# taz.de -- New York nach Hurrikan „Sandy“: Manhattan unplugged | |
> In New York ist nach dem Hurrikan „Sandy“ ein Viertel der Menschen ohne | |
> Strom. Das wird wohl auch noch einige Tage so bleiben. | |
Bild: „Völlig irre“: Manhattans Skyline ohne Strom. | |
Am Abend, gegen halb sieben, wird es dunkel in Manhattan. Richtig dunkel. | |
Es ist dann praktisch, wenn man neben einer Straße entlangläuft, auf der | |
Autos fahren, weil die Scheinwerfer haben. Autos können einem jetzt den Weg | |
leuchten. | |
In den autofreien Nebenstraßen ist es schwarz. Es ist ein bisschen, als | |
würde man sich nachts in einer fremden Wohnung zum Klo tasten, weil man den | |
Lichtschalter nicht findet. Umrisse zeichnen sich ab, viel mehr nicht. | |
Manchmal leuchten Taschenlampen, manchmal Kerzen. Ein Laden hat geöffnet. | |
Ein paar Jungs stehen davor, zeigen mit ihrem Lichtkegel auf ein Häufchen | |
Obst oder Gemüse oder, ja was genau, der Kegel ist schon wieder aus. „You | |
need something?“ Es klingt nach Drogenhandel, ein bisschen gefährlich. Aber | |
irgendwie klingt hier gerade alles etwas gefährlich, weil man oft gar nicht | |
sehen kann, wer da gerade etwas sagt. | |
Es kann noch ein paar Tage dauern, bis nach dem Sturm die Lichter wieder | |
angehen, bis die Fernseher wieder funktionieren, bis das Wasser wieder nach | |
oben gepumpt werden kann, in die Toilettenspülkästen. Bis dahin müssen sich | |
jetzt alle engagieren, von der 34. Straße abwärts. | |
Die 34. Straße ist die Stromgrenze. Manhattan ähnelt jetzt Teilen von | |
Mumbai. Menschen knien mit Kanistern vor Hydranten und zapfen Wasser. | |
Strom heißt im Englischen auch Power und Power auch Macht. Und darum geht | |
es jetzt manchmal. Machtlosigkeit. | |
## Seltsame Ruhe | |
Vor dem Universitätsklinikum in der ersten Avenue steht ein Lastwagen | |
voller Generatoren. Sie haben nicht geholfen, das Klinikum musste evakuiert | |
werden. Ein Krankenwagen nach dem anderen fuhr vor, brachte Patienten in | |
andere Kliniken. | |
Im stromlosen Manhattan hat sich eine seltsame Ruhe ausgebreitet, wie am | |
Sonntag in einer deutschen Kleinstadt. Die Leute scheinen langsamer zu | |
laufen. In einem der wenigen offenen Cafés sitzen ein paar Polizisten in | |
der Ecke. Eine Frau kommt herein: „Ihr habt hier Kaffee? Wow, wirklich? Wie | |
habt ihr das geschafft?“ Der Mann hinterm Tresen lächelt: „Das ist unser | |
Geheimnis.“ Aus einem Kassettenrekorder läuft leise Musik. | |
Draußen röhren Generatoren, aus Schläuchen rinnt Wasser auf die Straße. Vor | |
dem deutsche Restaurant „Zum Schneider“ stehen Bierfässer auf der Straße. | |
Es wird Wochen dauern, schätzt der Besitzer, bis sie wieder aufmachen | |
können. Bilder von dieser Kreuzung waren im Internet zu sehen. | |
Polizeiwagen, die fast im Wasser schwammen. Manche hielten die Fotos für | |
Fälschungen, weil die Zeit von Sandy ja auch die Zeit der | |
Photoshop-Berichterstattung auf Instagram war, dieser Foto-Sharing-App. | |
Delphine auf New Yorks Straßen, solche Sachen. Es gibt aber auch ein Video, | |
das die Polizeiwagen im Wasser zeigt. | |
Im Strombezirk, am Times Square, leuchten die Reklamen, auf Fernsehern ist | |
Barack Obama zu sehen, der Präsident, wie er mit dem Gouverneur von New | |
Jersey die kaputtgespülte Küste besucht. Niemand bleibt stehen und schaut. | |
Eine Verkäuferin in einem Schuhladen hat vier Stunden gebraucht, um mit dem | |
Auto zur Arbeit zu fahren. Kaum Busse, viele U-Bahn-Linien sind noch außer | |
Betrieb. Aber die Leute drängen in die Stadt. Auf den Brücken, die nach | |
Manhattan hineinführen, ist zeitweise eine Art Fußgängerstau. Jogger kommen | |
kaum durch. | |
Am Abend kann man von einer der Brücken aus nach Manhattan schauen. „Völlig | |
irre“, sagt ein junger Mann. „So was hab ich noch nicht gesehen. Alles | |
komplett schwarz.“ | |
Nur manchmal leuchtet dort unten ein Lastwagen. Darum herum stehen dann | |
Leute, wie um ein Feuer. Wenn man hingeht, sieht man, dass man dort sein | |
Smartphone aufladen kann. „Tut mir leid, ich muss jetzt wirklich gehen“, | |
sagt der Mann von der Telekommunikationsfirma Verizon, der den Wagen | |
hergefahren hat. „Anweisung von oben.“ | |
Es wird noch ein bisschen dunkler. | |
1 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Johannes Gernert | |
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