# taz.de -- taz-Gesprächsrunden zur Terrorzelle NSU: „Aus der Mitte der Gese… | |
> Ein Jahr ist es her, seit der NSU aufflog. Bei taz-Gesprächsrunden | |
> diskutierten Betroffene, Zeugen und Politiker über die Verantwortung. | |
Bild: Es wurde auch über Mölln und Sarrazin gesprochen: Zuschauer bei einer d… | |
BERLIN taz | Nachdem in der Keupstraße in Köln im Juni 2004 eine Nagelbombe | |
explodiert war, vermuteten die meisten Anwohner, dass Nazis | |
dahintergesteckt haben mussten. „Das haben alle gesagt“, unterstrich Hülya | |
Özdag, die in der Keupstraße eine Konditorei betreibt. Doch die Polizei | |
ging von einem Streit zwischen Türken und Kurden oder Schutzgelderpressung | |
aus. | |
Fast 300 Zuhörer drängten sich am Donnerstag abend im Theatersaal des | |
„Ballhaus Naunynstraße“ in Berlin, um die Sicht von Betroffenen, Zeitzeugen | |
und Politikern über den „braunen Terror“, dessen blutige Spur sich von | |
Mölln und Solingen bis zu den Taten des NSU-Trios zieht, zu erfahren. | |
Eingeladen hatten die taz und die Heinrich-Böll-Stiftung. | |
Ein großer Teil der beiden Gesprächsrunden drehte sich um die Frage, warum | |
die Behörden so lange so blind sein konnten, das Motiv – mörderischen | |
Türkenhass – zu übersehen. „Das Wort Panne kann ich in diesem Zusammenhang | |
nicht mehr hören“, bekannte Petra Pau, die für die Linke im | |
Bundestags-Untersuchungsausschuss sitzt. Und Mehmet Daimagüler, der als | |
Anwalt zwei Opferfamilien vertritt, befand: „Wir können nicht über den NSU | |
reden, ohne über Thilo Sarrazin zu sprechen“. | |
Das sah Ibrahim Arslan genau so. Er war sieben Jahre alt, als zwei Neonazis | |
einen Anschlag auf das Haus seiner Familie in der Mühlenstraße in Mölln | |
verübten. Der Junge überlebte nur, weil seine Großmutter ihn in ein nasses | |
Tuch wickelte, seither trägt er einen nervösen Reizhusten mit sich; seine | |
Cousine, seine Schwester und seine Großmutter starben in den Flammen. Vor | |
zwei Jahren kam Ibrahim Arslan nach Berlin, als Thilo Sarrazin dort | |
erstmals sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ vorstellte. „Es war | |
wichtig für mich gegen einen Menschen zu demonstrieren, der Nazis | |
aufpusht“, erklärte er dazu. | |
## „Die Medien haben dazu beigetragen“ | |
Jahrelang musste Arslan um eine Opferentschädigungsrente kämpfen, auch von | |
seiner Stadt fühlt er sich schlecht behandelt. Jetzt, wo sich der Anschlag | |
dort zum zwanzigsten Mal jährt, wird es in Mölln ein Solidaritätskonzert | |
mit Musikern wie Jan Delay geben, zu dem Ibrahim Arslan alle Anwesenden | |
einlud. Allerdings, so der 27-jährige, gebe es in Mölln derzeit Graffitis | |
mit dem Slogan „Nationalsozialismus jetzt“ . „Die Medien haben einen gro�… | |
Teil dazu beigetragen, Vorurteile zu säen“, kritisierte Hülya Özdag, die | |
nach dem Anschlag in der Keupstraße mithalf, dort ein Solidaritätsfest zu | |
veranstalten. Doch der Ruf der Straße war ruiniert. | |
Auch Wolfgang Richter, der ehemalige Ausländerbeauftragte von Rostock, | |
mahnte die Verantwortung der Medien an. Er erinnerte daran, dass es eine | |
Lokalzeitung war, die jenen anonymen Drohbrief abdruckte, der Gewalt | |
ankündigte, mit dem 1992 das Drama im Stadtteil Lichtenhagen begann. Die | |
organisierte Naziszene sei erst später auf den Zug aufgesprungen, so | |
Richter, der vor zwanzig Jahren in Lichtenhagen mehrere angstvolle Stunden | |
mit verängstigten Vietnamesen und einem ZDF-Kamerateam im Sonnenblumenhaus | |
eingeschlossen war. | |
Leider gebe es immer wieder Anzeichen dafür, dass man vor den Rechten | |
zurückweiche, hat Wolfgang Richter festgestellt. Erst im Mai sprach sich | |
ein Ortsbeirat der Stadt dagegen aus, eine Straße nach dem Mordopfer der | |
Neonazi-Zelle NSU, der dort in einem Imbissstand erschossen worden war, in | |
Mehmet-Turgut-Weg umzubennennen. „Das kommt aus der Mitte der Gesellschaft, | |
nicht von organisierten Nazis“, betonte Richter. | |
2 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
Daniel Bax | |
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