# taz.de -- Cholera in Sierra Leone: Die Toilette im Fluss | |
> Kroo Bay ist einer der schlimmsten Slums in Sierra Leone. Viele Menschen | |
> leiden an der Cholera. Politiker interessiert das nicht mal vor den | |
> Wahlen an diesem Samstag. | |
Bild: Waschen, spielen, Essen suchen, Notdurft verrichten: der kleine Fluss von… | |
FREETOWN taz | Bei jedem Schritt schmatzt der schlammige Boden. Kleine | |
braune Dreckspritzer landen auf den Füßen. Hier und da liegt ein wackeliges | |
Holzbrett als Balancierhilfe bereit. Rechts und links davon fließt ein | |
Rinnsal. Ein letztes Überbleibsel aus der Regenzeit. Vor ein paar Monaten | |
hat sie Kroo Bay, einen der größten Slums von Sierra Leone, endgültig in | |
ein stinkendes Dreckloch verwandelt. In diesem Jahr hat sie aber noch etwas | |
anderes getan: Sie hat die Cholera gebracht. | |
Saidu Turay steht auf der überdachten Terrasse seines kleinen Hauses in | |
Kroo Bay. Es liegt etwas abseits der großen Verkehrswege. Vor der Terrasse | |
steht trübes Wasser in einer großen Pfütze. Die Luft ist schwer und feucht, | |
die Sonne brennt. | |
Neben der Eingangstür hängt ein Plakat, das in drei Bildern eine Geschichte | |
über das Händewaschen erzählt. Auf der Terrasse stehen Eimer und große | |
Kisten, in denen Saidu Turay kramt. Der 49-Jährige betreibt hier als | |
freiwilliger Helfer eine Minigesundheitsstation für Menschen, die an | |
Durchfall leiden – oder noch schlimmer: an Cholera. | |
Entstanden ist Turays kleine Station auf Betreiben von Oxfam. Die | |
Hilfsorganisation arbeitet seit vielen Jahren im Land und versucht zum | |
Beispiel, den Bau von Sanitäranlagen voranzutreiben. Als erste Meldungen | |
über den Ausbruch der Cholera die Runde machten, wurden Helfer wie Saidu | |
Turay mit einer speziellen Lösung aus Traubenzucker, Kochsalz und | |
Elektrolyten – der sogenannten ORS (Oral Rehydration Solution) – | |
ausgestattet. Sie verhindert, dass Cholerapatienten bei hohem | |
Flüssigkeitsverlust austrocknen. | |
„Aber ich verteile nicht nur die ORS“, sagt Turay. Der gelernte Schneider | |
ist auch für die Gesundheitsaufklärung zuständig. „Als Erstes sage ich den | |
Leuten immer, sie sollen nur gechlortes Wasser trinken.“ Saidu Turay | |
lächelt ein wenig, und in seiner großen Brille mit dem goldenen Rand | |
spiegelt sich die trübe Pfütze. | |
## Der Toilettenbesuch kostet | |
Gechlortes Wasser aus ordentlich abgefüllten Plastikflaschen zu trinken, | |
das hört sich nach einem simplen Rat an. Doch für viele in Sierra Leone ist | |
das unerschwinglich. Das Durchschnittseinkommen liegt umgerechnet bei | |
gerade mal 700 Euro im Jahr. Geld, um sich davon extra Wasser kaufen zu | |
können, bleibt den meisten nicht. Es reicht oft nicht mal, um seine | |
Notdurft auf einer öffentlichen Toilette zu verrichten. | |
Eine davon steht keine 20 Meter von Turays Terrasse entfernt. Der Besuch | |
kostet 500 Leones (9 Cent). Aber niemand steht vor der Toilette an, niemand | |
fragt auch nur danach. Dabei ist es die einzige für mehr als 2.000 | |
Menschen, die in diesem Teil von Kroo Bay leben. „Über den Tag verteilt | |
kommen vielleicht 50 Leute, manchmal auch nur 40“, sagt Turay. | |
Die übrigen 1.950 Bewohner nehmen leere Dosen oder Plastiktüten, die sie | |
dann in den kleinen Fluss entleeren, der durch den Slum fließt. Soll es | |
schnell gehen, muss auch schon mal das Grundstück der Nachbarn herhalten. | |
„Das ist aber nicht die Regel.“ | |
Nach dem Ausbruch der Cholera reagierte die Regierung immerhin schnell und | |
sorgte – vor allem mit Unterstützung internationaler Geldgeber – für die | |
kostenlose Behandlung von Cholerapatienten sowie für einen verbesserten | |
Zugang zu gechlortem Wasser. Doch häufig fehlt es an Nachhaltigkeit und | |
langfristiger Planung. | |
Vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am kommenden Samstag hat | |
Musa Anusumana Soko deshalb versucht, jede Menge Druck auf die Politiker | |
auszuüben, ganz gleich, ob sie der Regierungspartei All People’s Congress | |
(APC) von Präsident Ernest Bai Koroma angehören oder der Opposition um | |
Herausforderer Julius Maada Bio. | |
Musa Anusumana Soko ist Vorsitzender des Netzwerkes für Wasser, | |
Sanitäranlagen und Hygiene (WASH), eines Zusammenschlusses mehrerer | |
nichtstaatlicher Organisationen. WASH arbeitet dort, wo der Staat viel zu | |
selten hinschaut oder gar nicht erst hinkommt. Unterstützung gibt es durch | |
Helfer, die in ihren Vierteln Nachbarn, Freunde und Familie zum Beispiel | |
über Cholera aufklären und Tipps geben, wie eine Ansteckung am besten | |
verhindert werden kann. | |
Musa Anusumana Soko sieht nun aber auch die Politik am Zug. „Immerhin haben | |
wir es geschafft, dass alle Parteien die Schaffung von besseren | |
Sanitäranlagen in ihr Wahlprogramm aufgenommen haben. Wir hoffen deshalb, | |
sie setzen das auch um, wenn sie an die Macht kommen.“ Seiner Meinung nach | |
ist dies die dringlichste Aufgabe der neuen Regierung. „Eine gute | |
Grundversorgung betrifft doch alle, unabhängig davon, welcher Partei man | |
angehört.“ | |
## Nur 13 Prozent der Einwohner verfügen über eine eigene Toilette | |
Doch danach sieht es im Moment nicht aus. In dem Fluss, der in der Nähe von | |
Saidu Turays Grundstück vorbeifließt, steht ein Schwein und sucht nach | |
Verwertbarem. Immer wieder taucht es den Rüssel ein. Am Ufer stehen ein | |
paar Frauen und waschen T-Shirts, Röcke und Hosen. Kinder planschen durchs | |
Wasser. Es ist noch nicht lange her, dass der Fluss zum letzten Mal über | |
die Ufer getreten ist und die Fäkalien überall verteilt hat. | |
Für Oxfam-Mitarbeiterin Claire Seaward ist das einer der Hauptgründe, | |
weshalb in Sierra Leone die Cholera zur Epidemie geworden ist. „Es ist eine | |
Krankheit, die durch schlechte Hygienebedingungen und das Fehlen von | |
Sanitäranlagen verursacht wird.“ | |
Ganz besonders dramatisch ist deswegen, dass von knapp 5,5 Millionen | |
Einwohnern nur 13 Prozent überhaupt über eine eigene Toilette verfügen. | |
„Wer keine im Haus hat, teilt sich manchmal eine mit anderen Familien.“ | |
Doch den meisten bleibt nur der Fluss, ein Park, ein Graben oder ein | |
Grünstreifen. | |
Dabei könnten Toiletten und ein Abwassersystem viel dazu beitragen, dass | |
sich Krankheiten wie Cholera nicht mehr so ausbreiten wie in diesem Jahr. | |
In Sierra Leone sind bisher rund 300 Menschen daran gestorben. Im ganzen | |
Land wurden gut 19.000 Fälle gemeldet. Pläne, in Kroo Bay, einem der 27 | |
Slums von Freetown, mehr Toiletten zu bauen, gibt es vonseiten der | |
Stadtverwaltung aber offensichtlich nicht. | |
„Der Slum liegt direkt am Meer. Das Risiko, dass er überflutet wird, ist | |
sehr groß“, sagt Gibril Bagura. Er sitzt im ersten Stock der | |
Stadtverwaltung, schaut aus dem Fenster und gibt sich große Mühe, möglichst | |
mitfühlend und besorgt zu klingen. Statt Toiletten zu bauen, hat er etwas | |
ganz anderes vor mit dem Slum und seinen 12.000 Einwohnern: Sie sollen | |
umziehen. | |
„Natürlich wissen wir, dass internationale Organisationen gegen | |
Zwangsumsiedlungen sind. Deshalb müssen wir den Menschen erklären: Eine | |
Umsiedlung tut ihnen gut.“ Es lohne sich nicht, in dieser Gegend noch zu | |
investieren. Zumindest nicht in den Slum, später dann vielleicht mal in | |
einen riesengroßen Parkplatz. Kroo Bay wäre dafür ein Filetstück. Es liegt | |
in unmittelbarer Nähe der Einkaufsstraßen von Freetown. Ab und zu wird | |
deshalb auch schon über eine hübsch angelegte Waterfront spekuliert. | |
Doch die Menschen von Kroo Bay, sagt Gibril Bagura bedauernd, würden sich | |
sperren, obwohl es viele Gespräche mit ihnen gegeben habe und die | |
Stadtverwaltung bereits eine Alternative habe, in Waterloo. Doch das liegt | |
weit weg vom Zentrum. „Sie wollen einfach nicht dorthin“, sagt Bagura. | |
„Viele von ihnen verdienen in der Stadt ja auch ihr Geld.“ Er klingt, als | |
spreche er über widerspenstige Kinder. | |
## Ja nichts investieren | |
Ganz so kaltblütig will Behördenleiter John Amadu Conteh die | |
Stadtverwaltung zum Schluss dann doch nicht wirken lassen. „Es sollten ja | |
keine Toiletten mehr gebaut werden. Aber das haben wir nun doch getan, wie | |
ein paar Hilfsorganisationen auch.“ Mehr dürfe aber in Kroo Bay nicht | |
passieren, findet sein Mitarbeiter Gibril Bagura. „Wenn wir jetzt weiter | |
Toiletten bauen, würden wir die Situation nur erschweren.“ Die Menschen | |
sollen sich in Kroo Bay nicht zu heimisch fühlen. | |
Mohammed Thonkla Koroma steht am Fluss von Kroo Bay, an dem er groß | |
geworden ist. Jetzt beobachtet er eines der vielen Schweine. Es suhlt sich | |
am Ufer in einer Matschkuhle. „Hier haben wir als Kinder im Wasser | |
gespielt“, sagt er. Heute ekelt sich der 46-Jährige, der WASH-Vorsitzender | |
im Slum ist, vor der braunen Brühe. | |
Dass das Wasser irgendwann einmal wieder sauberer wird, daran glaubt | |
Mohammed Thonkla Koroma nicht mehr. „Letztendlich interessieren sich die | |
Politiker, egal welcher Partei sie angehören, doch genau einen Tag für uns. | |
Es ist der Wahltag, dann, wenn wir unsere Stimme für sie abgeben sollen. | |
Und danach wird alles wie immer sein.“ | |
17 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
## TAGS | |
Sierra Leone | |
Cholera | |
Wahlen | |
Hygiene | |
Cholera | |
Toilette | |
Kuba | |
Sierra Leone | |
Sierra Leone | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Cholera-Ausbruch in Mexiko: Infektionen im Landesinneren | |
In zentralen Bundesstaaten Mexikos haben sich bislang über 150 Menschen mit | |
Cholera infiziert. Einer starb. Die Erreger stammen angeblich aus einem | |
Fluss. | |
Welt-Toiletten-Gipfel in Indonesien: Wenn ein Klo Luxus ist | |
Hygienische Toiletten sind ein wichtiger Schlüssel zur Entwicklung. Aber | |
2,6 Milliarden Menschen fehlt der Zugang dazu. | |
Cholera in Kuba: Der Brechdurchfall ist zurückgekehrt | |
Fast 130 Jahre galt Cholera als besiegt in Kuba. Im letzten Jahr gab es | |
einige Hundert Fälle im Osten der Insel. Jetzt hat die Infektionskrankeit | |
Havanna erreicht. | |
Wahl in Sierra Leone: Vorwurf der Manipulation | |
Ernest Bai Koroma wird mit fast 60 Prozent der Stimmen erneut zum | |
Präsidenten Sierra Leones gewählt. Die Opposition will das nicht | |
akzeptieren. | |
Wahl in Sierra Leone: Mehrheit für den Staatspräsidenten | |
Erstmals nach dem Ende Bürgerkriegs ist in Sierra Leone mit Ernest Koroma | |
ein Regierungschef wiedergewählt worden. Er sicherte sich fast 60 Prozent | |
der Stimmen. | |
Urteil gegen Charles Taylor: Für „Beihilfe“ gab es Diamanten | |
Liberias Expräsident Charles Taylor war Helfer der RUF-Rebellen in Sierra | |
Leone, nicht aber ihr Kommandeur. In Den Haag wird er nur teilweise | |
schuldig gesprochen. | |
Sierra Leone: Der Schatten der Geschichte | |
Die Rebellenarmee RUF in Sierra Leone wird als Kreatur von Charles Taylor | |
dargestellt. Tatsächlich entstand sie aus Protest. Die Situation damals war | |
ähnlich wie heute. |