# taz.de -- Zukunft der Sozialdemokratie: „In der SPD gilt das Prinzip Hoffnu… | |
> Der Sozialwissenschaftler Stephan Klecha glaubt, dass die SPD mit | |
> Steinbrück allein die Wahl nicht gewinnen kann. Nötig wären Inhalte. | |
Bild: Vom Kopf auf die Füße: So hofft man zumindest. | |
taz: Herr Klecha, ich würde gerne mit Ihnen zuerst einmal auf den Wahlabend | |
2013 schauen. Angenommen, die SPD bekommt 19,5 Prozent. Im | |
Willy-Brandt-Haus jubeln wie 2009 die Jusos, am Tag danach kommt der Kater. | |
Was lernt die SPD daraus? | |
Stephan Klecha: Sie gehen davon aus, dass die SPD verlieren wird. Das würde | |
ich nicht als zwingend einschätzen. Aber in diesem Fall würde es einen | |
Generationenumbruch geben. Steinbrück und Steinmeier würden abtreten, | |
wahrscheinlich Minister oder Ministerpräsidenten aus den Ländern in die | |
Parteiführung nachrücken. | |
Und inhaltlich? | |
Inhaltlich hat die SPD schon in der zweiten Hälfte der großen Koalition | |
angefangen, neue Antworten zu geben und sich kritisch mit dem eigenen | |
Regierungshandeln auseinanderzusetzen … | |
… davon hat man öffentlich aber nicht viel wahrgenommen … | |
Nehmen Sie das Grundsatzprogramm 2007. Da sind natürlich Widersprüche zu | |
erkennen. Einerseits heißt es, es war toll, dass man regiert. Andererseits | |
stellt man fest, es war nicht alles Gold, was glänzt. Der Veränderungswille | |
wurde aber nicht als glaubwürdig wahrgenommen. | |
Die SPD war doch immer gut im Bedrucken von Papier. Wie die praktische | |
Politik aussieht, ist eine ganz andere Frage. | |
Schon in der Regierung hat die SPD 2008 einen Wechsel zur keynesianischen | |
Politik vollzogen: siehe die Abwrackprämie oder das Ausdehnen der | |
Kurzarbeit. Aber das hat erst recht zur Vertrauenserosion beigetragen. Eine | |
Partei, die nur auf geänderte Umstände reagiert, ohne deutlich zu machen, | |
was ihre langfristige Linie ist, hat es schwer. | |
Jetzt hat sie aus der Wahlniederlage 2009 die Schlussfolgerung gezogen, mit | |
Peer Steinbrück, dem Liebling von Helmut Schmidt, als Spitzenkandidat ins | |
Feld zu ziehen, also wieder auf die Mitte zu zielen. Ist das die richtige | |
Konsequenz? | |
In der Mitte erscheint es wesentlich einfacher zu sein, verlorenes Terrain | |
zurückzugewinnen. Die Wähler, die die SPD im Westen an die Linke verloren | |
hat, hat sie nämlich strukturell verloren. Das ist die Altersgruppe von 50 | |
bis 65, die Generation Sozialstaat. Diese Leute haben 30 bis 40 Jahre SPD | |
gewählt. Und zu einer enttäuschten Liebe kehrt man so schnell nicht zurück. | |
Wie beurteilen Sie das Nominierungsverfahren, an dem die Mitglieder nicht | |
beteiligt waren? | |
Es ist kaum nachzuvollziehen, warum man nach der Niederlage 2009 über mehr | |
Basisbeteiligung debattiert hat und dann zu diesem Verfahren gekommen ist. | |
Dennoch ist man in der SPD erstaunlich zufrieden damit, dass a) diese Frage | |
geklärt ist und b) wer es geworden ist. | |
Warum? | |
Man hofft, dass Steinbrücks Popularität sich positiv auf das Wahlergebnis | |
auswirkt. Ob das tatsächlich so sein wird, sei dahingestellt. In | |
Schleswig-Holstein lag Torsten Albig in den Umfragen meilenweit vor dem | |
CDU-Kandidaten Jost de Jager, hat zwar am Ende die SPD wieder an die | |
Regierung gebracht – aber nur knapp. | |
Vor der Bundestagswahl 2009 hieß es in vielen Medien, mit Kurt Beck kann | |
die SPD nicht gewinnen. Daraufhin wurde Beck weggeputscht und Frank-Walter | |
Steinmeier zum Kandidaten gekürt. Dann gingen die Umfragewerte herunter. | |
Kann das diesmal genauso geschehen? | |
Das sollte man nicht ausschließen. | |
Ist die SPD vielleicht lernresistent? | |
Die entscheidende Frage ist: Was macht die SPD im Wahlkampf? Ein absoluter | |
Fehler wäre die Direktkonfrontation mit der Kanzlerin. Das ist 2009 | |
schiefgegangen, weil Steinmeier seine Unterschiede zu Merkel nicht deutlich | |
machen konnte. Jetzt wäre das genauso fatal, obwohl die beiden Kandidaten | |
rhetorisch und intellektuell sehr unterschiedlich sind. Alle Umfragen | |
zeigen, dass Steinbrück in einer direkten Konfrontation gegen Merkel keine | |
Chance hat. | |
Nötig wäre es, Steinbrück im Schattenkabinett mit anderen Personen, mit | |
anderen Inhalten zu flankieren. Dabei ist es wichtig, dass kein | |
Glaubwürdigkeitsproblem entsteht. Eine Sollbruchstelle ist ja jetzt schon | |
erkennbar: Passen Kandidat und Parteiprogramm zusammen? | |
Eher nicht, wenn jetzt die Parteilinke den Agenda-Vertreter Steinbrück mit | |
linken Inhalten flankieren will. | |
Ich glaube eher, dass Steinbrück thematisch zu eng auf Wirtschafts- und | |
Finanzpolitik bezogen ist. Darin wird sich die Bundestagswahl nicht alleine | |
entscheiden. Es gibt daneben etwa ein paar Baustellen in der | |
Arbeitsmarktpolitik, in der Frage, wie Biografien abgesichert werden … | |
Das heißt? | |
Wir haben junge Erwachsene, die trotz einer Top-Ausbildung auf dem | |
Arbeitsmarkt nur befristete oder Teilzeitjobs ohne langfristige Perspektive | |
bekommen. | |
Und Steinbrück … | |
… müsste deutlich machen, dass ihm wirklich an einer Lösung des Problems | |
gelegen ist. Ob er das glaubwürdig hinbekommt, kann man bezweifeln, auch | |
wegen des Alters des Kandidaten. Er kokettiert ja mit seiner | |
Internetabstinenz. Damit steht er nicht nur im Gegensatz zu den | |
potenziellen jüngeren Wählern, sondern auch zu den 80 Prozent der | |
Deutschen, die heute im Internet unterwegs sind. | |
Hat die SPD jetzt ein Motivationsproblem auf dem linken Flügel? Für die | |
Sozialdemokraten, die auf eine rot-rot-grüne Koalition setzen, werden es | |
fünf verlorene Jahre bis 2017. | |
Das Problem ist in der Tat: Einige in der SPD-Spitze gehen davon aus, dass | |
sich die Frage der Linkspartei von selbst erledigen wird. Sie glauben, dass | |
man sie bei einem zugespitzten Wahlkampf unter die Fünfprozenthürde drücken | |
kann. Bei der PDS hat das 2002 geklappt. Jetzt bröckelt die Linke im Osten, | |
auch die Westausdehnung ist gestoppt. Der Unterschied ist aber, dass sie im | |
Westen jetzt ein Prozent mehr erzielt als einst die PDS. Dieses Prozent ist | |
das, was die Linke braucht, um sicher den Sprung in den Bundestag zu | |
schaffen. Aber noch gilt in der SPD-Führung das Prinzip Hoffnung. | |
5 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
## TAGS | |
Helmut Schmidt | |
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SPD | |
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