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# taz.de -- Libyen weiterhin ohne Regierung: Sicherheitslage wird schlechter
> Das Parlament entlässt Ministerpräsident Abushargur und lehnt sein
> Kabinett ab. Die Krise geht einher mit einer drastisch verschlechterten
> Sicherheitslage.
Bild: Vom Nationalkongress in Tripolis abgesetzt: Ministerpräsident Musafa Abu…
TRIPOLIS taz | Libyen bleibt ein Jahr nach dem Ende der letzten Kämpfe
gegen die ehemaligen Regimetruppen und drei Monate nach den erfolgreichen
Wahlen weiterhin ohne demokratisch legitimierte Regierung. In einer
dramatischen Abstimmung entzog der libysche Nationalkongress, das
Parlament, Ministerpräsident Mustafa Abushagur am Sonntag das Mandat zur
Regierungsbildung und setzte ihn ab. 125 Kongressabgeordnete stimmten gegen
und 44 für ihn.
Die Regierungsgeschäfte übernimmt Übergangspremier Abdulrahim al-Kib, der
in letzter Zeit kaum noch in Erscheinung getreten war. Noch ist unklar, mit
welchen Verfahren ein neuer Ministerpräsident gewählt werden wird.
Gut informierte Kreise im Nationalkongress sprechen gegenüber der taz von
mindestens vier Wochen, die für eine Neuwahl notwendig seien.
Abushagur stellte während seiner vier Wochen im Amt eine Liste von 29
Ministern auf, die unter lautstarkem Protest vieler Kongressabgeordneten am
vergangenen Freitag zurückgewiesen worden war. Einige zerrissen sie vor
Abushagurs Augen.
Die Vorwürfe gehen in alle Richtungen. Abushagur habe sich mit der
säkularen Parteiallianz des ehemaligen Regierungschefs Mustafa Dschibril
und den Unabhängigen nicht abgesprochen, unbekannte Technokraten und sogar
fünf persönliche Freunde aufgestellt. Die Muslimbrüder begründeten ihre
Ablehnung damit, dass mehrere Gaddafi-Loyalisten auf der Liste stünden.
Parallel zu dem Scheitern der Regierungsbildung drohen mehrere bewaffnete
Konflikte, womit sich die Sicherheitslage weiter verschlechtert. Im antiken
Soussa bei Bengasi, im Osten des Landes belagern Regierungstruppen 150
Islamisten der Ansar-al-Scharia-Miliz, die für den Angriff auf die
US-Botschaft vom 11. September verantwortlich gemacht wird.
## Mörder wird geschützt
In Beni Walid südlich von Tripolis weigern sich Gaddafi-Loyalisten, die
Mörder von Omar Shamran auszuliefern, der Muammar al-Gaddafi vergangenes
Jahr in seinem Versteck entdeckte. Shamran starb an den Verletzungen, die
er während seiner Entführung nach Beni Walid erlitten hatte.
Nun fordern Revolutionäre landesweit von der Armee, die Stadt zu stürmen.
Ägypten evakuierte am Sonntag vorsorglich 1.000 Landsleute aus der Region.
Angesichts dieser Krise versuchte Abushagur am Sonntagabend, eine
zehnköpfige Notstandsregierung aufzustellen, und verzichtete auf seine
eigene Beteiligung.
Trotzdem ließen die Dschibril-Koalition und die Muslimbrüder ihn fallen und
ignorierten damit, was die Wähler mit überwältigender Mehrheit im Juli
forderten: eine stabile Regierung, die endlich die Sicherheitslage in den
Griff bekommt.
## Richtige Entscheidung
„Wir haben trotzdem richtig entschieden“, sagte Mohamed Umran Morghan von
der Partei für Gerechtigkeit und Aufbau, die den Muslimbrüdern nahe steht.
„Abushagur hat sein Kabinett nicht durchgeboxt. Nach den ersten Protesten
verließ er den Saal. Er ist nicht charakterfest genug für das Amt.“
Der für den Posten des Kulturministers vorgeschlagene Hadi al-Gariani wirft
den beiden größten politischen Gruppierungen im Kongress vor, sie hätten
den aus dem Exil zurückgekehrten Abushagur aus eigenem Machtinteresse
scheitern lassen.
„Die aus 40 Parteien bestehende Dschibril-Koalition forderte fünf
Ministerien, ohne sich auf Namen einigen zu können. Die Muslimbrüder
wollten 15 Ministerien und bekamen nur fünf. Ein Kompromiss wäre möglich
gewesen, aber jetzt müssen sich beide Parteien vor den Wählern
verantworten, die vom Kongress Einigkeit fordern.“
## Sein größer Fehler
Abushagur selbst gab sich in seiner abschließenden Rede versöhnlich und
warnte vor einem Abdriften Libyens ins Chaos. Bei der Aufstellung des
Notkabinetts habe er alle „geografischen Überlegungen“ außer Acht gelasse…
erklärte Abuschagur – vielleicht sein größter Fehler.
Mehrere Regionen hatten eine bessere Repräsentanz gefordert. Sein Rückzug
symbolisiert auch das Scheitern der aus dem Ausland zurückgekehrten
Oppositionellen, die zwar ausgebildet, aber wenig in das komplexe
Machtgefüge im Land eingebunden sind.
Ihr Rückzug könnte den Umbau von der Plan- zur Marktwirtschaft und den
Kampf gegen die Korruption erschweren.
8 Oct 2012
## AUTOREN
Mirco Keilberth
## TAGS
Libyen
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