# taz.de -- Grünen-Vorsitzende wiedergewählt: Viel Candy für Claudi | |
> Die grüne Parteivorsitzende Claudia Roth wird mit einem starken Ergebnis | |
> im Amt bestätigt. Die tiefe Verletzung durch das Urwahl-Ergebnis wird das | |
> kaum heilen können. | |
Bild: Oh, ja, viel besser: Claudia holte 62 Prozent mehr Stimmen als bei der Ur… | |
HANNOVER taz | Es entsteht kurz Verwirrung, bevor Claudia Roth um ihre | |
politische Zukunft reden darf. Die Parteichefin steht auf, drängt sich | |
durch die Traube der Kameraleute und steigt hoch auf die Bühne. Da stoppt | |
sie die Versammlungsleiterin. Kleinen Moment noch. Gibt es Gegenkandidaten? | |
Claudia Roth lacht, dreht sich um die eigene Achse, eilt die Stufen wieder | |
runter. Nein, natürlich gibt es keine Gegenkandidatin. Niemand in der | |
Partei würde gegen die durch das Urwahl-Ergebnis gedemütigte Chefin | |
antreten. | |
Dann darf Roth, 57, seit fast zehn Jahren Parteivorsitzende, heute im | |
hellgrauen Jacket mit grünem Kragen, endlich nach vorn, ans Mikrofon, vor | |
ihre Leute. „Mit Nachdenklichkeit“ bewerbe sie sich erneut, sagt Roth. Erst | |
vor knapp einer Woche hat ihr die Basis unmissverständlich mitgeteilt, dass | |
sie sie nicht vorn im Wahlkampf sehen will – nur rund ein Viertel der | |
Stimmen bekam sie in der Urwahl. | |
Jetzt geht es um die Frage: Will die Basis sie noch als Chefin? | |
Einen nachdenklichen Ton schlägt Roth nicht an, sie wechselt sofort in den | |
kämpferischen Sound, den sie am besten beherrscht. „Die Trauerzeit ist | |
vorbei! So.“ Ausrufezeichen. Punkt. Der Roth-Modus. „Jetzt geht es nach | |
vorn – und ich begrüße euch mit ganzem Herzen zum letzten Jahr von | |
Schwarz-Gelb.“ Lauter Applaus, schon nach wenigen Sekunden, ein paar | |
Jauchzer. Die knapp 800 Delegierten im Congress Centrum Hannover sind fest | |
entschlossen, die angeschlagene Vorsitzende wieder ins Amt zu jubeln. | |
## Roth verteidigt die Urwahl | |
Roth klingt entschlossen, sie ruft ihre Botschaften in die Halle und | |
schlägt dazu mit den Handkanten durch die Luft. Engagiert verteidigt sie | |
die Urwahl, die sie so blamiert hat, als „Meilenstein der Demokratie“. Und | |
thematisiert dann ihr schlechtes Ergebnis. Demokratie fange immer bei einem | |
selbst an, natürlich frage sie sich, was ihr Abschneiden bedeute. „Ihr | |
müsst ehrlich beantworten, ob das Vertrauen in mich noch da ist. Ob ich die | |
Richtige bin.“ | |
Roth macht den Delegierten eindringlich klar, dass sie sich nicht ändern | |
wird, was allerdings auch ein wirklich gewagtes Gedankenspiel wäre. „Ihr | |
müsst wissen, ob ihr mich wollt mit meinen Kanten und Ecken“, sagt Roth. | |
„Denn ändern, das werde ich mich nicht.“ Die Delegierten jubeln. So kennen | |
und lieben sie ihre Claudi. | |
Natürlich ist das gerade alles eine riesige Inszenierung. Der Kämpfersound. | |
Die Jauchzer. Die Angriffe auf Schwarz-Gelb. Roth spielt die Rolle, die sie | |
spielen muss. Sie hat am vergangenen Wochenende ernsthaft überlegt | |
hinzuschmeißen, und sie hat sich dann entschlossen weiterzumachen. | |
## Auch ein Candystorm heilt nicht alle Wunden | |
Die Grünen sind für Roth ihre politische Heimat, sie hat ihr ganzes Leben | |
dieser Partei gewidmet. Ihr muss es wie Verrat vorkommen, dass die Basis | |
dieses Engagement nicht würdigte. Sie ist und bleibt die Gedemütigte, und | |
selbst ein Candystorm im Netz, der es bis in das Onlinelexikon Wikipedia | |
schaffte, hilft da wenig. | |
Wie hart sie das Alles getroffen hat, ließ sich auf dem Parteitag | |
beobachten. Freitag Nachmittag, ihr Ko-Vorsitzender Cem Özdemir hält die | |
Eröffnungsrede. Irgendwann in der Mitte dreht er sich um und schaut Roth | |
an. Eines wolle er noch sagen, ruft Özdemir. „Ich freue mich auf zwei | |
weitere Jahre mit dir, liebe Claudia.“ In diesen Sekunden spricht Claudia | |
Roths Gesicht Bände, die ganz außen in der Vorstandsbank sitzt. Ihre Miene | |
versteinert, sie schaut starr geradeaus in die Zuschauer, und würdigt den, | |
der sie gerade so herzlich lobt, keines Blickes. Was man als warme | |
Unterstützung verstehen kann, kommt ihr – sehr offensichtlich – wie Hohn | |
vor. | |
Nachdem sie im März in einem taz-Interview für eine Urwahl plädiert hatte | |
und gleichzeitig ihre Kandidatur ankündigte, versuchten viele Grüne, sie | |
davon abzubringen. Sie solle doch zum Wohle der Partei verzichten, Trittin | |
und sie, zwei Linke, das ginge nun wirklich nicht, lautete das Argument | |
vieler Parteifreunde, die besorgt auf die Flügelarithmetik schauten. Auch | |
Özdemir, hört man von Insidern, bat sie eindringlich zurückzuziehen. | |
## Verschanzt und versteckt | |
Solche Verletzungen werden ihr nachgehen. Auf Grünen-Parteitagen ist Roth | |
sonst diejenige, die unablässig durch die Gänge streift. Hier einen | |
Delegierten umarmt, dort mit einem alten Bekannten plaudert. In Hannover | |
bleibt sie meist auf der Bühne, verschanzt sich hinter der Kordel und den | |
Kameraleuten, die diesen Bereich vom Rest des Saals abtrennen. Roth | |
versteckt sich, sie will keine Fragen beantworten. | |
Als sie endet, rauscht Jubel durch die Halle. Ihr starkes Ergebnis ist | |
keine Überraschung: Gut 88 Prozent wollen Roth wieder, bei der | |
Vorstandswahl vor zwei Jahren bekam sie nur 79 Prozent. Ein paar Delegierte | |
werfen von hinten Bonbons, als Roth Jürgen Trittin, Renate Künast und | |
andere Spitzengrüne umarmt. Candy für Claudia, dieses Mal in echt. | |
17 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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