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# taz.de -- Syrische Flüchtlinge in Deutschland: Warten, bis Assad weg ist
> Der eine ist Kurde, der andere Christ – beide sind Syrer. Vor dem
> Bürgerkrieg sind sie nach Deutschland geflohen. Für den Schutz sind sie
> dankbar.
Bild: Verunstaltetes Assad-Poster in Aleppo
BERLIN taz | Sie hatten ihn vorgewarnt. Einen kleinen Zettel hatte Erol*
gefunden, als er den Rollladen seines Friseursalons hochschob: „Es ist Zeit
für dich und deine Brüder, zu sterben“. Erol öffnete den Laden trotzdem und
machte sich an die Arbeit.
Sie sind tatsächlich gekommen, noch am selben Abend. „Zehn oder fünfzehn
waren es“, schätzt Erol. Ob religiöse Fanatiker oder Schergen des syrischen
Diktators Baschar al-Assad, weiß er nicht. „Vermummt waren sie“, erinnert
sich der 26-Jährige, „meinem kleinen Bruder haben sie die Nase gebrochen.“
Younadam* zeigt bestätigend auf sein schiefes Nasenbein. Auch Ammo* nickt
heftig mit dem Kopf. Seit seiner Geburt ist der jüngste der drei Brüder
geistig behindert. Auch ihn haben sie geschlagen, sagt Erol. Ammo nickt.
Auf Younadams Laptop erscheint das Foto von einem Hund. Als das Tier die
Vermummten angriff, erschossen sie es. Dann flohen sie vor der anrückenden
Polizei. Für Erol und seine Brüder begann eine Odyssee, die ihr vorläufiges
Ende in einem Asylbewerberheim in Berlin-Spandau gefunden hat.
Erol ist einer von über 6.000 Flüchtlingen, die vor dem Kriegschaos in
Syrien geflohen sind, um in Deutschland Asyl zu suchen – viele sind über
die Türkei und Griechenland gekommen, in Autos, Booten und Lkw. Illegal.
## Deutsche Worte wie „Heim“ und „Bundesamt“
Nun sitzt Erol in seinem bescheidenen Zimmer in Berlin. Seit seiner Ankunft
vor zwei Monaten teilt er es sich mit seinem Bruder Younadam. „Das
Wichtigste ist jetzt, Deutsch zu lernen“, sagt er. Erol spricht Arabisch
und Assyrisch, die Sprache der Christen in Syrien. Kein Wort Englisch, auch
im Deutschen kennt er nur einzelne Wörter wie „Heim“ oder „Bundesamt“.…
würde er arbeiten, aber als Asylsuchender in Deutschland darf er das nicht.
In ihrem Friseursalon in Hassakeh, einer Stadt im Nordosten Syriens, haben
die beiden über siebzig Stunden pro Woche gearbeitet – „nur um etwas zu
essen zu haben“, sagt Erol. Für Politik sei keine Zeit gewesen. Er ist
stolz darauf, dass er mit „den Ereignissen“, wie er den Bürgerkrieg in
Syrien nennt, eigentlich nichts zu tun hat.
Eigentlich. Erol krempelt den linken Ärmel seines Kapuzenpullis hoch. Auf
seinem Oberarm prangt eine tätowierte Fantasiefigur mit ausgestreckten
Armen und zwei Drachenköpfen. Hochgezogene Ärmel muss er auch gehabt haben,
als die Salafisten das Kreuz sahen, das er ursprünglich an dieser Stelle
eintätowiert hatte. Viele Christen im Nahen Osten tragen solche Kreuze als
Zeichen ihres Glaubens – an Arm, Handgelenk oder auf dem Rücken.
„Die nötigen Werkzeuge haben sie gleich mitgebracht“, berichtet Erol – f…
eine „Zwangstätowierung“, im eigenen Friseursalon. Auch das war eine
Warnung, lange vor dem Angriff auf den Salon. Als Younadam das
unfreiwillige Tattoo seines Bruders sieht, lässt er das kleine Kreuz auf
seinem Handrücken verunstalten.
Die Salafisten stellten nicht das einzige Problem für Younadam und Erol
dar. Kurdische Parteien kontrollieren einen Teil ihrer Heimatregion, die
ansonsten von Regierungstruppen und der Freien Syrischen Armee umkämpft
wird. Die staatliche Armee wollte die Jungs als Kämpfer. Auch die
Revolutionäre wollten sie auf ihre Seite ziehen. „Hätten wir uns den
Revolutionären angeschlossen, hätten die Regierungstruppen unsere Familie
umgebracht“, glaubt Erol. „Und umgekehrt. Wir hatten keine Wahl.“
Nach dem Angriff auf den Friseursalon steht fest: Erol muss Syrien
verlassen. Der Vater verkauft das Haus der Familie, Erol setzt sich mit dem
Geld nach Istanbul ab. Im Gepäck hat er seine kleinen Brüder Younadam und
Ammo. Von Istanbul aus überqueren sie die Grenze nach Griechenland.
## Fast 10.000 Euro
„Wir mussten durch einen Wald laufen“, erinnert sich Erol vage. Wo die
griechische Regierung derzeit einen meterhohen Stacheldrahtzaun errichten
lässt, schaffen es die drei in die EU. Unterschlupf finden sie in Egaleo,
einem Athener Industrievorort. Erol betrachtet sein Zimmer in Spandau.
„Halb so groß war es“, schätzt er, „wir waren zu zehnt.“ Betten? „N…
haben auf dem Boden geschlafen.“ – „Übereinander“, fügt er scherzhaft
hinzu. 1.000 Euro pro Person wollten die muharribin haben, wie Erol die
Schlepper auf Arabisch nennt.
Erol rechnet vor: 2.000 Euro für den Weg nach Griechenland, 1.000 für die
Unterkunft, 5.000, um nach Deutschland zu kommen, Flug und gefälschte Pässe
inklusive. „Bulgarische“, sagt Erol. „Tschechische“, verbessert ihn
Younadam.
Genau zwei Euro haben sie über, als sie am Flughafen in Berlin-Tegel
eintreffen. Erol lacht, „für drei Leute“. Noch am Flughafen werden sie
festgenommen. Die tschechischen Pässe haben sie im Flugzeug zerrissen, so
verlangten es die Schlepper.
Dann stimmt Erol ein Loblied auf die deutsche Polizei an. Keine Polizei der
Welt würde Flüchtlingen Geld geben, damit sie sich Essen kaufen können.
Jedem der Jungs stecken die Polizisten fünf Euro zu. Pizza und Cola hätten
sie sich davon gekauft, sagt Erol. Auch Zigaretten geben ihnen die
Polizisten. „Und ich dachte, die Polizei wäre überall so wie in Syrien.“ …
Fensterbrett draußen vor Erols Zimmer in Spandau weht jetzt eine
Deutschlandflagge, eine jener schwarz-rot-goldenen Fanartikel zum Anstecken
an Autoscheiben.
## „Ich werde schon lange politisch verfolgt“
Im Gebäude nebenan hängt eine rot-weiß-grüne Flagge an der Wand, die Flagge
Kurdistans. Anas* sitzt in seinem Zimmer auf dem Boden. Auf dem Bett zwei
weitere Kurden, einer aus der Türkei, der andere wie Anas aus Syrien. „Wir
sind zunächst Kurden, dann Syrer“, erklärt Anas, der Ende zwanzig und
frommer Sunnit ist – ein bisschen zu fromm, sagen seine christlichen
Landsmänner im Heim. Über Religion sprechen die Christen mit den
muslimischen Kurden nicht, man komme aber gut miteinander zurecht. Die Zeit
schlagen sie dennoch getrennt voneinander tot, trinken Tee, Kaffee, spielen
Playstation.
„Ich werde schon lange politisch verfolgt“, berichtet Anas sichtlich stolz.
Er sitzt im Schneidersitz und klappt, wie zum Beweis, die verkrusteten
Fußnägel seiner großen Zehen hoch. Den linken hätten ihm Geheimpolizisten
mit Schuhabsätzen zerschlagen, den rechten unter Folter rausgezogen. Das
war damals, 2004, als die syrischen Kurden den Aufstand probten. Baschar
al-Assad ließ ihn blutig niederschlagen. Anas war damals Anfang zwanzig,
seither ist er politisch aktiv.
Wie Erol ist er vor zwei Monaten nach Berlin gekommen. An seine Flucht
erinnert er sich mit Grauen. Er ist per Schiff nach Italien geflüchtet, das
kenterte, die Insassen ertranken beinahe. Die italienische Polizei greift
ihn auf, misshandelt ihn. Als er versichert, er wolle nicht bleiben,
sondern nach Deutschland zu Verwandten, lässt man ihn ziehen. Verwandte in
Deutschland hat Anas tatsächlich. Wenn das Asylverfahren positiv ausgeht,
will er zu ihnen nach Oberhausen ins Ruhrgebiet. Im Falle einer
Abschiebung? – „Ich gehe eher nach Syrien zurück als noch mal nach
Italien“, sagt er.
Für Erol und seine beiden Brüder ist die Rückkehr nach Syrien
ausgeschlossen – jedenfalls solange Assad an der Macht ist. Mit seiner
Verlobten in Syrien spricht Erol nur sporadisch am Telefon. Die Brüder
brüten über einem Schreiben, das ihnen eine Mitarbeiterin des Heims
vorbeigebracht hat. Absender: das BAMF, Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge. Der Termin sei verschoben worden, erklärt die Mitarbeiterin.
Erol weiß, welchen Termin sie meint. Für die Anhörung in seinem
Asylverfahren muss er persönlich erscheinen und seine Verfolgungsgründe
darlegen.
Enttäuschung steht Erol ins Gesicht geschrieben. Das sei schon das zweite
Mal. Die Mitarbeiterin beruhigt ihn. Das Amt habe viel zu tun, er solle
sich keine Sorgen machen, Syrer hätten im Moment ausgezeichnete Chancen
beim BAMF. Erol unterschreibt. Younadam unterschreibt. Auch Ammo, der
behinderte Bruder, kritzelt etwas unter sein Schreiben. „Wir warten“, sagt
Erol, „auf unseren Asylbescheid.“ – „Und auf das Ende Assads.“ Das sei
eigentlich viel wichtiger.
* Namen geändert
18 Oct 2012
## AUTOREN
Jannis Hagmann
Jannis Hagmann
## TAGS
Flüchtlinge
Schwerpunkt Syrien
Asyl
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Baschar al-Assad
Flüchtlinge
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Schwerpunkt Syrien
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