# taz.de -- Kommentar Syrien: Und keiner hat einen Plan | |
> Die Tatenlosigkeit des Auslands gegenüber Syrien verschlimmert die Lage | |
> nur noch. Selbst die Türkei arbeitet lediglich an der Eindämmung des | |
> Konflikts. | |
Bild: Syrische Panzer sind im türkisch-syrischen Grenzgebiet zu sehen. | |
Guido Westerwelle warnt vor einer Eskalationsspirale in Syrien. Seine Sorge | |
ist verständlich. Innerhalb von nur einer Woche hat sich der Konflikt in | |
Syrien gefährlich über die Grenzen hinweg ausgeweitet. | |
In der Türkei wurden fünf Zivilisten durch syrischen Granatenbeschuss | |
getötet, die türkische Armee schießt seitdem mit doppelter Feuerkraft | |
zurück, und der Generalstabschef droht mit noch härterer Vergeltung. Dann | |
legt sich Ankara auch noch mit Moskau an, in dem es eine syrische | |
Passagiermaschine zur Landung zwingt. Laut den Behörden wurde in ihr | |
russisches Kriegsgerät für den Despoten Assad entdeckt. | |
Die Abschreckung scheint zu wirken: Seit ein paar Tagen sind in der Türkei | |
keine syrischen Granaten mehr eingeschlagen. Die Gefahr eines regionalen | |
Flächenbrands ist damit aber nicht gebannt. Im Gegenteil: Je länger sich | |
der Konflikt in Syrien hinzieht, umso größer wird sie. Insofern sind | |
Westerwelles Worte wie überhaupt die Mahnungen des Westens an die Türkei, | |
Ruhe zu bewahren, nur ein kläglicher Versuch, die eigene Rat- und | |
Tatenlosigkeit zu kaschieren. | |
Niemand will sich die Finger verbrennen, in einem Konflikt, in dem nicht | |
nur die alten Blöcke des Kalten Kriegs und die um die Vormacht ringenden | |
Länder in der Region, sondern auch die ethnischen und die noch viel älteren | |
religiösen Gegensätze zwischen den Schiiten und Sunniten | |
aufeinanderprallen. | |
## Mit jedem Toten wächst der Hass | |
Die Tatenlosigkeit führt jedoch dazu, dass sich die Lage weiter | |
verschlimmert. Der Aufstand in Syrien hat bereits mindestens 30.000 Tote | |
gefordert, schätzungsweise 2 Millionen Syrer wurden bislang vertrieben, und | |
300.000 sollen geflohen sein. Mit jedem Toten wächst der Hass zwischen den | |
Sunniten, die den Aufstand tragen, und der Minderheit der Alawiten, die den | |
Machtapparat kontrollieren. | |
Die Vermittlungsversuche des Sondergesandten der UN und der Arabischen | |
Liga, Lakhdar Brahimi, blieben ergebnislos. Dass er mehr Erfolg hat als | |
sein Vorgänger Kofi Annan ist unwahrscheinlich. Assad ist schlicht zu | |
keinem Kompromiss bereit, der auch für die Aufständischen akzeptabel wäre. | |
Er glaubt offenbar tatsächlich, dass er den Krieg gewinnen kann, egal zu | |
welchen Preis. Das ist illusorisch. Die Folge ist derzeit ein militärisches | |
Patt, das Extremisten größeren Zulauf verschafft. Gleichzeitig steigen die | |
Spannungen in den Nachbarländern Libanon, Jordanien und Irak. | |
Im Libanon droht die von Iran unterstützte Hizbollah Israel mit | |
Drohnenangriffen, während gleichzeitig die Spannungen zwischen Schiiten und | |
Sunniten steigen. In Jordanien gerät das Königshaus durch die wachsende | |
Zahl an Flüchtlingen unter Druck, während die Opposition über die halbgaren | |
Reformen immer unzufriedener wird. Die USA haben mittlerweile 150 Soldaten | |
stationiert, um gegebenenfalls syrische Massenvernichtungswaffen zu | |
sichern. Aber auch, um die Flüchtlingswellen zu kontrollieren, sollte Assad | |
stürzen. | |
## Keine neo-osmanischen Großmachtträume | |
Derweil gerät der Irak immer mehr in den Orbit Teherans, wobei die | |
schiitische Regierung aus Furcht vor einer Einkreisung durch sunnitische | |
Gegner – sollten im Nachbarland die Sunniten an die Macht kommen – | |
gegenüber den Sunniten im eigenen Land nur zu halbherzigen Kompromissen | |
bereit ist. Dadurch trägt sie zum erneuten Erstarken von al-Qaida bei. | |
Mit ihrer brüsken Haltung gegenüber den Schiiten im Irak und ihrem Support | |
für die sunnitischen Rebellen hat die Türkei durchaus ihren Anteil an den | |
Verwerfungen. Ihr jedoch eine konfessionalistische Politik im Verbund den | |
sunnitischen Golfmonarchien, allen voran dem Iran-Gegner Saudi-Arabien | |
sowie Katar, oder gar neo-osmanische Großmachtträume vorzuwerfen, geht an | |
der Realität vorbei. | |
Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hat erfolglos versucht, seinem Freund | |
Assad ins Gewissen zu reden und ihn zu Reformen zu bewegen. Dann hatte er | |
wie auch der Westen auf einen schnellen Regimewechsel gehofft und | |
schließlich auf die Einrichtung einer wie immer gearteten Schutzzone | |
gedrängt. Erst als klar wurde, dass weder die USA noch die Nato zu einem | |
Eingreifen bereit sind, schlug er eine härtere Gangart ein. Der Kurswechsel | |
verrät also auch eine gewisse Hilflosigkeit. | |
Vermutlich setzt Erdogan darauf, durch erhöhten Druck den Regimewechsel in | |
Damaskus zu beschleunigen. Das Problem ist nur, dass auch Ankara keinen | |
Plan für die Zeit nach Assad hat. | |
13 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Inga Rogg | |
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