# taz.de -- Kommentar Nebeneinkünfte: Die große Korruption | |
> Das Zehn-Stufen-Modell für Nebeneinkünfte der Parlamentarier wird wenig | |
> helfen. Denn Lobbyismus ist wie Wasser: Er findet immer seinen Weg. | |
Es sieht aus, als hätten Union und FDP nachgegeben: Die Abgeordneten des | |
Bundestags werden ihre Zusatzeinkünfte bald wesentlich genauer angeben | |
müssen als bislang. Dabei wird herauskommen, dass die Neben-Großverdiener | |
mehrheitlich nicht in den Oppositionsreihen sitzen, sondern bei | |
Schwarz-Gelb. Geschieht ihnen recht – das haben sie nun davon, dass sie | |
versuchten, den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück mit seinen | |
Rednerhonoraren durchs Dorf zu jagen. | |
Was aber hat nun die geneigte Öffentlichkeit genau davon? Einerseits ist | |
die Debatte über Nebeneinkünfte ein Wert an sich: Die WählerInnen erfahren, | |
dass Abgeordnete schöne Möglichkeiten haben, ihre Weisheit auch am Markt zu | |
verkaufen und nicht nur im Bundestag. Welchen Einfluss die Auftraggeber | |
dadurch aber aufs Gewissen des Abgeordneten nehmen, wissen sie noch lange | |
nicht. Das ist auch schwer messbar. | |
Mehr Transparenz ist ebenfalls ein Wert an sich: Künftig wird sich ein | |
Abgeordneter fragen lassen müssen, warum er nicht etwa bloß „über 7.000 | |
Euro“ im Monat dazuverdient, sondern sogar fünfstellige Summen. Mit etwas | |
Glück macht er sich dann über seine Realitätswahrnehmung im Unterschied zur | |
2.300-Euro-Durchschnittsverdienerin einen zusätzlichen Gedanken. | |
Vielleicht aber auch nicht. Zu viele Abgeordnete, aber auch zu viele | |
MinisterInnen, StaatssekretärInnen, Spitzenbeamte, zu viele politische | |
Akteure insgesamt lassen sich allzu gern von Wirtschaftslobbyisten | |
erklären, was nötig ist. Daran wird die Nebenverdienstregelung | |
wahrscheinlich sehr wenig bis nichts ändern. | |
Denn Industrie- und Unternehmensvertreter finden mannigfaltige Wege, | |
PolitikerInnen für ihre Interessen einzuspannen und sie dann auch zu | |
belohnen. Der unziemliche Lobbyismus, das Geschäft Geld gegen Einfluss, ist | |
keine zu erjagende Trophäe, die dann an die Wand genagelt werden kann. Er | |
ist eher wie Wasser, das sich seinen Weg sucht – vor allem dort, wo der | |
Widerstand gering ist: Wo also die zuständigen PolitikerInnen sowieso kein | |
eigenes Interesse am Thema haben, dafür aber hohe Schulden (siehe Christian | |
Wulff), passieren solche Dinge. | |
Das funktioniert längst nicht nur über den bezahlten Redeauftritt mit dem | |
teuren Essen in netter Runde hinterdrein. Was von Ex-Rentenminister Walter | |
Riester (SPD) zu halten ist, der sich als Redner schon hunderttausende Euro | |
dafür hat auszahlen lassen, dass er die Rentenversicherung an die | |
Privatassekuranz verscheuert hat, ist hinlänglich klar. Riester wird | |
politisch nie wieder etwas zu sagen haben, aber der Schaden ist ja auch | |
schon geschehen. | |
Viel größere Summen aber fließen dort, wo auch recht konkrete | |
Transparenzregeln nicht hinlangen: Anwälte können zum Beispiel rechtlich | |
schwer gezwungen werden, Mandate detailliert offenzulegen. Lässt sich ein | |
Abgeordneter außerdem seinen Wahlkampf von der regionalen Rüstungsindustrie | |
bezahlen, ist dies leicht unter Parteispende verbuchbar und läuft nicht | |
unter Korruption. | |
Zur besseren Ermittlung dessen, an wessen Wohl ein Politiker seine | |
Entscheidung ausrichtet, gehört wahrscheinlich viel stärker die Frage, was | |
er nach der politischen Karriere verdient, und nicht, was er in dieser Zeit | |
bekommt. Es sind längst nicht nur Kanzler, die wie Gerhard Schröder im | |
Verdacht stehen, ihre letzten Amtshandlungen am Interesse des künftigen | |
Arbeitgebers auszurichten. | |
Um zu verhindern, dass – wie bei Riester und der Rente – das Wahlvolk immer | |
nur im Nachhinein schlauer ist, wäre eine Karenzzeit nötig, vielleicht nach | |
kanadischem Vorbild. Fünf Jahre müssen ehemalige politische Entscheider | |
dort warten, bis sie in die Wirtschaft wechseln dürfen. Das ist lang – zu | |
lang für Abgeordnete, die Geld verdienen müssen und darum ein staatliches | |
Übergangsgeld bräuchten. Lang genug aber für Leute wie etwa Wolfgang | |
Clement. Diese müssten dann ihr Ministerwissen etwas anstauben lassen, | |
bevor sie es bei der Energie-, der Arbeitsvermittlungs- und bei allen | |
möglichen anderen Industrien vergolden können. | |
Hätte ein Clement im Amt gewusst, dass er nicht so schnell würde so viel | |
Geld verdienen können, wären seine Reformen vielleicht weniger einseitig | |
ausgefallen. Sicher ist das nicht. Aber eine Chance – für die nächste | |
Generation. | |
25 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Winkelmann | |
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