| # taz.de -- Massenhaltung auf Bio-Höfen: „Man muss mit Hennen reden“ | |
| > In Bio-Massenställen haben die Tiere keine Bezugsperson mehr, kritisiert | |
| > Ökobauer Walter Höhne. Er fordert eine EU-Regelung für kleinere Betriebe. | |
| Bild: Die haben bestimmt viel zu sagen | |
| taz: Herr Höhne, kranke Hennen ohne Federn, tote Hühner – solche Bilder | |
| haben Tierschützer vor kurzem in einem Massenstall von Deutschlands größtem | |
| Bioeiervermarkter Wiesengold aufgenommen. Ist das ein Einzelfall in der | |
| Ökobranche? | |
| Walter Höhne: Nein. Das habe ich schon in sehr vielen Bioställen dieser | |
| Haltungsgrößen gesehen. Zwar nicht so krass. Aber es ist normal, dass die | |
| Hennen im zweiten Halbjahr ihrer Legeperiode zum Teil nur noch schlecht | |
| befiedert sind. Und es gibt auch bei Bio immer mehr Ställe mit 24.000 oder | |
| mehr Tieren. | |
| Sie führen eine Erzeugergemeinschaft von 27 Kleinbetrieben. Was hat die | |
| Betriebsgröße mit Krankheiten zu tun? | |
| Das ist ein Betreuungsproblem, wenn da lauter so kranke Hennen drinhängen, | |
| aber auch eine Folge des schlechten Haltungssystems. Die müssen | |
| rausgefangen und getötet werden, bevor sie noch mehr Tiere anstecken. Je | |
| größer die Ställe, desto schwieriger ist das. Außerdem fehlt dort die | |
| Ansprache durch den Menschen. | |
| Meinen Sie, dass die Bauern mit den Hühnern reden sollen? | |
| Ja unbedingt! Begrüßende und beruhigende Laute beim Stallbetreten oder eben | |
| auch mal eine Entrüstung, weil nicht alles wie gewünscht klappt. Natürlich | |
| nicht zu jedem einzelnen Huhn, aber schon auch zu einzelnen. | |
| Warum ist das so wichtig? | |
| Der Mensch ist für die Tiere der Ersatzansprechpartner. Die Küken haben | |
| normalerweise ihre Henne, ihre Glucke. Die wurde ihnen ja weggenommen. Und | |
| das muss ich als Bauer ausgleichen. Diese Betreuung ist extrem wichtig für | |
| die Tiere. Das wird in der modernen Tierhaltung vernachlässigt. Einer | |
| unserer Bauern hat erst kürzlich wieder erzählt: Wenn er krank ist, so dass | |
| er nicht mehr in den Stall gehen kann, und seine Frau das macht, dann legen | |
| die Hühner weniger. | |
| Aber mit den Tieren reden kann doch nicht alles sein, oder? | |
| Es geht auch darum, dass der Bauer kranke Tiere schnell herausholt und den | |
| Stall sauber hält. Die Strukturen müssen bäuerlich bleiben. Nur der Bauer, | |
| der auf seinem Betrieb eine halbe Million Euro investiert, um Biolegehennen | |
| zu halten, hat den Zwang und das Interesse, dass es den Tieren gut geht und | |
| er seine Arbeit gewissenhaft macht. | |
| Wie ist das denn in Massenbetrieben? | |
| Die großen Farmen haben Riesenbestände und Fremdpersonal. Die Arbeiter | |
| kriegen halt ihre 7 Euro pro Stunde. Dem, der durch den Stall läuft, ist | |
| völlig egal, was da passiert. Da ist das Huhn nur ein Produktionsfaktor. | |
| Das Tier ist da nichts anderes als die Einrichtung, das Gebäude oder das | |
| Futtermittel. | |
| Ihre Betriebe haben doch auch 6.000 Hühner. Bei 6.000 Hühnern kann man | |
| ebenfalls nicht mit jedem Huhn sprechen. | |
| Nein, aber die Tiere haben normalerweise eine Bezugsperson. Klar, 6.000 | |
| hört sich schon viel an. Aber die Großbetriebe haben jetzt ja als | |
| Standardgröße 24.000er-Ställe. Und dann haben sie Standorte, wo nicht nur | |
| einer, sondern zwei, drei, vier solcher 24.000er-Ställe stehen. Da laufen | |
| dann zwei oder drei Leute durch. Dort ist die Betreuung wesentlich | |
| schlechter. | |
| Lohnt es sich überhaupt noch, Bio zu kaufen? | |
| Auf jeden Fall, weil ja nicht alle Bioeier so schlecht produziert werden. | |
| Wie kann der Verbraucher erkennen, ob ein Ei aus guter oder schlechter | |
| Biohaltung kommt? | |
| Grundsätzlich sind Eier von Betrieben besser, die zu einem Verband mit | |
| strengeren Regeln als die Ökoverordnung der Europäischen Union gehören. | |
| Aber unter den Verbänden gibt es große Unterschiede. Wiesengold zum | |
| Beispiel ist Mitglied bei Naturland. Auch bei Gäa und Biopark sind die | |
| Richtlinien nicht viel anders als bei EU-Bio. Im Gegensatz dazu haben | |
| Bioland und Demeter und wir mit unseren eigenen Richtlinien wesentlich | |
| höhere Anforderungen. | |
| Was ist der Unterschied zwischen den Verbänden? | |
| Naturland zum Beispiel erlaubt auch Ställe mit 24.000 Tieren je Gebäude. | |
| Wir oder auch Bioland dagegen nur 6.000. | |
| Sind nicht alle Bioställe per se besser als konventionelle, weil sie mehr | |
| Platz und Auslauf bieten müssen? | |
| Von den Richtlinien her sind die Bedingungen automatisch besser. Aber die | |
| Frage ist, wie die Regeln umgesetzt werden. So ein Biostall kann in einem | |
| grottenschlechten Zustand sein. Das Gegenbeispiel wäre ein kleiner | |
| konventioneller Direktvermarkter mit Freilandhaltung. Da gibt’s weitaus | |
| bessere, wunderbare Ställe mit 3.000, 6.000, 9.000 Tieren. | |
| Aber die verfüttern dann wohl umweltschädlich angebautes konventionelles | |
| Futter mit gentechnisch veränderter Soja aus Südamerika. | |
| Ja, aber nicht zwingend mit Gentech-Soja. | |
| Was muss passieren, um die Zustände in der Biohaltung zu verbessern? | |
| Die EU sollte in ihrer Ökoverordnung die Haltungsgröße auf zwei mal 3.000 | |
| Tiere pro Stallgebäude mit umliegenden Auslaufflächen begrenzen. Klar sind | |
| dann immer noch Betriebe mit 50.000 Tieren möglich. Aber das wird dann | |
| wegen der zusätzlichen Gebäude viel teurer. So hätten wir zumindest das | |
| Problem gelöst, dass die Erzeugungskosten von großen und kleinen Betrieben | |
| sich nicht mehr stark unterscheiden. | |
| Was kosten die Eier denn so? | |
| Für EU-Bioeier muss der Verbraucher im Discounter ungefähr 25 Cent | |
| bezahlen. Unsere liegen bei 40 bis 45 Cent. Wiesengold und solche Firmen | |
| können uns Kleine unterbieten wegen ihrer Größe mit ihren geringeren | |
| Personalkosten und ihren Vermarktungsstrukturen. | |
| Wie ist das Problem Agrarindustrie – Bio überhaupt entstanden? | |
| Die Biobranche selbst ist zum Großteil an dieser Misere schuld. In der | |
| ersten Fassung der Bioverordnung war ja geregelt: Ein Geflügelstall | |
| beherbergt maximal 3.000 Tiere. Mit Inkrafttreten der Verordnung hat man | |
| dann folgende Interpretation gefunden: Ein Geflügelstall beherbergt maximal | |
| 3.000 Tiere, aber ein Stallgebäude beherbergt mehrere Herden. Das Ergebnis | |
| ist Massentierhaltung nach Ökorichtlinien. Das war der grundlegende Fehler. | |
| Hätten die Ökoanbauverbände das verhindern können? | |
| Die Bioverbände hätten es in der Hand gehabt, zu sagen: Wir akzeptieren so | |
| was nicht. In Deutschland ist es Standard in der Bioei-Erzeugung, einem | |
| Verband anzugehören. Aber sie waren sich nicht einig. | |
| Wie geht die Branche jetzt mit solchen Tierschutzskandalen um? | |
| Sie will das unter der Decke halten. Sie ist nicht wirklich daran | |
| interessiert, diese Sachen zu klären. Dazu haben die großen Betriebe zu | |
| viel Einfluss in den Verbänden. | |
| Man könnte Ihnen vorwerfen, Sie machten nur Werbung für Ihre | |
| Erzeugergemeinschaft. | |
| Ich brauche keine Werbung zu machen. Unser Problem ist nicht, dass wir | |
| keine Eier verkaufen können, sondern dass wir seit Jahren nicht genügend | |
| Betriebe finden. Die Kalkulation für die Bauern ist zwar nicht schlecht, | |
| aber eigentlich aus betriebswirtschaftlicher Sicht eher zu knapp. Wir | |
| leiden an den Großbetrieben, die am Markt die Preise bestimmen. | |
| 4 Dec 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Jost Maurin | |
| Jost Maurin | |
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