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# taz.de -- Debatte Helmut Schmidt: Anno Pfeifendeckel!
> Es war einmal 1977, aber davon ist jetzt mal nicht die Rede: Der
> Mescalero verneigt sich vor Helmut Schmidt, der am Montag 95 Jahre alt
> wird.
Bild: Altkanzler Helmut Schmidt wird 95.
Liebes Geburtstagskind Helmut Schmidt: Herzlichen Glückwunsch zum
Fünfundneunzigsten! Dieses Ständchen bringt dir Mescalero, der
Staatswüstling aus den 70er Jahren. So höre ihm auch zu: Eigentlich mag er
die älteren Staatsmänner nicht. Wie sie sich gerieren und es „immer noch
drauf“ haben, den Durchblick, den Überblick über die verworrene Gesamtlage
gestern und heute. Es ist eine Pose!
Aber die jüngeren Staatsleute mag der Mescalero aus Göttingen noch viel
weniger. Deshalb heißt seine erste Strophe diesmal: Forever young, als
Kanzler bleibst du ewig jung! Du hast die Staatsmannschaft damals ganz
alleine gebildet.
Das Bild, das wir uns von einem energischen, gelegentlich rigorosen Kapitän
auf der Brücke des volltrunkenen Schiffes machen können! Du bist der
radikalste Kanzler, den wir jemals hatten.
Im Konfirmandenalter sah ich Dich zum ersten Mal. Das war 1962, bei der
großen Hamburger Sturmflut. Wie Du aus dem Hubschrauber auf den Deich
gestiegen bist. Die Zigarette verärgert, so richtig angefressen
weggeschnipst hast. O, wie das zischte! Und dann, in einer Bewegung wie
beim Tai-Chi, die Arme in Brusthöhe langsam vorgeschoben, die Handflächen
nach vorne, Zentimeter um Zentimeter die Flut zurück, zurück – das ist bis
heute ein Klassiker im Übungsbuch der Staatskunst. Das hat nicht nur Dich,
das hat doch auch mich geprägt.
In den Jahren danach hast du als „Schmidt Schnauze“ im Bundestag noch viele
solcher Kunstgriffe gezeigt. Heftige Rededuelle, Rhetorik im
Schwarz-Weiß-Format. So dicht, so aufgeregt war das Gute, das Böse
gelagert. Es war etwas Unbedingtes in den Duellen: Sozialdemokraten wollten
unbedingt Antipoden der Christdemokraten sein. Und umgekehrt.
Als Du dann Kanzler warst, da wollte ich, zusammen mit ein paar anderen
Staatswüstlingen, auch mal eine Flut stoppen: die Welle der Gewalt.
Wenigstens an unserer Universität in Göttingen. So wie du auf dem Deich. Na
ja, was dann über uns schwappte, das war schon gewaltig. Und gewalttätig
ging es zu im Inneren der Republik.
Da saß ein Unruhestifter. Ich war’s nicht. Meine Freunde und all die jungen
Leute im Land, die Schüler, Studenten, Lehrer, die Professoren, die als
„Sympathisantensumpf“ des Terrorismus bedrängt, bezichtigt und im Fall
Peter Brückner gar in den Tod getrieben wurden – die waren es auch nicht.
Nein, der Unruhestifter steckte in der Mitte der Gesellschaft!
Er saß im Parlament. Machte dort aber keine konstruktive Opposition, wie es
sich geziemt hätte. Er rührte nur auf, verdächtigte, intrigierte. Und
bereitete mit der Mentalität einer Kamarilla den kalten Staatsstreich vor,
der 1982 denn auch gelang.
Diese Flut der inneren Unruhestiftung hättest Du mit starkem Arm aufhalten
und Dich mit einer resoluten Handkante auf die Seite der zu Unrecht
Bedrängten schlagen müssen. Doch ihr Sozialdemokraten habt euch anstecken
lassen von dem Gegeifer. Und seid dabei nass geworden. Sofern ihr
Popperisten ward, Anhänger des großen politischen Philosophen Sir Karl
Raimund Popper und seiner Fibel „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“,
habt ihr ein falsches Feindbild aufgeblasen.
Es hängt bis heute als ein zum Himmel stinkendes Damoklesschwert über der
Republik. Denn 1982 trat wie Mephisto das Marktböse in Gestalt des Grafen
Lambsdorff auf den Plan. Seitdem leben wir in schlechter Gesellschaft!
## Der Popanz Terrorismus
Vielleicht war es sogar die Heimtücke des Marktbösen, den Terrorismus als
Superpopanz in den Vordergrund zu schieben, um vom eigenen Terror
abzulenken. Der im globalen Krieg gegen den Sozius wie gegen die Natur, die
Umwelt, der Gesellschaft besteht. Das Marktböse ist der „Blanke Hans“. Und
keiner steigt aus dem Hubschrauber, um ihn zu stoppen. Es gibt nicht einmal
einen Deich.
Und jetzt, kurz vor Heiligabend, wo das Christkind kommt und Gutes,
Wohltätiges bringt, haben wir nur wieder so eine Staatsmannschaft voller
Flaschen halbleer. Wie bei „Was erlauben Strunz“ Giovanni Trappatoni.
Nein, mit dem Marktbösen kann man nicht vernünfteln, verhandeln. Nicht
einmal palavern. Gegen das Marktböse hilft nur eine Kriegslist. Da muss man
das ganze Kung-Fu der Staatskunst aufbieten. In immer neuen Übungen.
Mit uns Staatswüstlingen der 70er Jahre hätte man Staat machen können. Weil
in jedem Wüstling auch die Lust steckte. Lust an der Staatsbildung. Mit dem
Marktbösen aber kann man keinen Staat machen.
## Tausend Kapitalgesellschaften
Denn das Marktböse bildet keine Gesellschaft: Es zerstört sie. Mag sein,
dass es eine Kapitalgesellschaft bildet. Und noch eine. Aber tausend
Kapitalgesellschaften, wie immer sie sich summieren, bilden noch für keine
Sekunde Gesellschaft. Und zuletzt sind sie einfach nur lästig.
Ihr Sozialdemokraten habt das Marktböse nicht auf der Rechnung gehabt. Es
hat nicht in euer Feindbildschema gepasst. Das wirkt heute bitter nach.
Lieber Helmut Schmidt, Du hast dich damals in der Einsamkeit Deines
Kommandos vom Inneren der Republik ab- und der Außen-, also
Welt-Innenpolitik zugewandt. Als Kalter Krieger hast du wie Rambo gewirkt.
Atomraketen gegen die Anti-AKW-Bewegung! Den Nato-Doppelbeschluss
durchpeitschen gegen Millionen friedlich gestimmter Bürger, gegen die
aufgeweckte Jugend des Landes und gegen die alten Pazifaxe, die schon Anno
Tobak … Also, das war ein schneidiger Husarenritt.
Es hat die Grünen, die bis dahin in „Alternativen Listen“ wie an einem
Polarkreis fröstelten, heiß gemacht und nach vorne gepusht. Zu welchem Ende
auch immer. Das kannst Du Dir heute auch noch an den Lorbeerkranz stecken:
die Grünen beflügelt zu haben.
So. Nun wünschen wir Wüstlinge Dir noch viele unverwüstliche Jahre. Zum
Schluss noch ein persönlicher Ratschlag: Mit den ständigen Ovationen für
den ältesten aller Staatsleute muss jetzt mal Schluss sein.
Wirf dich aufs Klavier. Oder auf Barlachs schwebenden Engel in der
Güstrower Kirche, den du so schön interpretiert hast. Und dabei lassen
wir’s. In dieser Schwebe grüßt mit Engelszungen.
23 Dec 2013
## AUTOREN
Klaus Hülbrock
## TAGS
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Willy Brandt
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