| # taz.de -- Grünes Spitzenduo: Die Wiederauferstehung | |
| > Die erlösende SMS kam um 9.57 Uhr: Katrin Göring-Eckardt ist die neue | |
| > Spitzenfrau der Grünen. Damit feiert die Sozialpolitikerin ein | |
| > überraschendes Comeback. | |
| Bild: Die Überraschung ist ihr gelungen: Kathrin Göring-Eckardt ist die neue … | |
| BERLIN taz | Nach ihrem ersten Fernsehinterview als Spitzenkandidatin atmet | |
| Katrin Göring-Eckardt erst einmal tief durch. Sie sieht den jungen Mann, | |
| der schräg hinter der Kamera steht. Geht zwei Schritte auf ihn zu und | |
| umarmt ihn. Drei, vier lange Sekunden in all dem Trubel. Es ist ihr Sohn, | |
| der in die Uferstudios im Berliner Stadtteil Wedding gekommen ist, um sich | |
| den ersten offiziellen Auftritt seiner Mutter anzuschauen. | |
| Es ist halb zwei Uhr an diesem Samstag, seit gerade mal dreieinhalb Stunden | |
| weiß die grüne Bundestagsvizepräsidentin, dass sich ihr Leben in den | |
| nächsten zehn Monaten komplett ändern wird - und vielleicht auch danach. Um | |
| 9.57 Uhr bekam Göring-Eckardt eine SMS. Absenderin war | |
| Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke, die den Kandidatinnen und Kandidaten, | |
| die sich den gut 59.500 Parteimitgliedern der Grünen zur Wahl gestellt | |
| hatten, das Ergebnis der Abstimmung mitteilte: Göring-Eckardt und | |
| Fraktionschef Jürgen Trittin seien die gewählten Spitzenkandidaten, simste | |
| Lemke. | |
| Mit dieser SMS begann ein politischer Tag, an dem sich die Ereignisse | |
| überstürzten – und dessen Folgen im Moment noch nicht zu überschauen sind. | |
| Weder die für Göring-Eckardt, noch die für andere Spitzengrüne. | |
| Bereits wenige Minuten nach der Info an die Kandidaten tritt Lemke in | |
| Berlin vor die Presse, wo die Grünen eine ehemalige Werkstatt der Berliner | |
| Verkehrsbetriebe in ein Wahlcenter umfunktioniert hatten. Lemke, leichte | |
| Schatten unter den Augen, sagt, die Basis habe „weise entschieden“. Bis in | |
| den späten Abend hatten Lemke und ihre Helfer das Ergebnis bei | |
| Dominosteinen und Apfelscheibchen ausgerechnet. Bis zuletzt behandelten sie | |
| die zwei Namen wie ein Staatsgeheimnis. | |
| Das Duo stehe für eine „Balance zwischen Kontinuität und Erneuerung“, sagt | |
| Lemke im Scheinwerferlicht. Trittin sei als Anwalt des Atomausstiegs | |
| bekannt, Göring-Eckardt als Kämpferin für die soziale Gerechtigkeit. Das | |
| ist die Erzählung, für die das neue Duo stehen soll: Trittin, | |
| Ex-Umweltminister und Altkämpe, hat nicht nur Gewicht in der Finanz- und | |
| Europapolitik, er kann auch im Kernthema Energie und Umwelt eine Schneise | |
| ziehen. Göring-Eckardt, die Sozialpolitikerin, soll dem Eindruck entgegen | |
| treten, die Grünen vernachlässigten das Soziale. | |
| ## Eine Sensation | |
| Das Doppel ist in dieser Zusammensetzung eine Überraschung. Mit Trittin, | |
| der knapp 72 Prozent schaffte, hatten alle gerechnet. Aber dass sich | |
| Göring-Eckardt (47 Prozent) klar gegen die Fraktionsvorsitzende Renate | |
| Künast (39 Prozent) und Parteichefin Claudia Roth (26 Prozent) durchgesetzt | |
| hat, ist eine Sensation. | |
| Niemand in der Partei hat diesen eindeutigen Sieg vorhergesehen, bei | |
| vorherigen innerparteilichen Wahlen hatte Göring-Eckardt bei der Basis | |
| immer einen schweren Stand. Entsprechend klang die Ursachenanalyse in der | |
| Partei am Nachmittag noch etwas hilflos: „KGE wurde im Vergleich mit den | |
| anderen als junges und neues Gesicht wahrgenommen“, sagt einer. | |
| Ein anderer vermutet: „Den neuen Mitgliedern ist Göring-Eckardts Rolle | |
| während der rot-grünen Regierungszeit nicht mehr präsent.“ Der Grüne spie… | |
| auf Göring-Eckardts politische Vergangenheit an. Die in Friedrichroda | |
| geborene Thüringerin war, als Rot-Grün unter Gerhard Schröder im Bund | |
| regierte, in wichtigen Funktionen. | |
| ## Umbruchphase | |
| Erst organisierte sie als Fraktionsgeschäftsführerin die Mehrheiten, dann | |
| setzte sie als Fraktionschefin die Agenda 2010 und die Hartz-Reformen durch | |
| und lobte diese als „revolutionäre Umbruchphase“. In den vergangenen Jahren | |
| schaltete sich Göring-Eckardt als Bundestagsvizepräsidentin immer wieder in | |
| ethische Debatten ein, außerdem arbeitete sie als Präses der Synode der | |
| Evangelischen Kirche. Ein Amt, welches sie nun erst einmal ruhen lässt. | |
| Im Wettkampf um die Spitzenkandidatur schlug sie andere Töne an als in der | |
| Regierungszeit. Göring-Eckardt, die geschliffen formulieren kann, wirbt | |
| engagiert dafür, den unteren Rand der Gesellschaft nicht zurückzulassen, | |
| sie bezeichnet die Grünen als „Wir-Partei“. Das starke Votum der Basis | |
| beweist, dass diese Neuerfindung gut ankommt. Und dass vielleicht der ein | |
| oder andere neu eingetretene Grüne manchen Widerspruch ihrer Wandlung nicht | |
| wahrnimmt. | |
| Die Frau, die in kirchlichen Milieus breit anerkannt ist, feiert eine | |
| Wiederauferstehung. Lemke drückt Göring-Eckardt und Trittin | |
| Sonnenblumensträuße in die Hand, als die beiden um 13 Uhr lächelnd hinter | |
| die Mikrophone treten. Kurz entsteht Verwirrung - wohin nur mit den Blumen? | |
| Göring-Eckardt reagiert souverän, einfach auf den Boden legen. | |
| ## Gute Inszenierung | |
| Die beiden frisch gekürten Kandidaten konnten sich nach der Bekanntgabe am | |
| Morgen nur kurz absprechen, aber dafür klappt die Inszenierung schon gut. | |
| Selbstverständlich darf Göring-Eckard, die Frau, als erste reden. Während | |
| sie das tut, schaut Trittin immer wieder zu ihr hinüber, nickt mit ernstem | |
| Gesicht. | |
| Hier stehen zwei mit demselben Anliegen, lautet die Botschaft, und wir sind | |
| uns unserer Verantwortung bewusst. Gesellschaft dürfe die, die ganz draußen | |
| sind, nicht zurücklassen, sagt Göring-Eckardt. „Wer sich bis zu einhundert | |
| Mal bewerben musste, wer mit wenig Geld seine Kinder ernähren muss, von | |
| solchen Menschen können wir lernen.“ Damit gibt Göring-Eckardt die Tonlage | |
| vor, die sie auch im Wahlkampf fahren will. Niemanden zurücklassen, alle | |
| mitnehmen, alle wertschätzen. | |
| Sie kündigt den Auszählern und Mitarbeitern der Grünen, die zwischen den | |
| Journalisten im Saal sitzen und immer wieder klatschen, einen Wahlkampf an, | |
| der Spaß macht. „Wir lassen keinen Teppich auf dem Boden, wir lassen keinen | |
| Beat ungetanzt.“ Nun mag man sich Trittin und Göring-Eckardt nicht | |
| unbedingt gemeinsam beim wilden Clubbing vorstellen, aber im Grunde | |
| umschreibt die Metapher auch Göring-Eckardts Situation ziemlich gut. Ein | |
| neuer Beat. Die Spitzenfrau wird wenig Zeit bekommen, sich an den härteren | |
| Rhythmus zu gewöhnen. | |
| 10 Nov 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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