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# taz.de -- „Kein-Castor“-Ticker: Ohne Atommüll im Wendland
> Die grüne Bürgermeisterin von Dannenberg ist unzufrieden mit ihrer
> Partei. Die Tagesbilanz der Polizei im Wendland ist nach ersten
> Informationen gemischt.
Bild: Der Liveticker sagt Gute Nacht.
## 20.00 Uhr: Berlin/Hitzacker
Und Tschüß: Genau vor einem Jahr blickte ganz Deutschland ins Wendland, als
CastorgegnerInnen einen Atommülltransport so lang aufgehalten hatten wie
noch nie. Heute ist die Politik bei der Lösung der Endlagerfrage kaum
weiter gekommen. Im Wendland gibt es allerdings mehr als blockierte
Schienen, seine unbeugsamen Bewohner sind mehr als einbetonierte
Aktivisten.
In den über 30 Jahren Protest gegen den Castor ist hier ein eigenes
Völkchen entstanden, dass nicht nur die „Freie Republik Wendland“
ausgerufen hat, sondern vormacht, wie regionale Identität als alternative
Lebensform auch ohne Lederhosen funktioniert. Es ist eine Art
Gesellschaftslabor. Das taz-Fazit lautet daher: Wir brauchen unbedingt
überall Atommüll. ... Kleiner Scherz. Und vielen Dank für die
Aufmerksamkeit.
Es berichteten aus dem Wendland Ingo Arzt und Sebastian Erb, unterstützt in
Berlin von Cédric Koch und Daniél Kretschmar.
## 19.58 Uhr: Hitzacker
Der Vorsitzende der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, Martin Donat,
hauptberuflich Gärtner, genießt in einem Restaurant Wildbraten mit
Kollegen. Der Blick auf die Elbe wäre schön, es ist aber zu dunkel. Er
fasst nochmals zusammen, was den Atomkraft-Gegnern in der Region auf der
Seele brennt
„Das ist alles ziemlich perfide. Momentan gibt es nur deshalb keine
Castortransporte, weil die Öffentlichkeit abgelenkt werden soll“, sagt er.
Das momentan diskutierte Endlagersuchgesetz ist für ihn ein
Endlagerdurchsetzungsgesetz, das lediglich Gorleben als Atomklo
legitimieren soll. Ein Gesetz könne man schließlich nicht durch eine
Sitzblockade aufhalten.
## 19.52 Uhr: Irgendwo im Internet
Seit dem vergangenen Wochenende haben die Aktivisten im Wendland einen
neuen politischen Unterstützer. Die Piratenpartei hat auf ihrem
Bundesparteitag in ihr Wahlprogramm geschrieben, dass sie Gorleben als
Endlager ablehnt. Die Piraten sind sogar grundsätzlich gegen
Atommüllendlager.
„Die Piratenpartei Deutschland will, dass nuklearer Müll grundsätzlich nur
so gelagert wird, dass bei Bedarf eine Rückholung erfolgen kann“,
[1][Bundesparteitag_2012.2/Antragsportal/PA188:heißt es im Wahlprogramm
2013]. Auch im Wendland gibt es einen Piraten. Zumindest sei er der
einzige, der hier wohnt, sagt Philipp Horstmann aus Hitzacker, der auch bei
den [2][@antiatompiraten] aktiv ist. Bei den Protesten kümmert er sich um
das Wlan-Netz. Aber er ist gerade nicht im Wendland. Und sein Mobiltelefon
ist aus. Deshalb kann er jetzt nicht noch mehr erzählen.
## 19.27 Uhr: Per Mail – Elke Mundhenk, Bürgermeisterin von Dannenberg
Elke Mundhenk ist seit 2011 die Bürgermeisterin von Dannenberg. Ihre
Partei: die Grünen. Und das bringt Probleme mit sich, denn Mundhenk ist
schon lange im Wendländer Widerstand, sie ist über die Kirche dazu
gekommen. Gerade liegt sie krank im Bett, aber sie hat per Mail einen
Zeitungsausschnitt geschickt. „Hiesige Grünen unzufrieden“ heißt die
Überschrift.
Die Kreistagsfraktion der Grünen, zu der auch Mundhenk gehört, ist nämlich
nicht einverstanden mit dem Parteitagsbeschluss der Grünen. „Nach allen
Erfahrungen der vorigen 35 Jahre fehlt uns jegliches Vertrauen in die
Lauterkeit und Unvoreingenommenheit der Akteure und in ihren Willen zur
Ergebnisoffenheit“, wird Mundhenk zitiert. Die Befürchtung: Es läuft am
Ende doch auf Gorleben hinaus, weil die geschaffenen Fakten schließlich
mehr ins Gewicht fallen als die geologische Eignung.
## 19.16 Uhr: brandaktueller Veranstaltungstip aus der Elbe-Jeetzel-Zeitung
Madsen lässt es krachen: Am 21. Dezember geben die vier Rocker aus dem
Wendland ihr Weihnachtskonzert in Hitzacker im Verdo.
## 19.03 Uhr: irgendwo im Wendland
Clara Tempel hat es eilig, sie muss zur Fahrschule, heute ist ihre letzte
Theoriestunde. Sie ist noch jung, in zwei Wochen wird sie 17. Trotzdem hat
sie schon viel Protest-Erfahrung; sie geht in die 11. Klasse der
Waldorfschule, fast alle ihrer Klassenkamaraden engagieren sich gegen
Atomkraft.
Schon als Kind war Clara auf Demonstrationen dabei, erzählt sie. Mit 12 das
erste Mal beim Castor. Sie hat darüber nachgedacht, ob es das ist, was sie
auch selber will und nicht nur ihre Eltern. Ihre Antwort war: ja. Sie
machte bei Sitzblockaden mit und organisierte welche im Rahmen von 365x,
der Kampagne von X-tausend mal quer, jener Kampagne, bei der auch ihre
Mutter mitmacht.
Clara gefällt das Wendland, „es ist einfach wunderwunderschön“. Sie mag d…
Landschaft und die „netten Leute“, das Gemeinschaftsgefühl durch den
Widerstand. Da nimmt sie es gerne in Kauf, dass es ein Stück weiter ist,
wenn sie mal auf ein Konzert will. [3][Madsen] hört sie gern oder Tomte.
Bald wird alles einfacher, ein paar Praxisfahrstunden fehlen noch, die
Prüfung, dann hat sie ihren Führerschein. Die Fortbewegung übers Land wird
so ein bisschen einfacher werden.
## 18.56 Uhr: Berlin – Erinnerungen
Zu den All-Time-Favourites der Mobilisierungsvideos für die
Gorlebenproteste gehört jenes von „Atomkraft wegbassen“, wo Angela Merkel
zur Aufrührerin wird.
## 18.40 Uhr: Am Telefon – Thorben Becker vom BUND
Manche Anti-Atom-Aktivisten werden sogar nostalgisch angesichts des
„Kein-Castor“-Livetickers: „Ich wäre heute auch gerne ins Wendland
gefahren, um dort etwas Schlimmes zu verhindern“, sagt Thorben Becker,
Energiereferent für die [4][Naturschutzorganisation BUND]. Trotzdem findet
er es positiv, dass das Atommüll-Zwischenlager dieses Jahr nicht weiter
anwächst.
Abseits von Protestnostalgie ist der Baustopp im möglichen Endlager
Gorleben auch für ihn eine „positive Entwicklung“. Er fordert jedoch einen
Ausschluss des Salzstocks bei der Suche nach einer endgültigen
Lagerungsstätte für Atommüll – im Gegensatz zur Entscheidung des
Grünen-Parteitags vom vorletzten Wochenende. „Da darf man nicht von
abrücken“, sagt Becker.
Würde das Wendland weiter in Betracht kommen, würde es seiner Meinung nach
„wahrscheinlich ausgewählt werden, aus Kostengründen und weil kein anderer
Standort seine Bevölkerung von einem Atommüll-Endlager überzeugen will“. In
die Erkundung des Salzstocks sind bisher bereits schätzungsweise 1,4
Milliarden Euro geflossen.
## 18.33 Uhr: Berlin
Auch die Räume der taz leeren sich. Der Online-CvD hat seine Punk- und
Metal-Playlist angeworfen. Die unvermeidlichen Sambagruppen im
protestierenden Wendland wären jetzt eine ganz willkommene Alternative.
## 18.24 Uhr: Elbufer in Hitzacker
Es ist dunkel. Vor dem Rewe schiebt ein älterer Herr seinen Rollator durch
den Abend. Sonst keine Vorkommnisse. Gar keine.
## 18.21 Uhr: Am Telefon – Polizeidirektion Lüneburg
Die Bilanz der Polizei ist am Abend eines langen Tages gemischt. „Ruhig ist
immer relativ“, sagt Kai Richter, Sprecher der für das Wendland zuständigen
Polizeidirektion Lüneburg. Es habe mehrere hundert Einsätze im Zuge des
Ermittlungsschwerpunktes Einbruchskriminalität gegeben. Dafür sei ohne
Castor-Transport nun mehr Zeit.
## 18.11 Uhr: Metzingen
Kurz vor dem Ortseingang liegen drei gelbe Fässer mit Atomwarnzeichen am
Straßenrand. Sie strahlen im Dunkeln nicht.
## 17.54 Uhr: Pretzetze
Kerstin Rudek ist im Wendland aufgewachsen, sie war nie weg, „Ich bin
Eingeborene“, sagt sie. Sie lebt sehr gerne hier, jede zweite Woche mit
zwei ihrer Kinder, die anderen sind schon aus dem Haus, und drei bis fünf
Katzen und einem Hund.
Nur eines gefällt der 44-Jährigen nicht. Wenn sie aus der Türe geht, und es
ist dunkel ist, leuchtet der Himmel orange. „Das ist der einzige Makel
hier“, sagt sie, „Das ist das Zwischenlager“. Drei Kilometer Luftlinie
entfernt. Sie habe recht konservative Eltern gehabt, die sich früher nicht
für Gorleben interessant haben, erzählt Kerstin Rudek. Sie zog alleine los
und bei ihrer ersten Aktion geriet sie gleich in Konflikt mit der Polizei.
„Ich habe von Anfang an mitbekommen, dass wir es nicht nur mit Atomkraft zu
tun haben, sondern auch mit polizeistaatlichen Methoden.“ Seitdem ist sie
aktiv. Die vergangenen fünf Jahre bis April dieses Jahres war sie
Vorsitzende der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, ein Vollzeitjob,
ehrenamtlich. „Mein Engagement ist nur möglich, weil meine Familie
mitmacht.“ Es ist ein Herzensanliegen.
Sie spornt an, dass sie immer wieder Dinge hört, die ihr Angst machen. Ende
September war sie auf dem Endlagersymposium der Aachen Institute for
Nuclear Training. 999,60 Euro Teilnahmebeitrag. Ihr Eindruck: „Da glaubt
niemand an den Atomausstieg.“ Im Prinzip sei es ein Gorleben-Symposium
gewesen, es würden Strategien entwickelt, wie Gorleben als Endlager
durchgesetzt wird.
Sie fordert: „Die Atomkraftwerke sofort abschalten, alle Atommülltransporte
stoppen. Wenn die Badewanne überläuft, dreht man erstmal den Hahn ab. ...
Die können sich nicht hinstellen und sagen, es gibt die und die
Erkenntnisse.“ Rudek erinnert an Tschernobyl und Fukushima: „Es ist nicht
sicher.“ Das gelte im Übrigen auch für Flugzeugabstürze. Und noch etwas ist
ihr wichtig: An den Alternativen arbeiten: erneuerbare Energie, Wärme,
Mobilität. Der kommunale Energieversorger bekam vor Kurzem den 1000.
Kunden. Das freut sie. Wohin soll der Atommüll, wenn nicht nach Gorleben?
„Man muss einen geeigneten Ort finden“, sagt sie. Sie weiß, dass es sehr
schwierig wird, den bestmöglichen Standort zu ermitteln und zuammen mit der
Bevölkerung umzusetzen. Im Moment drücke der Schuh mehr bei der Asse. „Die
Politik muss dafür sorgen, dass dort der Müll herausgeholt wird.“ Und dann
eine ausführliche wissenschaftliche Aufarbeitung.
Rudek hat eine Ausbildung zur Heilpraktikerin und Homöopathin gemacht. Aber
arbeiten will sie in diesem Beruf erstmal nicht. „Ich habe mir überlegt, wo
kann ich mein ganzes Wissen anwenden?“ Sie will jetzt in die Politik. Sie
ist jetzt Kandidatin für den niedersächsichen Landtag, Listenplatz 7, wenn
es die Linkspartei in den Landtag schafft, ist sie drin. Rudek ist
zuversichtlich, dass es klappt. „Gorleben ist unser
Alleinstellungsmerkmal.“ Dann sei aber Schluss mit Blabla. Sie kenne sich
schließlich aus. „Da wird es viel zu reden geben.“
## 17.46 Uhr: Dannenberg
In einem Schuhgeschäft ein Kurzinterview mit einer Verkäuferin über Sinn
und Unsinn eines atomaren Zwischenlagers. Fazit: „Irgendwo muss man den
Atommüll doch artgerecht lagern.“
## 17.39 Uhr: Am Telefon – Stefan Wenzel, Landtagsfraktion der
niedersächsischen Grünen
Obwohl die niedersächsischen Grünen beim Parteitag in Hannover vorletztes
Wochenende beschlossen haben, den Salzstock zunächst als Endlager im Rennen
zu lassen, sieht der grüne Spitzenkandidat Stefan Wenzel darin keinen
Kurswechsel: „Wir haben festgestellt, dass Gorleben als Endlager geologisch
ungeeignet und politisch verbrannt ist“, sagte er taz.de.
Die Grünen hatten entschieden, Gorleben in den zwischenparteilichen
Verhandlungen nicht von vorneherein als finalen Atommüll-Friedhof
auszuschließen. Laut Wenzel bedeutet dies jedoch trotzdem, dass Gorleben
als Option ausfalle: „Der Beschluss wirkt wie ein Junktim: Wir werden einem
Gesetz nur zustimmen, wenn sicher ist, dass ungeeignete Standorte wie
Gorleben endgültig ausscheiden“.
Übrigens wird durch die diesjährige Castorfreiheit im Wendland auch für
Wenzel ein fester Termin im Kalender frei. „Ich bin wenn ich mich richtig
erinnere bei jedem Castortransport zu Protestaktionen gegangen“, sagte der
gebürtige Däne, der bei der Landtagswahl für den Wahlkreis Göttingen
antritt.
## 17.20 Uhr: Metzingen
Kein Karneval: Peter-Wilhelm Timmes Hund Leo ist ein großes, schwarzes,
treuherziges Tier und wahrscheinlich das einzige seiner Art, das schon Mal
einen Castor geschottert hat. Schottern machen sonst nur Menschen, wenn sie
den Kies aus dem Gleisbett entfernen, um einen Castor aufzuhalten. Leo
schottert auch, erzählt Timme, zumindest ist er mal im Fernsehen gewesen,
als er während eines Atommülltransportes inmitten des Protestchaoses den
Schotter aus dem Gleisbett gescharrt hat.
Timme ist Landwirt, hat schon mindestens 10 Mal, so genau weiß er es auch
nicht mehr, Protestcamps auf seinem Hof beherbergt und ist heilfroh, diesen
Stress in diesem Jahr nicht zu haben. „Das ist ja kein Karneval, wir machen
das, weil wir ein Ziel haben, wir wollen hier keinen Atommüll“, sagt er.
Timme ist ein gemütlicher Landwirt Mitte 50, hat drei Kinder, baut zum
Beispiel Rüben oder Mais an. Timme ist auch ein widerborstiger
Castorgegner, die Anzeigen gegen ihn füllen ganze Ordner, er hat bisher
alle Prozesse gewonnen. Die Töchter betonieren sich schon mal auf der
Strecke ein, um den Transport aufzuhalten. Was er von aktuelle Debatte um
eine bundesweite Endlagersuche hält? „Ich fürchte, die machen am Ende hier
in Gorleben einfach weiter“, sagt er.
## 17.06 Uhr: Berlin – Zwischenstand
Eine neue Erfahrung: Ohne Sorge die Ortsnamen aus dem Wendland am Telefon
zu hören. Hitzacker, Laase, Metzingen, der Hof von Peter-Wilhelm Timme...
Ein falsches Foto mussten wir im Ticker bislang rausnehmen, und das Kreuz
ist ein X, danke.
## 16.49: Dannenberg, KdW
Das KdW liegt gegenüber der Polizeiwache, gleich am Marktplatz. Das
„Kaufhaus des Wendlands“ gibt es jetzt im sechsten Jahr. Die Produktpalette
ist groß, von Wein, Honig über Kunsthandwerk aus Holz bis zu Klamotten. Und
den „X-Bier-Senf“ – davon wird ein Euro pro Glas an den Widerstand in
Gorleben gespendet. Und auch Postkarten mit Szenen des Protests.
26 Kunsthandwerker und Künstler aus dem Wendland betreiben den Laden
zusammen, so muss jeder nur zweimal im Monat an der Kasse stehen. Gerade
ist es Kerstin Rüter, 41, sie kam 1998 ins Wendland. Früher war sie
Tierärztin, bekam ein Burn-out, war eine Weile in Neuseeland und
Australien. Heute macht sie in „Karten und Batik“. Alle seien sie gegen den
Castor, gegen das Endlager, sagt sie. „Hier muss man Stellung beziehen.“
Eine junge Frau kommt herein, sie hat eine Einladung mitgebracht zur
Eröffnung des „Bahnhofs Dannenberg Ost“. Der lag lange brach, jetzt wird
dort eine Begegnungsstätte eröffnet, initiiert von der Diakonie. Motto:
„Mehr als ein Bahnhof.“ Und: „Wir eröffnen neue Räume.“ Sie brauchen …
Preise für die Tombola.
## 16.31: Am Telefon – Christoph Bautz von campact
Langjährige Anti-Atom-Aktivisten sind auch im Castor-freien Jahr 2012 nicht
tatenlos, vor allem die Endlagersuche und das Schicksal Gorlebens bleibt
ein dringendes Anliegen. „Jetzt ist der Zeitpunkt, um in den Startlöchern
zu stehen für die Endlager-Entscheidungen“, sagt Christoph Bautz,
Geschäftsführer der Kampagnen-Spezialisten von [5][campact]. Solange das
eigentliche Ziel der Transporte, das geplante Endlager in Gorleben, nicht
vom Tisch sei, werde seine Organisation „natürlich weiter Druck machen“.
Auch für ihn ist der kürzlich erfolgte Erkundungsstopp im Salzstock „ein
großer Erfolg“, aber es gehe vielmehr darum, den gesamten Suchprozess
transparenter zu gestalten.
„Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Debatte bei der Endlagersuche“,
sagt Bautz und fordert eine größere Einbeziehung der Bevölkerung. Ansonsten
führe dies nur dazu, dass derselbe Widerstand wie im Wendland bald zum
Beispiel von Menschen in Baden-Württemberg oder Bayern kommen werde. Der
gegenwärtigen Politik hält er dieses Versäumnis vor: „Wir brauchen nicht
nur einen Parteienkonsens, wie ihn Altmaier aber auch die Grünen und Sigmar
Gabriel fordern, sondern einen gesellschaftlichen Konsens“, sagt Bautz.
## 16.18 Uhr: Kolborn
Protest als Jungbrunnen: Die Grande Dame des Wendländer Widerstandes,
Marianne Fritzen, hat den Geist einer 35-Jährigen, aber leider den Körper
einer 89-Jährigen. Das sagt sie über sich, in ihrem über und über mit
Büchern vollgestopften Haus.
Seit 1973 hat sie unzählige Male demonstriert, gegen Atomkraftwerke an der
Elbe, gegen Wiederaufbereitungsanlagen, gegen das Zwischenlager, gegen das
Endlager. „Das waren noch Zeiten, als wir wie die Wilden durch den Wald
gelaufen sind“, sagt sie. Heute nimmt sie einen Stuhl zum Protestieren mit.
Fritzen weiß, worüber gerade diskutiert wird, um das Endlagersuchgesetz und
sie hält nicht viel davon.
„Die wollen jetzt die Bevölkerung mitnehmen und beteiligen. Bitte, wie soll
das gehen? Wie will ich die Bevölkerung mitnehmen, wenn ich ein Endlager
für Atommüll suche?“, fragt sie und hämmert fast mit den Fäusten auf den
Tisch. Dann zeigt sie noch ein Familienfoto: fünf Kinder, dazu zwei
angeheiratete, ein Haufen Enkel. Die schreiben sich alle auf Facebook,
davon hält sie aber nichts. „Wenn einer was will, soll er eine Mail
schreiben.“ Dann entschuldigt sie sich. Sie muss heute noch nach Hamburg
weiter.
## 16.06 Uhr: Gorleben, Betreibergesellschaft
Jürgen Auer ist ein ruhiger Typ mit grauem Vollbart, er trägt ein
gemütliches Jacket über seinem Pullover. Er ist der langjährige
Pressesprecher der Gesellschaft GNS, die das Zwischenlager in Gorleben
betreibt, getragen von den vier großen Stromkonzernen.
Im Prinzip hätten sie sowas wie ein Parkhaus, sagt Auer, sie vermieten
Stellplätze. Stellplätze für Castor- und andere Atommüllbehälter, 113 sind
es momentan. Der nächste komme nicht vor 2014, vielleicht auch erst 2015,
aus Sellafield in England. Auer meint, es sei sicher. Wobei er sich gegen
den Begriff „absolut sicher“ wehrt. Er sagt es gebe nur zwei Möglichkeiten:
sicher oder unsicher. Auch ein Flugzeugabsturz hielten sie aus, das müssten
sie ja auch schon beim Transport. Egal welche Flugzeuggröße, das sei
getestet worden.
Im Schnitt kommt eine Gruppe am Tag, um sich über das Zwischenlager zu
informieren, erzählt Auer. Auch aus dem Ausland, gerade haben sich Chinesen
angekündigt. Fachbesucher zumeist und Kommunalpolitiker. Manchmal kommen
auch Atomkraftkritiker, aber einen Konflikt habe er mit diesen nicht. "Wir
haben keinen Auftrag irgendjemanden zu überzeugen. Wir informieren nur, was
wir machen." Eine Meinung müsse sich jeder selber bilden.
Zur Endlagerfrage will er erst nicht viel sagen, denn da sei seine Firma
schließlich nicht zuständig, sondern der Bund. Dann erzählt er doch
einiges. Er berichtet von einem Papier, in dem stand, dass 92 ein Endlager
eröffnet werde. „Ich bin zuversichtlich, dass das klappt“, sagt Auer und
freut sich über seinen eigenen Witz, dessen Pointe er gleich ausspricht:
2092.
## 15.34 Uhr: Gorleben
Ein paar hundert Meter hinter dem Zaun ist der Salzstock Gorleben, das
Erkundungsbergwerk; hier entsteht möglicherweise das Atommüll-Endlager. Der
Wachmann in der neongelben Jacke fragt den taz-Reporter, wer man sei und
was man wolle. „Castor“, sagt er dann, „den gibt's so bald nicht.“
Das ist genau der Grund, warum Katja Tempel im vergangenen Jahr oft hier
war. Sie zeigt auf die schmale Straße vor dem Tor. „Mit drei Leuten kann
man das schon blockieren.“ Mit 18 Leuten kann man das gesamte Gelände
dichtmachen, denn sechs Tore gibt es insgesamt.
Katja Tempel ist Sprecherin von [6][X-tausendmal quer]. Als absehbar war,
dass erstmal keine Castortransporte kommen, legten sie den Fokus mit der
Kampagne auf das potentielle Endlager. Mehr als 120 Blockaden haben sie von
August 2011 bis August 2012 unter dem Namen 365X gemacht, nicht immer
allein, es kamen auch Gruppen von außerhalb. Manchmal wurden sie nach zwei
Stunden von der Polizei weggetragen, manchmal nach sechs.
Sie haben die Aktion verlängert und vor Kurzem ausgesetzt. Denn die
Erkundungsarbeiten wurden vorläufig gestoppt. Anwohner hatten dagegen
geklagt, dass der Rahmenbetriebsplan bis Ende des Jahres verlängert wird.
Die Klage wird erst im kommenden Jahr verhandelt.
Katja Tempel ist Hebamme, sie kam vor 25 Jahren ins Wendland, wegen des
Widerstands. Dass es eine sichere Endlagerstätte gibt, daran glaubt sie
nicht. Aber Gorleben sei aus vielen Gründen überhaupt nicht geeignet. Wegen
der geologischen Beschaffenheit, aber auch wegen des politischen
Widerstands.
Gegen Tempel und MitstreiterInnen läuft ein Ermittlungsverfahren wegen
Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Aber das lächelt sie weg. Vor
Kurzem stand sie vor Gericht, weil sie vor dem Eingang zum
Erkundungsbergwerk ein Zelt aufgebaut hatte und das Bußgeld nicht bezahlen
wollte. Das Verfahren wurde eingestellt. Katja Tempel merkt noch an: Die
gelben Kreuze, die in diesem Live-Ticker mehrfach auftauchen, heißen nicht
die Kreuze, sondern "X"e. Sie entstanden als man vor dem ersten
Castortransport nur wusste, dass er am Tag X kommt.
## 15.22 Uhr: Hintergrund Atommüll VI
Wie ist Gorleben überhaupt zum geplanten Atommüllendlager geworden? Nicht
erst seit Greenpeace 2010 [7][tausende Akten öffentlich] machte, wird die
offizielle Version der Findung immer mehr in Frage gestellt. Nicht
vorurteilsfreie Untersuchung, sondern [8][ökonomisches und politisches
Kalkül] der niedersächsischen Landesregierung unter Ernst Albrecht (CDU)
machten den Salzstock zum möglichen Endlager.
## 15.07 Uhr: Gorleben
Ein doppeltes Tor schützt wie immer die Zufahrt zum Zwischenlager Gorleben,
zwei Zäune sichern es, inklusive Wachpersonal, Videoüberwachung,
Stacheldraht. 131 Castoren lagern dahinter, bis irgendwann mal irgendwo ein
Endlager für deutschen Atommüll gefunden ist. Übrigens: Eltern haften für
ihre Kinder. So steht es am Eingangstor geschrieben.
## 14.55 Uhr: Berlin
Im taz-Café gibt es heute Nudeln mit Gemüsebolognese. Ein Essen wie aus der
Vokü im Protestcamp in Hitzacker.
## 14.37 Uhr: Gorleben
Das Zwischenlager informiert: Das Informationshaus der
Betreibergesellschaft des Zwischenlagers ist ein altes Fachwerkhaus. Früher
war hier die Schule. Heute ist eine 32-köpfige Gruppe aus Bad Bevensen in
der Lüneburger Heide zu Besuch. Eine Selbshilfegruppe von Menschen, die
einen Schlaganfallpatienten und ihre Angehörigen.
Gorleben sei ja jetzt wieder „im Gespräch in der großen Politik“, sagt
Walter Kerner, der den Ausflug organisiert hat. Da wolle man sich
informieren. Jürgen Auer, Pressesprecher der Betreibergesellschaft GNS
begrüßt die Gruppe. Er zeigt auf ein Metallmodell, dass neben der Treppe
aufgestellt ist. „Das ist ein Brennelement in Originalgröße“, sagt er.
## 14.25 Uhr: Dannenberg
Kurt Herzog, der Landtagsabgeordnete der Linkspartei, bereitet sich auf die
Plenumssitzung kommende Woche vor, die letzte vor der Landtagswahl.
Gorleben wird auf der Tagesordnung stehen. Die Linkspartei bringt einen
Antrag ein, den sie bereits 2008 formuliert hat, darauf ist Herzog stolz.
Sie seien – im Gegensatz zu Schwarz-Gelb – eben keine „Atomwendehälse“.
Für Herzog ist klar: „Man muss bei der Suche nach einem Atommüllendlager
ganz neu beginnen“, sagt er, „bei Null“. Man müsse eine oberflächennahe
Lagerung prüfen, fest verbunkert, möglicherweise dezentral. „Ich kann
verstehen, dass die Leute vor ihrer Haustüre kein Atommülllager wollen.“
## 14.01 Uhr: Hintergrund Atommüll V
Während Regierung und Opposition in der Endlagerfrage aufeinander zugehen,
lehnen Umweltschutzorganisationen Gorleben als potentiellen Standort
weiterhin kategorisch ab. Für die Suche nach einem Endlagerstandort
[9][hält zum Beispiel Greenpeace es für unerlässlich], die Vorgänge um
Gorleben restlos aufzuklären und den Salzstock ein für allemal von der
Liste potentieller Lagerstätten zu streichen.
## 13.47 Uhr: Apropos
Im vergangenen Jahr hat die FR [10][Graf Andreas von Bernstorff besucht],
dem ein Teil des Gorlebener Salzstocks gehört – und der gegen das
Atommülllager aktiv ist.
## 13.42 Uhr: Frankfurt am Main
Die KollegInnen bei der Frankfurter Rundschau [11][fragen nach mehr
Gummibärchen]. Sie hätten bereits alle aus dem Care-Paket verputzt. Also,
wir haben noch welche von Euren, die Ihr uns damals geschickt habt. ;-)
## 13.30 Uhr: Dannenberg
Ein Polizist in Uniform eilt an der Kirche vorbei, in der Hand einen bunten
Rucksack. „Es ist schon gut, dass es in diesem Jahr keinen Castor gibt“,
sagt er. Wenn man dann Dienst hat, ist es sehr stressig, sei es an der
Strecke oder auf dem Revier. Wochenlang Stress. „Und in der Freizeit kommt
man nirgendwo hin.“ Dann muss der Polizist weiter zum Polizeirevier, seine
Schicht beginnt. Davor steht ein Polizeiauto mit Lüneburger Kennzeichen.
Warum, ist unklar.
## 13.19 Uhr: Am Telefon – Stefan Voelkel, Safthersteller
Auch die Wirtschaft im Wendland ist durch Erinnerungen an die Proteste und
Blockaden gegen den Atommüll geprägt. „Ich bin als Kind damit aufgewachsen
und war mit meinen Eltern jedes Mal mit dabei“, sagt Stefan Voelkel,
Geschäftsführer einer Saftfirma aus der Region. Er ist sich nicht sicher,
ob man die diesjährige Abwesenheit der Transporte als Protest-Erfolg werten
könne.
Allerdings zeige laut Voelkel etwa der Erkundungsstopp im Salzstock
Gorleben, den Anwohnerklagen durchgesetzt hatten, dass es sich lohne zu
kämpfen: „Man muss am Ball bleiben und weiter Druck machen“. Auf die Frage
hin, ob er ebenfalls bereits einmal bei einer Sitzblockade weggetragen
wurde, antwortet Voelkel wie selbstverständlich: „Natürlich, das gehört
doch schließlich dazu“.
Werbung für das Wendland – auch ohne Großproteste und Blockaden – fällt …
nicht schwer, die Region habe auch so sehr viel zu bieten: „Das Wendland
ist ja eine wahre kulturelle Schönheit“, sagt Voelkel. Bestes Beispiel für
ihn: Die kulturelle Landpartie, die jedes Jahr zwischen Himmelfahrt und
Pfingsten im Landkreis Lüchow-Dannenberg stattfindet. Das Wendland sei nun
mal eine „wunderschöne Region mit hochinteressanten Menschen“, sagt
Voelkel, Castortransport hin oder her.
## 13.04 Uhr: Lüchow, Bioladen
Neben dem Weltgeist und dem Geist des Kapitalismus gibt es den Wendländer
Geist. Deshalb hat sich Elisabeth Frisch hier eine Scheune ausgebaut und
ist im März hergezogen, nachdem sie jahrelang immer wieder demonstrieren
war. „Wir lieben den kritischen Geist, der über der Gegend schwebt“, sagt
sie in einem Bioladen mit allerlei regionalem Gemüse. Das Wendland hat
mittlerweile Menschen aus ganz Deutschland angelockt. Künstler, Kreative,
Aussteiger, Unternehmer. „Vielleicht ist das hier eine Keimzelle innerhalb
Deutschlands, die zeigt, es geht auch anders“, sagt Frisch.
Was es auch gibt im Bioladen: „Salz für Gorleben“, das aber nicht aus dem
Salzstock Gorleben ist, weil da vielleicht Atommüll rein soll. Woher das
Salz stammt, steht nicht drauf.
## 12.56 Uhr: Dannenberg
Vor der Kirche parken zwei Autos. Beide haben Aufkleber auf ihren Hecktüren
kleben. „Genfood? Nein Danke“, der berühmte Spruch von dem letzten Baum,
dem vergifteten Fluss und dem Geld, dass man nicht essen kann. Und
natürlich: „Stopp Castor! Stopp Atomkraft!“ und „Castor blockieren“.
## 12.50 Uhr: Rathaus Gartow
Der Bürgermeister der Samtgemeinde Gartow ist alles andere als ein
Castorgegner. „Im Wahlkampf habe ich nie einen Hehl daraus gemacht, dass
ich dem Zwischenlager positiv gegenüberstehe“, sagt der 58-jährige
Friedrich-Wilhelm Schröder in seinem Amtszimmer im Rathaus von Gartow, das
wie fast alle Häuser im Wendland in niedlichem Fachwerkklinker-Stil
errichtet wurde.
Gorleben, das Zwischenlager für die Castoren und das Erkundungsberkwerk als
potentielles Endlager liegen auf der Gemarkung seiner Gemeinde. Der
CDU-Politiker Schröder ist 2001 und 2006 mit satter Mehrheit gewählt
worden. Ist Gorleben als Endlager geeignet? „Das würde ich nicht sagen, es
gibt ja keine abschließende Erkundung“, sagt er. Ausschließen würde er den
Standort aber nicht, auf einer bundesweiten Suche nach dem besten Standort
für den Atommüll.
Darin unterscheidet er sich von den Castor-Gegnern. Beim Verlassen des
Rathauses fällt auf, dass Säcke mit zerkleinerten Akten im Gang liegen.
Verfassungsschutz? „Klar, die bringen die zum Schreddern vorbei“, scherzt
Schröder und verabschiedet sich zum Mittagessen.
## 12.35 Uhr: Berlin – Erinnerungen
Bei der Videosuche auf [12][diese NDR-Doku] aus dem Jahr 2008 gestoßen. Die
Bilder geben einen ganz guten Eindruck der Proteste und der Polizeiarbeit
im Wendland wieder.
## 12.23 Uhr: Marktplatz Dannenberg
Zwei Polizeiautos stehen am Dannenberger Marktplatz. Die Besatzungen sind
nirgendwo zu sehen.
## 12.10 Uhr: Hintergrund Atommüll IV
Durch einen Beschluss der Grünen ist ein Kompromiss etwas wahrscheinlicher
geworden. Auf ihrem [13][Parteitag] am vorvergangenen Wochenende entschied
die Partei, dass sie Gorleben nicht kategorisch als mögliche Endlagerstätte
ausschließt. Auch wenn die Grünen eigentlich kein Endlager in Gorleben
wollen und seit Jahren dagegen kämpfen. Erstmal soll es nun aber der Liste
potentieller Lagerstätten bleiben.
Die SPD, die sich auf Bundesebene weiter für eine Erkundung des Salzstockes
in Gorleben einsetzt, bekommt Gegenwind aus den eigenen Reihen: Stephan
Weil, Spitzenkandidat der Genossen für die Landtagswahl, hat sich klar
dagegen positioniert.
## 11.59 Uhr: Dannenberg, Café Sprechzimmer
Ein Ort für den Wohlfühl-Widerstand: Im Café Sprechzimmer gibt es
Cappuccino und Mandel-Heidelbeer-Kuchen. Möglichst viel ist bio. Heike
Lenze hängt gerade Christbaumkugeln auf. Zusammen mit Ursula Geiger hat sie
das Café vor sechseinhalb Jahren eröffnet. Sie kamen aus Hamburg, es zog
sie aufs Land.
Ein buntes Publikum kommt ins Café, alte, junge, die meisten sind irgendwie
grün und links. „Es ist ein sehr offener Ort“, sagt Lenze. Ein Treffpunkt
für die Castorgegener. Aber mehr als das. Ein Atelier, ein Laden. Es gibt
Notizbücher, Geschirr, Filztaschen. Wichtig ist den beiden, dass die
Produkte unter fairen Bedingungen hergestellt worden sind. Es gibt nur eine
Ausnahme: Der Angela-Merkel-Kopf als Zitronenpresse aus Plastik. Die haben
sie eigentlich aus dem Programm genommen, zwei Jahre hielten sie es durch –
dann gaben sie den vielen Kundenwünschen nach.
Wenn der Castor kommt, gibt es im Café Soli-Essen. Aber alle seien froh,
dass in diesem Jahr kein Atommüll rollt, sagen die beiden. Kein
„Belagerungszustand durch die Bullen“. Alle seien so politisiert, dass es
trotzdem nicht langweilig wird. In ihrem Café, da machen sie auch
Veranstaltungen gegen rechts.
## 11.42 Uhr: Dannenberg
Joachim Noack, blauer Pullover, Mütze, kommt gerade aus seinem Geschäft,
zur Begrüßung zieht er die Arbeitshandschuhe aus. „Wendawatt“ heißt seine
Firma, er ist einer der deutschen Solarpioniere. Der 65-Jährige ist hier
aufgewachsen, zog dann weg, kam aber bald wieder. Arbeitete erst als
Frisör, dann wurde er Kneipier. Seine Gaststätte sollte zu einem Treffpunkt
der Castorgegener werden.
Ihm war wichtig, an Alternativen zur Atomkraft zu arbeiten – und so baute
er sich Solarzellen aufs Dach der Gaststätte. Das war Ende der 70er Jahre.
Er produzierte mehr Strom als er verbrauchte und strafte jene lügen, die
sagten, Solarenergie sei allenfalls eine Spielerei. Mit einigen
Mitstreitern begann er weitere Solaranlagen zu installieren. Auf Infozettel
schrieben sie damals: „Wussten Sie, dass Solarkraftwerke zwar Energie, aber
keine Schadstoffe, Schwermetalle, radioaktive Abfälle etc. erzeugen?“
Bei den Protesten und Blockaden war Noack natürlich auch immer dabei. Er
fühlt sich bestätigt, weil es inzwischen völlig normal ist, mit Solarzellen
Strom zu erzeugen und fragt, warum dass so lange gedauert hat. Den Fokus
seines Geschäfts hat er etwas neu ausgerichtet: Er verkauft jetzt vor allem
Holzpelletsheizungen und -öfen. Die Technik der Kraft-Wärme-Kopplung kennt
er schon lange, die hat er damals in seiner Gaststätte bereits angewandt.
## 11.25 Uhr: Dannenberg – Wahlkreisbüro der Linkspartei
Das Wahlkreisbüro der Linkspartei, schräg gegenüber der Kirche.
„Atomkraft-Nein-Danke“-Tassen im Schaufenster, eine Flagge mit
Friedenstaube an der Wand. Kurt Herzog hat einen kleinen Button an seiner
Outdoor-Jacke: Ein weißes X auf blauem Grund. Er ist gegen den Castor,
schon immer. Seit 30 Jahren wohnt er im Haus seiner Großmutter, direkt an
der Castorstrecke. Herzog war Ingenieur bei Siemens, bis er den Job nicht
mehr mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. Dann betrieb er hier einen
Naturkostladen – und wurde Politiker.
Er war bei den Grünen und trat 2000, wie die gesamte Kreistagsfraktion, aus
der Partei aus. Grund war der Atomkonsens. Herzog sitzt jetzt für die
Linkspartei im niedersächsischen Landtag, er ist umweltpolitischer Sprecher
seiner Fraktion und wühlte sich im Asse-Untersuchungsausschuss durch rund
eine Million Seiten Akten. Für Herzog ist klar: Gorleben ist allein schon
wegen der geologischen Gegebenheiten völlig ungeeignet als Endlager. Das
sei schon seit Anfang der 80er Jahre klar.
## 11.05 Uhr: Am Telefon – Jochen Stay von .ausgestrahlt
Für Jochen Stay vom Anti-Atombündnis [14][.ausgestrahlt] ist das Wendland
weiterhin ein zentraler Ort des Protests – auch wenn dieses Jahr kein
Castor-Transport zu stoppen ist: „Es wird natürlich trotzdem weiter
protestiert. Wir haben dieses Jahr viele Protestaktionen gemacht, zum
Beispiel zu den Verhandlungen um Gorleben als Atommüll-Endlager“.
Was den derzeitigen Entwurf zum Endlagersuchgesetz angeht, ist Stay
skeptisch: Er glaube nicht, dass sich etwa die Grünen gegen „die Parteien,
die weiterhin an Gorleben als Standort festhalten, durchsetzen werden“.
Daher wird er weiter Druck machen. Sobald die Verhandlungen zur
Endlagersuche weitergehen, werde .ausgestrahlt „sicher wieder Aktionen
durchführen“.
Bis dahin gebe es sowieso genug an anderen Orten zu tun. „In Deutschland
finden weiter regelmäßig Atomtransporte statt, so wie kürzlich nach
Grohnde“, betont Stay. Mitte November waren Plutoniumhaltige
Mischoxid-Brennelemente aus der britischen Atomfabrik Sellafield zum
[15][Atomkraftwerk Grohnde transportiert] worden – und von einem breiten
Anti-Atom-Bündnis mit Demonstrationen im Zielhafen Nordenham und in Grohnde
selbst empfangen worden.
## 10.56 Uhr: Lokalradio
Radio Zusa empfiehlt noch immer Kalender, jetzt aber „die Königsklasse: die
großformatigen Wandkalender“. Dazu Johnny Cash und inzwischen auch Electric
Light Orchestra. So macht die Arbeit Spaß.
## 10.47 Uhr: Kurz vor Weitsche
Einer der berühmten Wendländer Widerstandsbauern brettert mit seinem
Trecker renitent durch die Gegend. Vermutlich handelt es sich um ein
Manöver um für den nächsten Castor in Übung zu bleiben.
## 10.44 Uhr: Verladebahnhof Dannenberg
Ein Bahninspektor in Serviceuniform, Basecap auf dem Haupt und stolzem
Schnauzbart schaut, ob mit dem Castor-Verladekran alles in Ordnung ist. Die
Bahnstrecke endet hier in einer mit Stacheldraht und Kameras gesicherten
Verladehalle [Korrektur 19.56 Uhr: richtig muss es heißen „die Halle in der
der Verladekran parkt“, denn verladen wird unter freiem Himmel], in der
Castoren von der Schiene auf die Straße umgeladen werden. Rein darf der
Inspektor nicht, das darf niemand, nur der Castor, aber der kommt in den
nächsten Jahren wahrscheinlich nicht. Die Halle harrt der Dinge, die da
kommen mögen.
## 10.37 Uhr: Hintergrund Atommüll III
Im Bundesumweltministerium äußert man sich im Oktober diesen Jahres noch
optimistisch, dass [16][das neue Endlagergesetz] noch 2012 verabschiedet
würde. Es ist aber nicht sehr wahrscheinlich, dass das klappt. Es gibt noch
zu viele Streitpunkte: Welche sind die genauen Kriterien für ein
Atommülllager? Ist das Verfahren wirklich ergebnisoffen oder versucht die
schwarz-gelbe Bundesregierung nicht einfach nur geschickt, eine
Entscheidung für Gorleben durchzudrücken? Außerdem wird Ende Januar in
Niedersachsen gewählt, da stört die Atomfrage nur.
## 10.25 Uhr: Lokalnachrichten aus dem Wendland
wendland-net.de, ein lokales Nachrichtenportal, hat für prospektive neue
Castorproteste den Renntrecker ausgegraben – ein flottes Youtubevideo, dass
die Herzen der Power-Bauern höher schlagen lassen dürfte. [17][Link zum
Video.]
Im Radiostream von [18][Radio Zusa] werden derweil Taschenkalender für 2013
empfohlen. Dazu spielt: Status Quo.
## 10.14 Uhr: Erstes Bild aus dem Krisengebiet
## 9.59 Uhr: Dannenberg, Jeetzelallee
kik verliert: Der Parkplatz vor baugleichen Filialen diverser Modeketten
ist nicht vom Tränengas der Polizei vernebelt, sondern vom Bratfett des
Asiaimbiss'. Eine Blitzumfrage zum Anti-AKW-Engagement ergibt: Bei
Deichmann und Takko Fashion arbeitet immerhin jeweils eine Mitarbeiterin,
die schon mal gegen den Castor demonstrieren war. kik kackt dagegen ab:
„Für sowas haben wir keine Zeit“, sagt eine Mitarbeiterin.
## 9.42 Uhr: Hintergrund Atommüll II
Vor rund einem Jahr ist [19][Bewegung in die Endlagerfrage] gekommen. Bund
und Länder einigten sich auf einen Neustart bei der Suche nach einem Ort,
an dem der Atommüll für tausende von Jahren sicher eingelagert werden soll.
Es soll nun intensiv erforscht werden, welcher Standort und welches
Gesteinsmaterial am besten geeignet wären – ergebnisoffen. Doch die
Verhandlungen stockten bald.
## 9.37 Uhr: Technische Probleme
Erste Bilder sind per MMS aus dem Wendland abgegangen – an einen
süddeutschen Ministerpräsidenten, statt nach Berlin in die taz. Der Kollege
kämpft mit den Tücken seines Telefonadressbuches und der Namensähnlichkeit
verschiedener Einträge darin.
## 9.22 Uhr: Danneberg - Neandertal
Gegenüber der Essotankstelle ist auf einem Schild die Geschichte der
Menschheit verewigt. Demnach befinden wir uns noch immer im ideellen
Neandertal – wegen der Atomkraft. Beim Jahr 800.00 nach Christus steht auf
dem Zeitstrahl: „Was machen Frau Merkels Erben?“, denn dann wird Gorleben
noch immer strahlen.
## 9.16 Uhr: Dannenberg
Der Ortseingang Gartower Straße ist gesperrt. Es ist unklar, ob es einen
Zusammenhang mit dem Castor gibt. Nur wenige Schritte von hier entfernt
befand sich im vergangenen Jahr das große Dannenberger Protestcamp.
## 9.07 Uhr: Weitsche, zwischen Lüchow und Dannenberg
Nebel über den Feldern. Weit und breit keine Polizei zu sehen. Nur
vereinzelt sind Autos unterwegs. Auf einem Trafohäuschen aus Ziegelstein
ist mit weißer Farbe gesprüht: „Stop Castor“.
## 8.54 Uhr: Hintergrund Atommüll
35 Jahre lang war der Salzstock Gorleben als Endlager für den deutschen
Atommüll gesetzt – auch wenn es von Anfang an Protest dagegen gab. Wirklich
auf seine Eignung geprüft wurde Gorleben nicht, wie [20][jüngst die
parlamentarischen Untersuchungsausschüsse] im Bund und in Niedersachsen
belegten.
## 8.32 Uhr: Irland im Wendland
Lüchow, Otto-Koke-Weg: Die Hühner von Elisabeth und Dieter Reckers haben
gerade Legepause. Trotzdem gibt es zum Frühstück in einem alten Forsthaus
Eier aus dem Lokalwarenladen, in dem fast nur Regionales verkauft wird.
Dieter Reckers ist Schauspieler, hat fast 20 Jahre lang in Irland gelebt,
Elisabeth Reckers Yogalehrerin, kommt ursprünglich aus Bremen. „Wir warten
nicht auf den nächsten Castor. Der stört im Prinzip nur“, sagt Dieter
Reckers. Durch den Castor sei das Wendland zu einem kulturellen Mikrokosmos
geworden. „Es hat was Irisches hier. Jeder kennt jeden“, sagt Dieter
Reckers.
## 8.30 Uhr: Zur Einstimmung ein Film
Alle Jahre wieder mobilisierte die [21][Bürgerinitiative Umweltschutz
Lüchow-Dannenberg] zu den Protesten gegen die Transporte in das
Zwischenlager Gorleben. Im Internetzeitalter natürlich auch mit
Youtubevideos. Eines der schönsten war das zum Tag X 2010.
## 8.07 Uhr: Guten Morgen aus Berlin und Dannenberg.
Das Wetter im Wendland, wie in der Hauptstadt, ist gnädig. Knappe 10 Grad
Celsius schmeicheln den wettergegerbten Protestveteranen. In Dannenberg gab
es bislang keine Zusammenstöße mit der Polizei, in Berlin aber wurde die
Arbeit der unabhängigen Presse kurzzeitig durch eine polizeilichen Maßnahme
behindert. Das Problem konnte nach kurzem klärenden Gespräch („Die Ampel
war höchstens gelb, Herr Polizeiobermeister, und der Strahler muss grad
erst vom Fahrrad abgefallen sein“) behoben werden.
Die Wendlandkorrespondenten nehmen ihr Frühstück ein. Details folgen bald.
Auf wendländischen Straßen wurde kein Castor gesichtet.
27 Nov 2012
## LINKS
[1] http://wiki.piratenpartei.de/Antrag
[2] http://de.twitter.com/AntiAtomPiraten
[3] http://www.madsenmusik.de/biography
[4] http://www.bund.net/
[5] http://www.campact.de/
[6] http://www.x-tausendmalquer.de/
[7] http://www.gorleben-akten.de/
[8] /!25498/
[9] /!105478/
[10] http://www.fr-online.de/panorama/castor-protest-adliger-vs--endlager,14727…
[11] http://twitter.com/MonikaGemmer/status/273405427461525505
[12] http://www.youtube.com/watch?v=4erFbPgh7Vg&feature=relmfu
[13] /!105721/
[14] http://www.ausgestrahlt.de/
[15] /!105841/
[16] /!103595/
[17] http://wendland-net.de/video/der-renntrecker-38470
[18] http://zusa.de/zusa_new/index.html
[19] /!83807/
[20] /!102526/
[21] http://www.bi-luechow-dannenberg.de/
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