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# taz.de -- Doku-Drama über Helmut Schmidt: Ein Stück Nähe
> Zum 95. Geburtstag von Helmut Schmidt zeigt die ARD das Doku-Drama
> „Lebensfragen“. Darin steht der Altkanzler nicht nur als Lichtgestalt da.
Bild: Nachgespielt: Helmut und Loki vor dem Krieg
HAMBURG taz | Der Film läuft noch keine zwei Minuten und kommt direkt zur
Sache. „Was ist das Wichtigste im Leben?“, fragt die Stimme aus dem Off und
Helmut Schmidt sagt: „Für mich ist das Wichtigste, sich Aufgaben zu
stellen, Aufgaben zu begreifen und danach zu streben, die verstandenen
Aufgaben bestmöglich zu erfüllen.“
Schmidt's Credo steht wie ein Monolith im Raum: unumstößlich, in sich
geschlossen. Nie würde man es wagen, der schmidtschen Autorität die
Nachfrage zuzumuten, was er für Aufgaben meint und ob sie jetzt von innen
oder von außen kommen. Und hofft zugleich, dass der Film diese Fragen
klärt. Schließlich geht es gerade erst los.
Es ist ein sehr gut gewählter Einstieg für einen Film, dessen Konzept eine
gute Portion Heiligenverehrung befürchten lässt. „Helmut Schmidt –
Lebensfragen“ heißt diese Produktion, die der NDR, der MDR und ein Sender
namens „Servus TV“ beauftragt haben. Der Sendetermin ist der 23. Dezember,
weil Helmut Schmidt an diesem Tag 95 Jahre alt wird.
Angekündigt wird wahlweise ein „Dokumentarspiel“ oder ein „Bio Pic“ �…
das bedeutet: Es gibt ein chronologisch angelegtes Interview mit dem
leibhaftigen Helmut Schmidt, der auf sein Leben zurückblickt. Unterbrochen
wird das Interview durch inszenierte Szenen, in denen Schauspieler
nachspielen, wie es gewesen sein könnte. Das Interview führt
Zeit-Chefredakteur Giovanni Di Lorenzo und bei den nachgespielten Szenen
kommen insgesamt fünf Schmidt-Darsteller zum Einsatz. Hinzu kommen
Originalfotos und an der ein- oder anderen Stelle auch Archivmaterial.
## Drang zur Hitlerjugend
Die befürchtete Heiligenverehrung ist der Film nicht geworden, und das
liegt zunächst an den nachgespielten Szenen, die Schmidts Kindheit, Jugend
und seine Zeit als Wehrmachtssoldat zeigen. Schmidts Vater ist ein
verkrampfter Mann, der seine Ängste durch eine harte Erziehung verbirgt.
Als Jugendlicher will Schmidt unbedingt in die Hitlerjugend eintreten, aber
der Vater verbietet es.
Als Schmidt einberufen wird, zieht er den Einsatz an der Front einem
Schreibstuben-Job vor – weil er „nicht als Feigling durch die Gegend laufen
wollte“. Zugleich erzählt der Film von Schmidts Freundschaft mit der
Widerstandskämpferin Cato Bontjes van Beek. Der junge Schmidt sieht nicht
besonders souverän aus bei dem Versuch, sich als Nazi-Gegner zu begreifen
und seinen Fronteinsatz zu rechtfertigen.
Auch auf der Ebene des Interviews traut sich Di Lorenzo an die unschönen
Seiten von Schmidts Leben heran. Ob er im Krieg auch Menschen getötet habe,
fragt er. „Ja“, sagt Schmidt. Er habe „Flugzeuge abgeschossen, Dörfer in
Brand geschossen. Man hat den Feind selber kaum gesehen. Man hat ihn nur
geahnt.“ Schmidts Wechsel vom „Ich“ ins „Man“ geschieht beiläufig. U…
offenbart doch seine Strategie, sich vom eigenen Handeln zu distanzieren,
um es erträglicher zu machen.
## Hilfreiche Sturmflut
Wie der Film Schmidts Leben vor seiner Kanzlerschaft darstellt ist
aufschlussreich, weil vieles zwischen den Zeilen erzählt wird. Dazu gehört
auch die Episode zum Thema „Geltungsdrang“: Schmidt war 1961 Hamburger
Senator der Polizeibehörde und kämpfte für die Neugründung einer
Innenbehörde mit dem Verweis, dass alles durcheinander ginge, wenn ein
Flugzeug auf den Rathausmarkt falle. „Tatsächlich kam dann der liebe Gott
zu Hilfe und lies zwar kein Flugzeug auf den Rathausmarkt fallen, aber er
ließ eine Sturmflut Hamburg überschwemmen.“ Die Sturmflug half Schmidt
karrieremäßig weiter. Sie aber als „Hilfe Gottes“ zu bezeichnen, klingt in
Anbetracht von Tod und Zerstörung doch ziemlich vermessen.
Je weiter der Film in Schmidts Biografie fortschreitet, umso deutlicher
tritt die Über-Figur Schmidt heraus. Zu seinen schweren Entscheidungen als
Bundeskanzler bei den Erpressungsversuchen der RAF sagt er, er würde wieder
so entscheiden. Zur Verleihung des Hanns Martin Schleyer Preises 2013 sagt
er: „Das hat mich sehr bewegt.“
Die „Lebensfragen“ verlieren zum Ende hin an Tiefenschärfe und auch
Schmidts Credo von den Aufgaben, die bestmöglich zu erledigen seien, bleibt
im Vagen. Trotzdem ist der Film ein gelungener Versuch, Nähe herzustellen
zu einer Person, die Kraft ihrer bewusst aufgebauten Autorität in weite
Ferne gerückt zu sein scheint.
Der Film trotzt Schmidt eine gewisse Altersmilde ab. Und: Man sieht ihn mal
wieder lächeln. Zwar nur zweimal kurz, aber immerhin.
23 Dec 2013
## AUTOREN
Klaus Irler
## TAGS
Helmut Schmidt
SPD
Rote Armee Fraktion / RAF
Helmut Schmidt
Willy Brandt
SPD
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