
für Schlagzeilen. Die Verunsicherung der Sunniten ist der Nährboden für | |
radikale Salafisten wie al-Assir. | |
Während seines Auftritts in Tripolis wird jeder seiner Angriffe auf Assad | |
und Hisbollah mit Jubel begrüßt. Dass al-Assir gerade in Tripolis so viel | |
Zuspruch kriegt, zeigt, wie verunsichert die Sunniten sind. Hier kam es | |
wiederholt zu Kämpfen zwischen Sunniten und schiitischen Alawiten. | |
Auch der einflussreiche Prediger Salem al-Rafei erhält in letzter Zeit | |
verstärkt Zulauf. Al-Rafei lebte über zehn Jahre in Deutschland, bevor er | |
2005 ausgewiesen wurde. Als Prediger der Al-Nur-Moschee in Berlin rief er | |
laut Staatsanwaltschaft zum Dschihad auf. | |
Gegenüber der taz gab er jetzt bekannt, dass er für die Parlamentswahlen im | |
Juni 2013 erstmals eine salafistische Partei im Libanon gründen will. „Es | |
gibt jetzt Freiheit in der arabischen Welt, keine Diktatoren mehr, die uns | |
unterdrücken. Das wollen wir nutzen“, sagt al-Rafei. Die Revolutionen in | |
Ägypten, Tunesien und Libyen haben zunächst zu einer Stärkung | |
salafistischer Gruppen geführt, wobei jene Ägypten inzwischen tief | |
zerstritten sind. Im Libanon ist die neue Partei vor allem eine | |
Herausforderung für Saad Hariri und seine Zukunftsbewegung. | |
## Salafisten als Medienphänomen | |
„Prediger wie al-Rafei meinen, sie müssten den Menschen den Weg zum Islam | |
zeigen“, sagt Moustafa Alloush, Mitglied der Hariri-Partei in Tripolis. | |
„Aber wir haben keine Angst vor ihnen.“ Für Alloush sind die Salafisten | |
nicht mehr als ein Medienphänomen. | |
Er glaubt, dass die Sunniten im Libanon Extremismus ablehnen. „Jene, die | |
solchen Predigern folgen, haben in unserer Partei sowieso nichts zu | |
suchen“, so Alloush. Seine einzige Sorge ist die finanzielle Unterstützung, | |
die Prediger wie al-Assir und al-Rafei aus den Golfstaaten bekommen. Im | |
Libanon haben Parteiloyalitäten oftmals eine materielle Komponente. | |
Doch allzu besorgt ist Alloush dennoch nicht. „Die gewachsenen Strukturen | |
der Zukunftsbewegung sind unser Rückgrat und nicht Saad Hariri. Ich glaube | |
nicht, dass es ein Nachteil ist, wenn Leute wie al-Rafei in die Politik | |
wollen. Dann müssen sie gleichzeitig auch transparenter werden und sich den | |
Fragen der Wähler stellen.“ | |
7 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Raphael Thelen | |
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