| # taz.de -- Gedenk- und Protestdemo für NSU-Opfer: Viele offene Fragen | |
| > Rund 3.000 Menschen demonstrieren im Gedenken an die von den | |
| > Rechtsradikalen ermordeten Menschen. Dem BKA wollten sie ihre Fragen auf | |
| > die Fassade projizieren. | |
| Bild: Gedenken und Protest mit den Fotos der Opfer. | |
| BERLIN taz | Gleich zu Anfang drehen zehn der Demonstranten der Polizei | |
| ihren Rücken zu. „Genug geschwiegen, geduldet, gedeckt“, lesen die Beamten | |
| nun auf den weißen Hemden. Sie lassen keine Regung erkennen. | |
| „Nichts hat sich geändert“, klagt eine der zehn, Figen Izgin, Deutschtürk… | |
| und Lokalpolitikerin der Linkspartei. Ein Jahr ist vergangen, seit bekannt | |
| geworden ist, dass der „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zehn | |
| Morde begangen hat. Deswegen steht Izgin jetzt auf der Straße. Immer noch, | |
| sagt sie, werde über Integration rassistisch diskutiert, habe die Polizei | |
| nichts gelernt. Und die Migranten verharrten in ihrer Angst. | |
| Rund 3.000 Demonstranten sind es am Sonntagnachmittag in Berlin, die das | |
| Schweigen durchbrechen wollen. Ihr rotes Fronttransparent kündet: „Das | |
| Problem heißt Rassismus.“ | |
| Mehr als 60 Gruppen haben sich an der Organisation der Demonstration | |
| beteiligt, darunter Antirassismus-Initiativen und Migrantenverbände, aus | |
| deren Reihen auch die Reden kommen. Parteifahnen finden sich erst am Ende | |
| des Aufzugs. | |
| ## Türkische Verbände zurückhaltend | |
| Vor einem Jahr war es die Berliner Sektion der Türkischen Gemeinde in | |
| Deutschland, die als Erste ihr Entsetzen mit Mahnwachen und einem Autokorso | |
| auf die Straße trug. Diesmal gehörte der Türkische Bund in | |
| Berlin-Brandenburg nur zu den Unterstützern. Die Ditib, größter türkischer | |
| Islamverband in Deutschland, hat sich noch gar nicht öffentlich zum Thema | |
| geäußert. | |
| In Berlin-Kreuzberg, am Oranienplatz, beginnt der Aufzug, wo seit Wochen | |
| Flüchtlinge für bessere Lebensbedingungen campieren. Einer von ihnen, | |
| Turgay Ulu, greift zum Mikrofon. „Auch wir kämpften gegen Rassismus“, ruft | |
| Ulu. „Wir müssen endlich alle rassistischen Gesetze abschaffen“, fordert | |
| auch Demonstrations-Mitorganisator Garip Bali. | |
| Es ist der Tenor auf der Demo: Polizei und Sicherheitsbehörden hätten ihr | |
| Versagen nicht aufgearbeitet und die Gesellschaft schweige über ihren | |
| Rassismus. „Weg mit V-Leuten und Aktenvernichtern“, heißt es auf einem | |
| Transparent. Polizeisprecher Stefan Redlich, der den Aufzug am Rand | |
| begleitet, gibt sich selbstkritisch. Ja, auch bei der Polizei müsse „noch | |
| mehr passieren“. Man bemühe sich aber um „interkulturelle Kommunikation“. | |
| 20 Prozent der neu eingestellten Polizisten seien Migranten. „Auch wenn es | |
| noch viel zu tun gibt, wir sind auf dem richtigen Weg, denke ich.“ | |
| Am Ende erreicht der Demozug die Berliner Außenstelle des | |
| Bundeskriminalamts. „Verfassungsschutz abschaffen“, fordern Redner. Dann | |
| sollten die Namen der zehn NSU-Ermordeten an die Fassade projiziert werden | |
| – und Fragen. „Woher kam der Sprengstoff? Wie viele V-Leute werden vom | |
| Staat bezahlt?“ Laut Veranstaltern wurde dies aber von der Polizei | |
| unterbunden, da in dem Gebäude noch gearbeitet worden sei. | |
| ## Proteste auch in Hamburg | |
| In Hamburg protestierten etwa 1.000 Menschen schon am Samstag zum Jahrestag | |
| der NSU-Mordserie. Da sangen fünf mit Schlapphut, Brille und Mantel | |
| ausstaffierte Männer: „Ja sagt mal, wo kommt ihr denn her? Vom | |
| Geheimdienst, bitte sehr! Wisst ihr, wo die Nazis sind? Wir sind leider | |
| rechts sehr blind!“ Die Persiflage auf die Verfassungsschutzstrukturen fand | |
| große Zustimmung. | |
| Im thüringischen Jena, in der Heimatstadt der NSU-Terroristen, zogen etwa | |
| 250 Menschen friedlich durch die Innenstadt, in Bochum versammelten sich | |
| rund 150 Demonstranten zu einer Kundgebung; auch in Magdeburg waren es rund | |
| 150. Dagegen war es im sächsischen Zwickau trotz intensiver Bemühungen | |
| nicht gelungen, eine Aktion zu initiieren, sagte ein Sprecher des | |
| Bündnisses gegen das Schweigen. Im Zwickau hatte das NSU-Trio rund zehn | |
| Jahre lang im Untergrund gelebt. | |
| 4 Nov 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
| Konrad Litschko | |
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