# taz.de -- Die Wahrheit: Der ewige Israeli | |
> Haben Sie vom Nahostkonflikt keine Ahnung, aber eine Meinung zu bieten? | |
> Wollen Sie als mutig gelten? Zehn Tipps für einen israelkritischen Text. | |
Bild: Irgendwo in Israel brennt zu Chanukka ein Licht, möge es den Geist der … | |
Haben Sie vom Nahostkonflikt keine Ahnung, aber eine Meinung zu bieten? | |
Wollten Sie schon immer mal für mutig gehalten werden, weil Sie etwas | |
aussprechen, was sowieso alle denken? Dann schreiben Sie doch einfach einen | |
israelkritischen Text! Im Folgenden präsentiert Ihnen die Wahrheit eine | |
kleine Handreichung, wie solch ein Text aussehen könnte, sowie ein paar – | |
nennen wir sie: Stolpersteine, die Sie unbedingt beachten sollten, damit | |
Ihre Publikation auch tatsächlich als israelkritisch wahrgenommen wird und | |
nicht etwa als … na, Sie wissen schon. | |
## 1. Der Kronzeuge | |
Zitieren Sie einen israelkritischen Juden, denn wer einen Juden zitiert – | |
das liegt in der Natur der Sache –, der kann die Juden nicht hassen. | |
Bedienen Sie sich dabei der Einfachheit halber aus dem übersichtlichen Pool | |
„kritischer Juden“, die auch von anderen israelkritischen Texten immer | |
wieder gern zitiert werden. | |
## 2. Konzentration | |
Erwähnen Sie in Ihrem Artikel nicht die Hamas – oder wenn, dann nur | |
nebenbei, alles andere würde nur ablenken von Ihrem Thema: Schließlich geht | |
es Ihnen in Ihrem Text um Israel! | |
## 3. Anschaulichkeit | |
Wählen Sie anschauliche Vergleiche, damit diejenigen, die noch weniger | |
Ahnung haben als Sie, sich gleich ein Bild machen können. Vergleichen Sie | |
den Gazastreifen mit dem Warschauer Ghetto und den israelischen Staat mit | |
dem Apartheidregime. Wenn Sie literarischen Ehrgeiz besitzen, können Sie es | |
auch mit Umschreibungen probieren: Bezeichnen Sie Gaza als „ein Gefängnis, | |
ein Lager“, in dem die Menschen zusammengepfercht sind. Hoffen Sie auf | |
einen „Nelson Mandela“ für Israel. Große Prosa entsteht, wenn der Leser d… | |
Leerstellen füllt. | |
## 4. Im Zweifel links | |
Lassen Sie durchblicken, dass Sie Linker sind oder zumindest über eine | |
linke Vergangenheit verfügen. Denn wer links ist, ist bekanntlich gegen | |
Nazis und kann also überhaupt gar nicht gegen Juden sein. Es sei denn (und | |
Achtung!, jetzt wird es etwas kompliziert!): Die Juden verhalten sich | |
selber wie Nazis. In diesem Fall können Sie zeigen, wie schlimm Sie den | |
Holocaust finden, indem Sie ihn mit den Verbrechen Israels auf eine Stufe | |
stellen. | |
## 5. Moralisches Erbe | |
Betonen Sie unbedingt und gebetsmühlenartig, dass gerade Sie als Deutscher | |
und Linker die Pflicht haben, israelkritisch zu sein, da Sie zu neuem | |
Unrecht nicht schweigen dürften. | |
## 6. Grundsätzlichkeit | |
Bleiben Sie in Ihren Vorwürfen gegen Israel möglichst pauschal, da zu viele | |
Fakten den Leser verwirren. Gerade bei so einer hochkomplexen Materie darf | |
man sich nicht in den Details verlieren. Nehmen Sie außerdem Abstand von | |
konkreten Quellen – Sie sind hier schließlich der Nahostexperte! Sie sind | |
die Quelle! | |
## 7. Kritische Verbundenheit | |
Schreiben Sie auf jeden Fall, dass Sie nur das Beste für Israel wollen: | |
dass Sie im Gegensatz zu den „vorgeblichen Freunden Israels“ (Jakob | |
Augstein) sein wahrer Freund sind oder dass Sie, wie Harald Martenstein es | |
im Tagesspiegel formuliert hat, sogar für Israel „beten“ würden. | |
## 8. Ahnungsvolles Andeuten | |
Wenn Sie etwas schreiben wollen, für das Sie keine Belege haben, von dem | |
Sie aber trotzdem glauben, dass es stimmt (die wahren Interessen Israels, | |
der jüdische Griff nach der Weltherrschaft, die jüdische Kontrolle von | |
Medien und Politik): Formulieren Sie es als Frage oder Andeutung! Fragen | |
Sie zum Beispiel mit Jakob Augstein: „Wem nützt die Gewalt?“ Und antworten | |
Sie sich selbst: „Und dieses Mal auch – wie nebenbei – den US-Republikane… | |
und der israelischen Regierung.“ In diesem, wie nebenbei gesetzten, „wie | |
nebenbei“ kann der Leser alles lesen, was Sie meinen (siehe auch Punkt 3: | |
„Leerstellen lassen“). | |
## 9. Immunisierung | |
Behaupten Sie, man dürfe Israel nicht kritisieren, ohne als antisemitisch | |
abgestempelt zu werden. Damit unterstreichen Sie zum einen Ihren eigenen | |
Mut; zum anderen machen Sie Ihren Text unangreifbar, weil jegliche Kritik | |
an ihm Ihre These bestätigt. | |
## 10. Selbstkontrolle | |
Lesen Sie Ihren Text zum Schluss noch mal durch. Achten Sie darauf, dass | |
Sie – auch wenn es schwerfällt – immer „Israel“ geschrieben haben, ans… | |
„die Juden“. Sie werden doch mit Ihrem antirassistischen Arsch nicht | |
einreißen, was Sie so mühsam aufgebaut haben. | |
15 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Philip Meinhold | |
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