| # taz.de -- Libyen nach dem Botschaftssturm: Bürgeraufstand gegen Extremisten | |
| > Die Menschen wollen sich ihre Revolution gegen Gaddafi nicht von | |
| > Salafisten zerstören lassen. Im libyschen Bengasi stürmen Demonstranten | |
| > deren Kasernen. | |
| Bild: Noch verläuft die Demonstration friedlich: Protestierende am Wochenende … | |
| TRIPOLIS taz | Nach den dramatischen Ereignissen der letzten Tage hat die | |
| libysche Regierung am Sonntag beschlossen, alle illegalen Milizen zu | |
| verbieten. Ab sofort sind nur noch dem Verteidigungsministerium | |
| unterstellte Einheiten berechtigt, Waffen zu tragen. | |
| In der Nacht zum Sonntag haben bereits die islamistischen | |
| Ansar-al-Scharia-Miliz und die Abu-Salim-Einheiten ihre Militärbasen in | |
| Derna östlich von Bengasi geräumt. Seit dem Attentat auf den amerikanischen | |
| Botschafter Chris Stevens vor knapp zwei Wochen forderten mehrere | |
| Bürgerinitiativen in der Hafenstadt wie auch im benachbarten Bengasi ein | |
| Ende der eigenmächtig agierenden Brigaden. Dernas Bürger kämpfen schon seit | |
| Längerem gegen den Ruf ihrer Stadt als islamistische Hochburg. | |
| Die von der ehemaligen libyschen Armee übernommenen Islamisten-Kaserne in | |
| der Stadt stehen nun leer, staunende Passanten schauen sich neugierig auf | |
| dem Gelände um, das jetzt von Nachbarschaftskomitees bewacht wird. Als am | |
| Freitagabend in Bengasi ein großer friedliche Protestzug die 3.000 | |
| aufgebotenen Salafisten-Demonstranten im Stadtzentrum ohne Zwischenfälle | |
| zur Seite drängte, sah es nach einem unerwartet friedlichem Abend aus. | |
| Familien, Luftballons und Sprechchöre gegen Extremismus bestimmten das | |
| Bild. | |
| Später – Kinder und Frauen waren da längst zu Hause – zogen die | |
| Demonstranten zur Militärbasis. Jugendliche kletterten über die Tore und | |
| öffnete sie. Bewaffnete Militärpolizisten mit ihren Jeeps fuhren auf das | |
| Gelände. „Es war wie eine zweite Revolution“, rief deren Kommandeur Ben | |
| Aisa. „Nach Gaddafis Willkür konnten wir das Verhalten der Milizen nicht | |
| mehr ertragen und haben uns dem Protest angeschlossen.“ | |
| Die 300 Ansar-al-Scharia-Kämpfer entsicherten ihre Maschinengewehre und | |
| schossen in die Luft. Doch immer mehr unbewaffnete Demonstranten strömten | |
| auf das Gelände. Die Milizionäre hätten zur Verteidigung ihres | |
| Hauptquartieres ein Massaker anrichten müssen. So zogen sie sich friedlich | |
| zurück. | |
| ## Schießen, ohne zu zögern | |
| Die Menge zündete Autos und Büros an und zog zu einer weiteren Kaserne. | |
| Männer aus der unter dem Kommando der Verteidigungsministeriums stehenden | |
| Rafallah-al-Sehati-Miliz schossen, ohne zu zögern, auf die Demonstranten. | |
| Diese holten Waffen aus ihren Wagen und eroberten die Kaserne. 11 Tote und | |
| über 20 Verletzte zählten die Krankenhäuser in Bengasi, 50 Gefangene wurden | |
| von den „Rettet Bengasi“-Initiatoren befreit. Der Verteidigungsminister | |
| kritisierte die Demonstranten für den Sturm auf die zweite Kaserne, schwieg | |
| aber zu den Vorwürfen gegen die Rafallah al-Sehati-Milizionäre. | |
| Mohammed al-Magarief, Chef des neu gewählten Nationalkongresses, hat mit | |
| seiner Ankündigung, das Gewaltmonopol des Staates endlich durchzusetzen, | |
| das umgesetzt, was die Bürger Bengasis zuvor mit viel Wut und | |
| Eigeninitiative gefordert hatten. | |
| ## Bewachung an den Krankenhäusern | |
| „Der Mord an dem Botschafter war der Höhepunkt einer Reihe von Attentaten, | |
| für die wir verschiedene islamistische Brigaden verantwortlich machen“, | |
| sagt Ladenbesitzer Mohammed. In den letzten Wochen wurden 14 zur Revolution | |
| übergelaufene Armeeoffiziere auf offener Straße kaltblütig umgebracht, der | |
| Konvoi des britischen Botschafters beschossen, das Gebäude des Roten | |
| Kreuzes angegriffen und Salafisten aus dem Gefängnis befreit. | |
| Die Freiwilligen von Ansar-al-Islam bewachten bis zum Sonntag sogar die | |
| beiden wichtigsten Krankenhäuser der Stadt. Willkürliche Verhaftungen, ihre | |
| Drohungen gegen Friseur- und Modeläden und ihr Boykott der Wahlen haben den | |
| Ruf der Salafisten in Bengasi ruiniert. | |
| „Rettet Bengasi“-Mitinitiatorin Hana al-Galal ist stolz auf die | |
| Mobilisierung von über 30.000 Bürger. „Bengasi hat geliefert, jetzt ist der | |
| Staat an der Reihe“, wiederholt sie die Forderungen auf den Plakaten, „die | |
| Freiheit lassen wir uns von niemandem mehr nehmen“. – „Ich bin Libyer und | |
| lehne den Mord an Botschafter Chris Stevens ab“, stand auf vielen selbst | |
| gemalten Schildern. | |
| Am Samstag wurden im Stadtteil Gawasha sechs Leichen gefunden. Ihre Hände | |
| waren hinter dem Rücken zusammengebunden worden, sie waren aus nächster | |
| Nähe erschossen worden. Es sind Soldaten der neuen libyschen Armee, die | |
| sich mit den Demonstranten solidarisiert hatten. | |
| 23 Sep 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Mirco Keilberth | |
| ## TAGS | |
| Libyen | |
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