| # taz.de -- Rückbau Atomkraft: Milliardengeschäft mit dem Müll | |
| > Kaum ein Unternehmen weiß so viel über den Rückbau von Atomkraftwerken | |
| > wie die Energiewerke Nord. Das macht sie attraktiv für Übernahmen. | |
| Bild: Milliardengeschäft Atommüll – hier in der Asse. | |
| BERLIN taz | Die Bundesregierung hat möglicherweise mit dem Gedanken | |
| gespielt, eine wichtige staatseigene Firma zur Entsorgung von Atommüll in | |
| fremde Hände zu geben. Das geht aus einer kleinen Anfrage der | |
| Bundestagsfraktion der Grünen hervor, die der taz vorliegt. | |
| Verantwortlich für den Rückbau von Atomkraftwerken – etwa dem stillgelegten | |
| Reaktor im brandenburgischen Rheinsberg – ist unter anderem eine Firma, der | |
| viele Fachleute eine große Kompetenz zuschreiben: die Energiewerke Nord, | |
| kurz EWN, mit Sitz in der Nähe von Greifswald. | |
| Die Firma ist hauptsächlich damit beauftragt, die Altlasten der | |
| DDR-Atomindustrie zu beseitigen. Außerdem entsorgt sie die ehemaligen | |
| Atomforschungsanlagen in Karlsruhe und Jülich. Sie gehört dem | |
| Bundesfinanzministerium, betreibt mit dem Zwischenlager Nord an der | |
| Ostseeküste eines der drei Zwischenlager für Atomschrott in Deutschland und | |
| baut die fünf DDR-Reaktoren des AKW Lubmin auf dem gleichen Gelände zurück. | |
| Laut der Antwort auf die kleine Anfrage der Grünen-Fraktion an die | |
| Bundesregierung standen die EWN auf der Einkaufsliste mindestens einer | |
| Firma aus dem Ausland. Bisher hatte das Bundesfinanzministerium bisher | |
| stets bestritten. Kein Wunder, der Vorgang ist heikel: Schließlich würde | |
| das staatliche Unternehmen sein sensibles Know-how an die Privatwirtschaft | |
| verlieren; zugleich gerieten Transport, Lagerung und Entsorgung von zum | |
| Teil hochradioaktiven Material an Unternehmen, die damit Geld verdienen | |
| wollen und unter Kostendruck arbeiten. | |
| ## Interessenten aus Frankreich und Russland | |
| Interesse an einer Übernahme oder Beteiligung bei EWN gab es demnach vom | |
| französischen Staatskonzern Areva. Auch der Moskauer Atomlobbyist Andrej | |
| Bykov war im Bundesfinanzministerium vorstellig. In einer früheren | |
| parlamentarischen Anfrage bestritt das BMF, dass Bykov jemals überhaupt im | |
| Ministerium gewesen sei. Bykov hat für die Energie Baden-Württemberg (EnBW) | |
| jahrelang Gas- und Nukleargeschäfte in Russland eingefädelt. | |
| Inzwischen streiten sich die ehemaligen Geschäftsfreunde vor Gerichten über | |
| Millionensummen. Jetzt gibt das BMF zu: Man stand mit Bykov in Kontakt, | |
| einmal sei er im Ministerium zu Gesprächen gewesen. Das Treffen fand im | |
| Jahr 2010 statt; Gesprächspartner war Henry Cordes, damals Abteilungsleiter | |
| im Ministerium und zuständig für Bundesbeteiligungen und damit für die EWN. | |
| Heute ist er Geschäftsführer der Firma. In dem nun eingeräumten Gespräch | |
| sei es laut BMF allerdings nicht um die EWN, sondern um die Sicherung der | |
| EU-Grenzen vor der verdeckten Einfuhr von nuklearem Material gegangen. | |
| Bykov widerspricht dieser Aussage: Er habe im Ministerium vor einem Verkauf | |
| der EWN nach Frankreich gewarnt, sagte er – und räumte auch Interesse aus | |
| Russland an den EWN ein. | |
| „Dass die Regierung erst jetzt Kontakte zu Herrn Bykow einräumt, ist schon | |
| sehr merkwürdig. Ebenso, dass sie nur scheibchenweise starkes ausländisches | |
| Interesse an den EWN bekennt. Was ist ihr so unangenehm?“, fragt die | |
| atompolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Sylvia Kotting-Uhl. | |
| ## 110 Müllreaktoren versprechen gutes Geschäft | |
| Um an dem Geschäft mit Atommüll teilzuhaben, müssen private Konzerne sich | |
| nicht direkt an der EWN beteiligen. Nach einer internen Liste aus dem BMF | |
| vergaben die Energiewerke Nord unter anderem Aufträge an Tochterfirmen von | |
| Areva sowie an die Betreiber deutscher Kernkraftwerke, RWE, Eon, Vattenfall | |
| und der EnBW. Diese sind zudem über das Gemeinschaftsunternehmen | |
| Gesellschaft für Nuklear-Service beispielsweise am Zwischenlager und | |
| Erkundungsbergwerk Gorleben beteiligt. | |
| Insgesamt lassen sich mit der Beseitigung von Atommüll in den nächsten | |
| Jahren Milliarden verdienen. In Europa gehen bis zum Jahr 2030 rund 110 | |
| Atomreaktoren vom Netz. Die Kosten und damit Umsätze für spezialisierte | |
| Firmen schätzt Greenpeace auf eine Milliarde Euro pro Reaktor. Schwerer | |
| abschätzbar sind die Kosten für die Endlagerung der radioaktiven Abfälle. | |
| Pessimistische Schätzungen gehen von einer weiteren Milliarde pro Reaktor | |
| aus. | |
| Sollten die Kalkulationen ungefähr zutreffen, wird der Rückbau der 110 | |
| Reaktoren über 200 Milliarden Euro kosten. Die deutschen Atomkonzerne haben | |
| für ihren Anteil rund 34 Milliarden Euro an Rückstellungen gebildet. Sollte | |
| eine der Firmen pleitegehen, könnten die Rücklagen futsch sein. Dann zahlt | |
| der Staat. | |
| 17 Dec 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Ingo Arzt | |
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