| # taz.de -- Debatte Katalonien: Kein Cava für Madrid | |
| > Die katalanische Regionalregierung in Barcelona will die Unabhängigkeit | |
| > von Spanien. Aber der Euro wäre weg, die Wirtschaft droht mit | |
| > Abwanderung. | |
| Bild: Graffito in Azpeitia, Baskenland. | |
| Die katalanischen Sektkellereien fürchten das Schlimmste. Die Kastilier, | |
| Andalusier, Asturier, kurz gesagt, „die Spanier“ könnten zu Weihnachten | |
| wieder zum Boykott des katalanischen Cava-Sektes aufrufen. Die Andalusier | |
| haben schon vor Jahren propagiert, mit andalusischem Manzanilla-Sherry | |
| anzustoßen und nicht mit den Produkten aus Katalonien. Und da mittlerweile | |
| auch Weinkellereien in spanischen Regionen Schaumwein herstellen, sind die | |
| Spanier nicht mehr auf katalanischen Cava angewiesen. | |
| Wenn ihr nicht mit uns leben wollt, wollen wir nicht mit euch feiern, heißt | |
| die einfache Botschaft der Spanier in Richtung Katalonien. Seitdem der | |
| dortige Ministerpräsident Artur Mas Katalonien als „einen neuen Staat in | |
| Europa“ fordert, wird die mögliche Sezession in Spanien fast wütender | |
| diskutiert als die Eurokrise. | |
| Am 25. November will sich Mas für seine Pläne eine Mehrheit bei | |
| vorgezogenen Regionalwahlen holen, innerhalb der nächsten Legislaturperiode | |
| soll ein Referendum über die Unabhängigkeit abgehalten werden. Eine | |
| katalanische Sezession träfe das Selbstverständnis einer parlamentarischen | |
| Erbmonarchie, die in der Verfassung die „unauflösliche Einheit der | |
| spanischen Nation“ festgeschrieben hat. | |
| Wer sich also von Madrid lossagen will, verlässt den Königshof und bringt | |
| die Konstruktion Spaniens aus 17 Autonomen Regionen ins Wanken. Artur Mas | |
| vermeidet zwar das Wort Unabhängigkeit und behauptet, es gehe ihm „nicht um | |
| Separation, sondern um Emanzipation“. Aber diese Verschwurbeleien dürften | |
| ihm dazu dienen, sich eine politische Hintertür für das wahrscheinliche | |
| Scheitern der nationalen Unabhängigkeit offen zu halten. | |
| Die konservative Regierung von Mariano Rajoy in Madrid wehrt das | |
| katalanische Aufbegehren wie üblich beleidigt ab, ohne darin Chancen für | |
| eine Modernisierung des Staates zu sehen. Auch die Basken wollen seit | |
| Jahrzehnten die Unabhängigkeit, ebenso pochen in Galizien Nationalisten auf | |
| Eigenständigkeit. | |
| ## Der Zug ist abgefahren | |
| In einem vereinten Europa ist das natürlich alles recht anachronistisch, | |
| doch die durchaus brutale Herrschaft in Madrid in den vergangenen | |
| Jahrhunderten hat tief sitzende Traumata verursacht. In der jetzigen | |
| Wirtschaftskrise, die in ihrem depressiven Ausmaß mit den „Jahren des | |
| Hungers“ nach Ende des Bürgerkriegs bis in die 1950er Jahre verglichen | |
| werden kann, schmerzen die alten Wunden umso mehr. | |
| Die Katalanen sind seit Jahren Nettozahler unter den Regionen: Sie schicken | |
| mehr Geld nach Madrid, als sie zurückbekommen. Zudem fühlen sich die | |
| wirtschaftlich erfolgreichen Katalanen von Madrid behindert. Zu Recht: | |
| Schon die Vorgängerregierung unter dem Sozialisten José Zapatero | |
| verhinderte, dass die katalanischen Häfen Barcelona und Tarragona an das | |
| staatlich finanzierte europäische Infrastrukturnetz angebunden wurden. | |
| Dennoch ist gerade aus wirtschaftlichen Gründen der Zug für eine | |
| Unabhängigkeit Kataloniens längst abgefahren. Die Vorstände der | |
| katalanischen Banken haben kein Interesse an der Sezession. Sie machen | |
| einen Großteil ihrer Geschäfte außerhalb der Region auf iberischem Grund | |
| und das selbstverständlich in Euro. Da Katalonien nach der Unabhängigkeit | |
| weder Mitglied der EU wäre noch zur Gemeinschaft der Euroländer gehören | |
| würde, müssten sie ihre Geschäfte massiv zurückfahren. | |
| Das gilt vor allem für die Maschinenbau- und die Chemieindustrie, den | |
| Autokonzern Seat und andere große Unternehmen, die Katalanen aufgebaut | |
| haben. José Manuel Lara, Verleger der in Spanien führenden Verlagsgruppe | |
| Planeta mit Sitz in Barcelona, drohte bereits, sein Unternehmen nach | |
| Saragossa oder Madrid zu verlegen. Schließlich könne er keine spanischen | |
| Bücher in einem Land machen, in dem nicht Spanisch gesprochen wird. | |
| Die Sprache als Ausdruck von Identität und Selbstbestimmung hat in dem | |
| 300-jährigen Konflikt zwischen Katalonien und Kastilien immer eine zentrale | |
| Bedeutung gehabt. Der konservative Bildungsminister in Madrid, José Ignacio | |
| Wert, kündigte vor kurzem eine Bildungsreform zur „Hispanisierung der | |
| katalanischen Schüler“ an, was in Katalonien selbstverständlich als | |
| weiterer Beweis für die koloniale Haltung in Madrid gesehen wird. | |
| Tatsache ist, dass der Unterricht in Katalonien auf Katalanisch abgehalten | |
| wird und die Schüler Castellano (Spanisch) als Fremdsprache lernen. Die | |
| katalanische Sprachpolitik sieht auch vor, dass die Verwaltung | |
| ausschließlich katalanischsprechende Menschen einstellt, obwohl Katalonien | |
| offiziell zweisprachig ist. Die Sprachautonomie als Teil der politischen | |
| Autonomie hat daher zu einer Entfremdung der Katalanen und Spanier geführt, | |
| da sie buchstäblich nicht mehr dieselbe Sprache sprechen. | |
| ## Zwergstaat Katalonien | |
| Die ständig verletzten Gefühle, der ewige Streit zwischen Katalanen und | |
| Spaniern, ist zermürbend. Eigentlich möchte man beiden raten, sich zu | |
| trennen, damit endlich Schluss mit dem Genöle ist. Aber die Trennung wäre | |
| schmerzhafter als die gütliche Einigung. Die Katalanen würden feststellen, | |
| dass sie nur ein Zwergstaat ohne Ressourcen außerhalb der EU wären, die | |
| sich in der Eurokrise zunächst mal um ihre jetzigen Mitglieder kümmern | |
| muss. Spanien verlöre nach einer Trennung eines seiner wenigen | |
| Industriegebiete, wichtige Banken, den FC Barcelona und einen Teil der | |
| kurzen demokratischen Geschichte Spaniens. | |
| Schon vor dem Bürgerkrieg gingen die entscheidenden Impulse für eine | |
| Demokratisierung Spaniens von Barcelona aus. Damals zerschlug General | |
| Franco die beginnende Modernisierung Spaniens. Heute haben die Spanier dank | |
| Kataloniens Unruhe eine zweite Gelegenheit, friedlich Staat und | |
| Gesellschaft zu modernisieren und die Frage zu beantworten, welche Rolle | |
| Spanien im 21. Jahrhundert spielen will. | |
| Die Rolle als Großmacht ist passé, als Industrienation fragwürdig, als | |
| Gestalter Europas aufgrund der Eurokrise erst mal gestrichen. Der | |
| staatliche Identitätsverlust schmerzt die kastilischen Nationalisten der | |
| regierenden Partei von Mariano Rajoy natürlich. Bei der Selbstfindung | |
| können die intellektuellen Impulse des katalanischen Rufs nach | |
| Unabhängigkeit daher nur helfen. | |
| 23 Nov 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrike Fokken | |
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