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# taz.de -- Psychiater über Zwangsmedikation: „Nur kurzfristig zur Gefahrena…
> Der Psychiater Bruno Steinacher begrüßt das Verbot von
> Zwangsmedikationen. Auch wenn nun einigen Patienten nicht geholfen werden
> kann.
Bild: Fixieren ist umstritten: nachgebautes Behandlungszimmer einer Ausstellung.
taz: Herr Steinacher, psychisch Kranke dürfen bis auf weiteres nicht mehr
gegen ihren Willen mit Medikamenten behandelt werden, auch wenn der
Betreuer das will. Haben Sie das BGH-Urteil begrüßt?
Bruno Steinacher: Ja, man muss nachregeln, sonst ist die Missbrauchsgefahr
zu groß.
Psychiater klagen jetzt aber über „Verwahrpsychiatrie“. Man habe
zwangseingewiesene Menschen in den Kliniken, dürfe sie aber nicht behandeln
…
Das ist ein wenig übertrieben. Es gibt ja viele andere
Behandlungsmöglichkeiten wie etwa Psycho- oder Soziotherapie. Wir versuchen
dabei immer, das Vertrauen unserer Patienten zu gewinnen und sie von
unserem Behandlungskonzept im Gespräch zu überzeugen. Wenn wir davon
ausgehen, dass der Nutzen von Medikamenten sehr groß sein wird, versuchen
wir, die Patienten dafür zu gewinnen. Das gelingt uns sehr, sehr häufig.
Aber nicht immer.
Was machen Sie dann neuerdings?
Wir entlassen die Patienten schließlich wieder in ihr gewohntes Umfeld.
Wie oft ist das seit Juli vorgekommen?
Bisher wurden drei Patienten entlassen. Diese Menschen sind allerdings
häufig von Wohnungsverlust bedroht. Bevor sie uns gebracht wurden, hatten
sie oft Ärger mit Hausverwaltung und Nachbarn, es kam zu Klagen oder
Mahnungen. Wenn sie unbehandelt nach Hause gehen, läuft das manchmal
einfach so weiter. Sie drohen dann in die Obdachlosigkeit zu stürzen.
Wie viele Patienten sind aktuell bei ihnen zwangsuntergebracht?
Wir haben knapp 130 Behandlungsplätze und ich schätze, fünf von unseren
Patienten davon sind durch ihren Betreuer untergebracht worden.
Bei einer Betreuung hat das Gericht der Zwangsmedikation einen vorläufigen
Riegel vorgeschrieben. Aber Zwangsmedikation ist ohne Betreuung weiterhin
möglich, wenn die akute Gefahr besteht, dass der psychisch Kranke sich oder
andere schädigt und beispielsweise durch die Polizei vorbeigebracht wird …
Ja, aber es geht da wirklich nur um eine kurzfristige Gefahrenabwehr. Wir
Psychiater sind geschult im Deeskalieren, im aktiven Zuhören, im
nonverbalen Erreichen von Menschen. Diese Dinge müssen einer
Zwangsmedikation von Patienten zwingend vorausgehen.
Wann haben Sie das letzte Mal eine Zwangsmedikation angewandt?
Vor kurzem bei einem Patienten, der unsere Rettungsstelle verwüstet hat. Da
kamen wir mit Reden und Zuhören nicht weiter.
Wann fixieren Sie Menschen?
In ähnlichen Situationen. Manchmal fixieren wir nur kurz, bis der hohe
Erregungszustand vorbei ist. Die Psychiater streiten übrigens darüber, was
denn humaner ist, Zwangsmedikation oder Fixierung.
Was finden Sie?
Es kommt darauf an. Wenn jemand in einen Ausnahmezustand gerät wegen
psychotischer Angst, glaube ich, dass man gegen diese Angst auch etwas mit
Medikamenten tun muss. Denn sonst schnallt man ihn nur an einem Bett fest,
das stelle ich mir grauenhaft vor. Das kann bestehende Ängste noch
verstärken.
Welche Regeln gibt es für Fixierungen?
Wenn ein Patient am Bett fixiert ist, muss jemand aus der Pflege die ganze
Zeit danebensitzen. Außerdem gehören Fixierungen und Zwangsmedikationen im
Team und mit dem Patienten nachbesprochen. Ich sage meinen Patienten oft,
dass wir selber Angst hatten. Es sind ja häufig Menschen, die in ihrem Wahn
Todesangst haben und dann unmenschliche Kräfte entwickeln.
Wird Elektrokrampftherapie noch angewandt?
Ja. Wir machen es im Haus selbst nicht, aber haben Fälle, wo wir Patienten
dazu in andere Kliniken verlegen. Aber nur mit ihrem Einverständnis.
Das gibt es nicht als Zwangsbehandlung?
Nein, weil es niemals zur akuten Gefahrenabwehr dient. Diese Behandlung ist
schwersten Depressionen vorbehalten, die durch psycho-, sozio- oder andere
therapeutische Verfahren oder Medikamente nicht behandelbar erscheinen.
19 Oct 2012
## AUTOREN
Eva Völpel
## TAGS
Psychiatrie
Medizin
Zwangsbehandlung
Psychiatrie
Alten- und Pflegeheime
psychische Gesundheit
Psychiatrie
Behandlung
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