# taz.de -- NS-Geschichte der Behörden: „Die Regierung mauert noch immer“ | |
> Deutsche Behörden tun sich weiterhin schwer, ihre Geschichte | |
> aufzuarbeiten. Heute diskutiert dazu der Deutsche Bundestag. | |
Bild: Aufgeräumt: Die Studie „Das Amt“ erforscht die Geschichte des Auswä… | |
taz: Herr Korte, Union, SPD und FDP wollen die Erforschung der | |
NS-Verstrickung von Behörden und Ministerien verbessern. Warum unterstützt | |
die Linkspartei diesen Antrag nicht? | |
Jan Korte: Weil der gut klingt, aber zu unverbindlich und nicht weitgehend | |
genug ist. Wir fordern, dass, wie es in der Studie „Das Amt“ beim | |
Auswärtigen Amt geschehen ist, alle Ministerien und Behörden erforscht | |
werden. Dies darf nicht auf deren frühe Geschichte beschränkt bleiben, auch | |
die Fälle der sechziger und siebziger Jahre müssen einbezogen werden. | |
Das ist nötig. Wir haben die Bundesregierung gefragt, wie viele Beamte nach | |
1949 im Justizministerium wegen NS-Belastung entlassen wurden. Antwort: | |
einer. Im Auswärtigen Amt waren es drei. Obwohl es Fortschritte gibt, etwa | |
die gute Studie zum Bundeskriminalamt, fehlt eine systematische und | |
lückenlose Aufarbeitung. | |
Und die wollen Union, SPD und FDP nicht? | |
Ich fürchte, nein. Dafür brauchen wir freien Zugang zu allen Akten. Nicht | |
nur für eine Historikerkommission, sondern für Historiker, die verschiedene | |
Deutungen der Quellen erarbeiten, und auch für Journalisten. | |
Die Historikerkommission, die die BND-Akten untersucht, darf alles sichten, | |
aber keine Akten publizieren, deren Veröffentlichung den Bestand der | |
Bundesrepublik gefährdet oder wenn andere Dienste wie die CIA Einspruch | |
erheben. Wenn BND und Historiker sich nicht einigen, soll eine | |
Schiedskommission urteilen. Ist das zu wenig Transparenz? | |
Ja. Bei dieser Veröffentlichungspraxis ist am Ende der Goodwill von | |
BND-Führung und Kanzleramt ausschlaggebend. Noch absurder ist es beim | |
Verfassungsschutz. Dort entscheidet, laut Auskunft der Bundesregierung, der | |
Verfassungsschutz sogar „über presseöffentliche Maßnahmen zur Bewerbung“ | |
der Studie. | |
Gleichzeitig dürfen die Historiker während des Projekts nur mit Erlaubnis | |
des Verfassungsschutzes mit der Presse reden. Das hat nichts mit | |
schonungsloser Aufklärung zu tun. Das ist eine inakzeptable Kontrolle | |
historischer Forschung. | |
Gibt es keine Akten, die vor Veröffentlichung geschützt werden müssen? | |
Nein, nicht nach so vielen Jahrzehnten. SS-Mörder wie Klaus Barbie, Walther | |
Rauff und Carl Theodor Schütz wurden von bundesdeutschen Geheimdiensten | |
bezahlt. Das ist erst Jahrzehnte später publik geworden – und nur weil es | |
öffentlichen Druck gab. Es muss Schluss sein mit dem Versteckspiel. Deshalb | |
fordern wir gerade bei den Geheimdiensten freien Zugang zu den Akten, um | |
die braunen Wurzeln sichtbar zu machen. Da mauert die Bundesregierung. | |
Noch immer? Seit der vom früheren Außenminister Joschka Fischer in Auftrag | |
gegebenen Studie „Das Amt“ von 2010 ist doch viel in Bewegung gekommen … | |
Ja, es gibt mehr historische Forschung, aber nur wegen des öffentlichen | |
Drucks. Und es ist auch kein Zufall, dass dies erst jetzt geschieht, 50 | |
Jahre später, da alle Täter tot sind. Vorher war das nicht möglich. Kein | |
Grund, Hurra zu rufen. | |
Union, SPD und FDP wollen jetzt untersucht wissen, warum trotz so vieler | |
Nazi-Täter in den Behörden aus der Bundesrepublik eine freiheitliche | |
Demokratie wurde. Gute Frage – oder? | |
Ja, ist es. Aber nur wenn man berücksichtigt, wie die Bundesrepublik in den | |
50er Jahren war. Es gab ja nicht nur die skandalös vielen NS-Täter in den | |
Ministerien, sondern auch eine bodenlose Rechtsprechung. Massenmörder, die | |
in Einsatzgruppen die Ermordung von Zehntausenden Juden angeordnet und mit | |
durchgeführt hatten, wurden, wenn überhaupt, nicht als Täter, sondern als | |
Gehilfen verurteilt. | |
Wie hat das damals auf Reemigranten wie Fritz Bauer gewirkt, die sowieso | |
hoffnungslos in der Minderheit waren? Die 50er Jahre waren keine | |
Erfolgsgeschichte. All das fehlt in dem Antrag von SPD, Union und FDP. Dort | |
steht, dass im Westen „der Aufbau einer freiheitlichen Ordnung früh | |
gelungen ist“. | |
Wo sind denn die größten Forschungslücken? | |
Neben den Geheimdiensten beim Innenministerium, wo etwa die Verantwortung | |
für die mit NS-Tätern durchsetzten Sicherheitsbehörden lag. Da ist noch | |
viel unbekannt. Und natürlich auch beim Bundestag. | |
Das ist alles schon lange her. Was folgt praktisch aus dieser Debatte? | |
Es ist lange her – aber andererseits wurden Opfer der Nazi-Justiz wie die | |
„Kriegsverräter“ erst 2009 rehabilitiert. Wir sind es den Opfern und | |
Hinterbliebenen schuldig, die Fehlentwicklungen am Beginn der | |
Bundesrepublik zu benennen und vor allem daraus zu lernen. | |
Es geht auch um eine realistische Aufarbeitung des Kalten Krieges und eine | |
Selbstvergewisserung der demokratischen Institutionen. Und es ist Zeit, | |
dass sich auch Union und FDP endlich kritisch mit ihrer Rolle bei der | |
Integration der NS-Täter beschäftigen. | |
8 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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