# taz.de -- Debatte Syrien: Eingreifen ja, Militär nein | |
> Die Forderung nach einer militärischen Intervention in Syrien ignoriert | |
> die Begebenheiten im Land. Die Revolution muss von innen kommen. | |
Bild: Bedrohte Zivilisten: Heftige Kämpfe in einem Wohnviertel in Aleppo | |
Die Rechnung scheint so einfach: Mehr als 30.000 Tote hat die blutige | |
Niederschlagung des Aufstands in Syrien bislang gekostet – und jeden Tag | |
werden es mehr. | |
Entsprechend skizziert [1][Dominic Johnson für die Zukunft Syriens zwei | |
Szenarien]: ein militärisches Eingreifen von außen, was zwar zu einem Ende | |
mit Schrecken führen dürfte; und das Szenarium eines fortgesetzten | |
Nichthandelns der internationalen Gemeinschaft – welches in einen Schrecken | |
ohne Ende münde. So stringent Johnson die erste Option argumentiert, die | |
Reduktion auf diese zwei Szeanrien ist falsch. | |
Wer eine Abwägung einer militärischen Intervention – jenseits der ohnehin | |
kritischen Frage nach der völkerrechtlichen Grundlage – fordert, muss sich | |
genauer mit den spezifischen Begebenheiten und Gefahren in Syrien | |
beschäftigen. | |
Wie im ganzen Land demonstrierten letzten Freitag in Aleppo wieder Hunderte | |
gegen die brutalen Verbrechen des Assad-Regimes. Doch diesmal ging es auch | |
um etwas anderes. Zahlreiche Demonstranten führten Schilder mit sich, auf | |
denen sie ihren Missmut über die Freie Syrische Armee (FSA) zum Ausdruck | |
brachten. Kein Einzelfall, auch an den Häuserwänden in der Stadt gibt es | |
Graffiti, die den militärischen Ausdruck der Rebellion kritisieren. | |
## Verhältnis zum Gedanken der Revolution | |
Die Unzufriedenheit der Zivilgesellschaft in Aleppo mit der FSA hat nichts | |
mit fehlenden Erfolgen zu tun. Ganz im Gegenteil: Der Mut der freien | |
Soldaten, sich mit spärlichen Waffen der gut ausgerüsteten Armee in den Weg | |
zu stellen, genießt allgemeine Anerkennung bei der Opposition. | |
Unmut macht sich vielmehr breit über das Verhältnis der Kämpfer zur | |
Bevölkerung und zum ursprünglichen Gedanken der Revolution. Die Forderung: | |
Die FSA soll sich den Prinzipien und dem Wertekodex der Revolution | |
verpflichten. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Aleppo der Ursprung der | |
zivilen Proteste gegen die FSA ist. | |
In den meisten Städten, in denen bewaffnete Aufständische aktiv sind, | |
bilden desertierte Soldaten aus der Region den Grundstock der Truppen, die | |
von militärisch geschulten Bewohnern verstärkt werden. Der Anteil von | |
kämpfenden Ortsfremden in Aleppo hingegen ist sehr groß. | |
Diese Form der Auseinandersetzungen sind in Aleppo am deutlichsten spürbar, | |
aber längst kein Einzelfall. Unter der Überschrift „Warum hört die Freie | |
Syrische Armee nicht mehr auf das Volk?“ veröffentlichte kürzlich die | |
einflussreiche Anwältin und Aktivistin Razan Zeitouneh einen flammenden | |
Appell. Sie argumentiert: Ohne die Unterstützung der Bevölkerung kann der | |
bewaffnete Widerstand nicht erfolgreich sein. Nur gemeinsam und von innen | |
heraus kann die Revolution gewonnen werden. | |
## Skeptisch gegenüber Nato | |
Aufgrund der starken Militarisierung der letzten Monate gibt es bereits | |
jetzt eine gefährliche Entfremdung zwischen Zivilgesellschaft und | |
bewaffneten Kämpfern. Trotz Flächenbombardements und katastrophaler | |
humanitärer Lage werden von AktivistInnen vor Ort das Verhalten der FSA und | |
ihre fehlende Anbindung an die politische Revolution offen kritisiert – die | |
Legitimität des bewaffneten Kampfes gegen Assad an sich stellen sie aber | |
nicht in Frage. | |
Einen nicht unwesentlichen Beitrag zu dieser Entfremdung leistet die | |
ständige Intervention einiger Golfstaaten in Form von Militärhilfe für | |
bestimmte bewaffnete Gruppen. Wenn sich erst einmal eine ausländische Armee | |
auf Seiten der Opposition einmischen sollte, würde das endgültig zu einer | |
Trennung zwischen politischem und militärischem Widerstand führen. | |
Mit der Folge, dass politische AktivstInnen, die vor Ort seit mehr als 19 | |
Monaten den Aufstand tragen, marginalisiert und auch in der Phase nach dem | |
Sturz des Regimes wohl keine Rolle mehr spielen würden. | |
Die Auseinandersetzungen zwischen der Zivilgesellschaft und der FSA zeigen | |
aber auch, dass es in diesem Aufstand nicht nur um den Sturz von Baschar | |
al-Assad geht. Oft haben in der Vergangenheit die Netzwerke der | |
AktivistInnen Anschläge von radikal religiösen Gruppen, bei denen bewusst | |
der Tod zahlreicher Zivilisten in Kauf genommen wurde, scharf kritisiert. | |
## Doppelzüngigkeit der westlichen Politik | |
Für sie war immer klar, dass das Ziel nicht die Mittel heiligt. Deshalb ist | |
wohl auch die Einrichtung einer Flugverbotszone nicht vereinbar mit dem | |
Wertekodex der AktivistInnen. Denn dafür müsste als Erstes die Luftabwehr | |
der syrischen Armee ausgeschaltet werden, die sich häufig in der Nähe von | |
Wohngebieten befindet. Eine hohe Anzahl ziviler Opfer durch die | |
Luftangriffe ist dabei sehr wahrscheinlich. | |
Die zutiefst skeptische Haltung der Menschen in Syrien gegenüber der Nato | |
würde dies noch verstärken. Sie haben die Doppelzüngigkeit westlicher | |
Politik erlebt, die Syrien einerseits in die Achse des Bösen einreihte, | |
andererseits stark auf Stabilität im Nahen Osten ausgerichtet ist, je | |
nachdem, wie es gerade passte. | |
Auch militärische Gründe sprechen gegen eine Militärintervention. Die | |
Stärke des syrischen Militärs, das sich bei einem Angriff von außen wieder | |
stärker hinter das Regime stellen dürfte, die Unübersichtlichkeit des | |
Terrains und der verschiedenen lokalen Gruppen lassen Nato-Strategen einen | |
Einsatz ablehnen. | |
Es ist unerträglich zu sehen, wie ganze Wohnviertel von der syrischen | |
Luftwaffe zerbombt werden. Eine militärische Intervention von außen wird | |
aber nicht erfolgreich sein, sondern das Problem bestenfalls verlagern, | |
nicht aber lösen. Das heißt aber nicht, dass die Menschen im Westen zum | |
Zuschauen verurteilt sind. Im Gegenteil: Wir sollten intervenieren, und | |
zwar dringend, aber nicht militärisch. | |
Der Westen muss endlich ernsthaft und auf Augenhöhe mit Russland und dem | |
Iran über eine Lösungsstrategie beraten; der Plan des UN-Sondergesandten | |
Lakhdar Brahimi für einen Waffenstillstand muss unterstützt werden. Und | |
schließlich brauchen die AktivistInnen und deren zivile Komitees unsere | |
praktische Unterstützung. Trotz aller Bewaffnung und Eskalation ist es die | |
junge syrische Zivilgesellschaft, die das Rückgrat des Aufstands gegen die | |
Diktatur und die Hoffnung für einen Neuanfang verkörpert. | |
19 Oct 2012 | |
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## AUTOREN | |
Elias Perabo | |
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