# taz.de -- Aktenschreddern in Berlin: Wohin mit dem Verfassungsschutz? | |
> Nach dem Rücktritt der Berliner Verfassungsschutzchefin beginnt die | |
> Debatte, wie der Dienst zu reformieren ist. Soll eine Beratungsstelle | |
> daraus werden? | |
Bild: Claudia Schmid, bis Mittwoch Chefin des Berliner Verfassungsschutzes. | |
BERLIN taz | Einen Tag nach dem Rücktritt der Berliner | |
Verfassungsschutz-Chefin Claudia Schmid ist unklar, wohin der Geheimdienst | |
steuert. Im Parlament wird darüber bereits intensiv gestritten – bis zur | |
Idee, das Amt abzuschaffen. | |
Bei der Schmid-Nachfolge will sich Innensenator Frank Henkel (CDU) nicht | |
unter Druck setzen lassen. Sein Sprecher ließ ein Zeitfenster für die | |
Nachbesetzung offen. Vorerst soll Schmids Stellvertreter Gerhard Fricke das | |
Amt führen. Der kam wie Schmid 2001 zum Verfassungsschutz, war vorher beim | |
Bundeskriminalamt. Fricke sei aber nur eine Übergangslösung, heißt es. | |
Koalition und Opposition hängen die Messlatte für die Nachfolge hoch. | |
„Eigentlich bräuchten wir ein Schmid-Double“, sagte Tom Schreiber (SPD). | |
Alle Fraktionen äußerten Bedauern über den Rücktritt der Behördenleiterin, | |
die in Folge zweier widerrechtlicher Schreddereien von Neonazi-Akten – | |
zuletzt im Juni – am Dienstag um ihre Versetzung gebeten hatte. | |
Der Grüne Benedikt Lux warnte vor einer „Verschlimmbesserung“ bei der | |
Nachbesetzung. Die neue Leitung müsse eine „kritische Haltung“ auch zur | |
eigenen Behörde zeigen. SPD-Mann Schreiber erhofft „Offenheit und | |
Transparenz“. Die ebenso neu zu besetzende Referatsleitung für | |
Rechtsextremismus könne ein Migrant besetzen: „Das wäre ein Signal.“ | |
## Ein „Neuanfang“ | |
Innensenator Henkel hatte für einen „Neuanfang“ mehr Rotationen des | |
Personals und Neueinstellungen angekündigt. Auch der Regierende Klaus | |
Wowereit (SPD) forderte, die Strukturen zu professionalisieren. Die | |
Schredderei sei unentschuldbar. In Zeiten der NSU-Affäre hätten auf | |
Leitungsebene „alle Alarmglocken klingen müssen“. | |
Der Grüne Lux sagte, bei der Reform dürfe es „keine Denkverbote geben“. Er | |
forderte einen Richtervorbehalt bei Überwachungsmaßnahmen und mehr | |
parlamentarische Kontrolle. Die Fraktionen planen bereits die Einsetzung | |
eines eigenen Sonderermittlers, der den Verfassungsschutz kontrollieren | |
soll. | |
Die Koalition will bis zum Sommer 2013, wenn die Arbeit der | |
NSU-Untersuchungsunterschüsse in Bund und Ländern beendet ist, ein | |
Reformkonzept erarbeiten. SPD-Mann Schreiber schlägt eine Teilfusion mit | |
den Brandenburger Verfassungsschützern vor. Klar sei, dass Kontrollsysteme, | |
vor allem bei der Datenvernichtung, „verschärft werden müssen“. Für den | |
Umgang mit V-Leuten brauche es ein neues Gesetz, das deren Rechte und | |
Pflichten genau festlegt. | |
Bereits 2001 war der Berliner Verfassungsschutz nach einer Skandal-Serie | |
neu aufgestellt worden. Gut die Hälfte der Mitarbeiter und die gesamte | |
Führungsspitze wurden ausgetauscht. Sie kamen in anderen Behörden unter | |
oder wurden frühpensioniert. Neue Leute wurden von anderen | |
Verfassungsschutzämtern oder Universitäten angeworben. Der bis dahin | |
eigenständige Geheimdienst wurde der Innenverwaltung untergliedert, als | |
Chefin Schmid, bis dahin Vize-Datenschutzbeauftragte des Landes, beordert. | |
Heute hat das Amt 188 Mitarbeiter, die meisten von ihnen werten öffentlich | |
zugängliche Publikationen verfassungsfeindlicher Organisationen aus. Nur | |
ein Teil betreut V-Leute oder analysiert Überwachungsmaßnahmen. | |
## „Im eigenen Saft schmoren“ | |
Der Grüne Wolfgang Wieland, 2001 Fraktionschef in Berlin, heute im | |
NSU-Untersuchungsausschuss, sagte, eigentlich sei schon bei der Reform vor | |
elf Jahren alles in die Wege geleitet worden. Die Berliner gehörten | |
bundesweit zu den fortschrittlichsten Ämtern. „Umso tragischer, dass es | |
trotzdem die Pannen gab“, so Wieland. Er unterstützt die Forderung nach | |
Rotationen. „Länger als zehn Jahre sollte dort keiner arbeiten, um nicht im | |
eigenen Saft zu schmoren.“ | |
Radikaler ist die Linke. Deren Fraktionschef Udo Wolf fordert das Ende des | |
Verfassungsschutzes als Geheimdienst. Da dieser weder effizient gearbeitet | |
habe noch zu kontrollieren sei, sollte das Amt als reine „Beratungsstelle“ | |
weitermachen, so Wolf. Für die Extremismusbekämpfung reichten Strafbehörden | |
und Zivilgesellschaft, die oft ohnehin besser informiert sei. | |
Hier widerspricht Henkel vehement. Er stelle weder die Behörde an sich noch | |
die „grundsätzliche Entwicklung in Frage“, sagte er im Parlament. Auch der | |
Grüne Wieland will nur eine Abspeckung, keine Abschaffung des | |
Geheimdienstes: „Wer das will, geht mit terroristischen Gefahren grob | |
fahrlässig um.“ | |
15 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
## TAGS | |
Nationalsozialistischer Untergrund | |
Verfassungsschutz | |
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