# taz.de -- Pro und Contra zu Peer Steinbrück: Geht die Strategie der SPD auf? | |
> Peer Steinbrück schließt die Zusammenarbeit mit Linkspartei und Piraten | |
> aus. Ist das erfolgversprechend? Ein Für und Wider die | |
> sozialdemokratische Strategie. | |
Bild: Hat entschieden, ob die Linke ein Partner wäre: Peer Steinbrück, hier m… | |
PRO: Die Absage des neuen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück an ein | |
Bündnis mit der Linkspartei tut weh. Doch ist es nicht Steinbrück’sche | |
Willkür, wenn er nun jede Regierung mit der Linken ausschließt. Sondern es | |
entspricht einer seit Jahren verfolgten Strategie von SPD wie Grünen: Wir | |
versenken die Linkspartei durch konsequentes Nicht-ernst-Nehmen. | |
Man braucht diese Art der Diskriminierung nicht zu billigen, um | |
festzustellen: Das funktioniert. Die Linkspartei ist enorm geschwächt. Ein | |
rot-grüner Wahlkampf wirkt halbwegs plausibel – in einem Jahr könnten SPD | |
und Grüne stärker dastehen als aktuell. | |
Es gab guten Grund, ab 2009 auf Rot-Rot-Grün zu setzen. Die Idee: Nach den | |
Erfahrungen mit Rot-Grün, Schwarz-Rot und Schwarz-Gelb könnte die | |
Linkspartei geeignet sein, SPD und Grüne zur Umsetzung ihrer eigenen | |
Versprechen zu zwingen. Es wäre das nächste große gesamtlinke Projekt. | |
Hurra. | |
Doch hat jenseits kleiner Kneipenrunden eben niemand daran gearbeitet. Die | |
Akteure fehlten. SPD und Grüne sprachen der Linkspartei jede | |
Satisfaktionsfähigkeit ab, warfen ihr erst bloß Populismus vor und | |
ignorieren sie seit geraumer Zeit einfach, raubten ihr so den Resonanzraum. | |
Der Linkspartei fiel als Reaktion nichts Besseres ein, als immer weiter auf | |
das Rot-Grün von 1998 bis 2005 einzuprügeln. Sie wirkte | |
vergangenheitsfixiert. Das merkten auch die sogenannten Realos in der | |
Linken, und was folgte, waren die energieintensiven internen Parteikämpfe, | |
die auch nach Meinung der Linkspartei zu den Niederlagen bei den jüngsten | |
Landtagswahlen führten. | |
Die Charmeoffensive der neuen LinksparteichefInnen Katja Kipping und Bernd | |
Riexinger kommt deshalb zu spät. Sie werden auch mit noch so viel | |
freundlich-flexibler Öffnung Richtung SPD und Grüne bestenfalls hoffen | |
können, bei der Bundestagswahl 2013 über die Fünfprozenthürde zu hüpfen. | |
Jedes Ergebnis aber wird ihnen von der Verfechtern des Lafontaine’schen | |
„Abgrenzung pur“-Kurses noch um die Ohren gehauen werden: So wird der | |
Spaltpilz in der Linkspartei weiter wuchern – schön feucht gehalten von SPD | |
und Grünen –, und die Linke wird sich weiter Regierungsuntauglichkeit | |
vorwerfen lassen müssen. | |
Das heißt für SPD und Grüne natürlich nicht, dass sie auf der sicheren | |
Seite, sprich auch nur in der Nähe einer regierungsfähigen Mehrheit sind. | |
Denn nur weil die Linke schwächer wird, wird die SPD ausweislich sämtlicher | |
Umfragen ja nicht wieder stärker. Mit dem Kandidaten Steinbrück aber ist | |
bei allen furchtbaren Mängeln immerhin einer gefunden, der die | |
CDU-StrategInnen ihres wichtigsten Rezepts beraubt: Demobilisierung des | |
Gegners. | |
Ein aggressiver Rot-Grün-Wahlkampf mit Ich-mach-nix-als-Kanzler-Steinbrück | |
ist auch für linke Inhalte und Ziele immer noch besser als | |
Die-große-Koalition-kommt-sowieso-Steinmeier. Das gilt selbst dann, wenn | |
SPD und Grüne am Ende mit der FDP sprechen müssen. ULRIKE WINKELMANN | |
CONTRA: Man hört es, wie die SPD vor Erleichterung seufzt: Sie hat ihren | |
Spitzenkandidaten Peer Steinbrück in die freie Wildbahn entlassen und es | |
ist gar nichts Schlimmes passiert. Im Gegenteil: Die Medien assoziieren | |
Helmut Schmidt herbei - und das sagt schon viel aus über die Hoffnungen | |
dieser desillusionierten Partei. Hinter diesen Bildern starker Männer | |
versucht die SPD zu verstecken, dass es heute eine strukturelle linke | |
Mehrheit gibt - die gab es bei Schmidt nicht. Unter anderem steht jetzt | |
auch eine linke Partei neben der SPD. Und SPD-WählerInnen, die diese | |
wählen. Dass Steinbrück das Projekt "Linke unter fünf Prozent prügeln" | |
fortsetzt, war zu erwarten, aber einfallsreich ist es nicht. | |
Wir sind mittlerweile im Jahr 2012. Die WählerInnen haben inzwischen etwas | |
erlebt, das mehr prägt als Helmut Schmidt: Schon einmal, 1998, ist ein | |
rechter SPDler mit einem für seine Verhältnisse linken Programm angetreten. | |
Kurz nach der Wahl war es vergessen. Steinbrück hat diese Wende zur Agenda | |
2010, die Schröder demonstrativ gegen seine Partei durchboxte, immer | |
befürwortet. Heute ist er angeblich für den vorsorgenden Sozialstaat. | |
Steinbrück war bisher ein Grünenfresser. Jetzt ist Rot-Grün sein | |
Lieblingsprojekt. Linke hält Steinbrück für Heulsusen. Jetzt will er ganz | |
unglaublich vorsichtig die Rente anpassen und natürlich einen Mindestlohn. | |
Der Vergleich mit dem wendigen Gerhard Schröder drängt sich einfach auf. | |
Die alles entscheidende Frage ist: Warum sollten die linken SPD-Wähler | |
diesem Peer Steinbrück vertrauen? | |
Ein bisschen links blinken und ansonsten die Linkspartei schlecht machen, | |
das wird nicht ausreichen. Das weiß auch Steinbrück und will stattdessen in | |
der Mitte der Wählerschaft wildern und eine Tür zur FDP öffnen: Aber in der | |
Mitte ist schon die CDU - und die FDP? Wo war noch gleich der SPD-Wähler, | |
der eine Koalition mit der heutigen FDP gut findet? Bitte melden! | |
Mit Steinbrück setzt die SPD wie schon zur letzten Bundestagswahl mit | |
Frank-Walter Steinmeier auf eine Fortsetzung des Projekts Schröder. | |
Schröder plus. Jetzt auch mit Mindestlohn und variablem Rentenniveau. Das | |
ist zu wenig, um diejenigen zurückzuholen, die einst zur Linken geflüchtet | |
sind. Die Linkspartei erholt sich gerade von ihrem Personaltheater - und | |
wird sich die Gelegenheit zur Profilierung gegen die SPD nicht entgehen | |
lassen. Mit der Absage an die Linke hält Steinbrück den altbekannten | |
Mittekurs. Auch der linken Mehrheit in der Bevölkerung tut er damit keinen | |
Gefallen. Die will eine linke Regierung. Das kann gern auch Rot-Rot-Grün | |
sein. 2013 wird diese linke Bevölkerungsmehrheit wieder einmal enttäuscht | |
werden. | |
Ja, ein Seufzen geht durch die SPD, aber nicht nur eines der Erleichterung. | |
Es ist auch ein Seufzen derjenigen, die mangels Alternative nun jemanden | |
auf den Schild heben, der wieder mal das linke Herz seiner eigenen Partei | |
verachtet. Es ist das Seufzen von Menschen, die es nicht mehr anders | |
kennen. Das Seufzen von MasochistInnen. HEIDE OESTREICH | |
1 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
U. Winkelmann | |
H. Oestreich | |
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