# taz.de -- Die Wahrheit: Scharf wie Marmelade | |
> Das Schlagerwesen Helene Fischer und ihr Feuerwerk der Langeweile. | |
> Perfektion vor allem in den Disziplinen Dösbackigkeit und Gefühlsduselei. | |
Bild: Bereits ihre Ansagen sind so banal, dass man vor Langeweile mit dem Kopf … | |
Zu den eher unappetitlichen Themen, denen man in den vergangenen zwei | |
Wochen nicht entgehen konnte, gehört der Erfolg von Helene Fischer. Ihr | |
Album „Farbenspiel“ war das meistverkaufte im Jahr 2013 und befindet sich | |
auch aktuell an der Spitze der Charts, mit der Weihnachtsausgabe ihrer | |
Fernsehshow holte sie den Quotensieg und lockte rund fünf Millionen | |
Matschbirnen vor die Mattscheiben. In der Folge verstopfte sie sogar die | |
Timeline bei Twitter. | |
Und so wussten in der verabredungsreichen Zeit zwischen den Jahren auch | |
etliche Freunde und Bekannte von Familienmitgliedern zu berichten, die am | |
ersten Weihnachtsfeiertag nichts Besseres zu tun hatten, als den Abend mit | |
der „Helene-Fischer-Show“ im ZDF zu verbringen. Eine Bekannte erzählte, ihr | |
Vater und ihre Schwester fänden die Helene unisono „scharf“, wobei die | |
Schwester nicht lesbisch ist; eine Kollegin berichtete, ihr Onkel möge an | |
der Sängerin, dass sie „so perfekt“ ist. | |
Für alle, die aus weniger debilen Familienzusammenhängen stammen, sei an | |
dieser Stelle noch mal kurz zusammengefasst: Die „Schlager-Königin mit dem | |
tollen Klangkörper“ (Bild) ist „Deutschlands härteste Show-Arbeiterin“ | |
(DWDL). In ihren Sendungen trällert sie eigene Lieder mit Titeln wie | |
„Fehlerfrei“ oder „Atemlos durch die Nacht“, sie tanzt mit | |
Musical-Ensembles, turnt am Trapez, zwischendurch gibt es Feuerwerk, | |
Orchesterbegleitung und diverse Outfitwechsel, was die Gastgeberin nicht | |
davon abhält, mit dem immer gleichen Honigkuchengesicht in die Kamera zu | |
grienen. Lediglich wenn sie Rockballaden wie Bon Jovis „It’s my life“ | |
intoniert, deutet sie durch taubenartiges Vorschieben des Kopfes an, dass | |
es sich jetzt aber um echt krasse Rockmusik handelt. Außerdem begrüßt sie | |
Gaststars, mit denen sie gemeinsam performt; in ihrer Weihnachtssendung | |
sang sie Medleys mit Howard Carpendale, Otto Waalkes und Peter Kraus – also | |
so ziemlich allen, die bei drei nicht im Altersheim waren. | |
Summa summarum ein rund dreistündiger K.-o.-Cocktail für das Gehirn, | |
bestehend aus Schlagerparty, Nummernrevue und Zirkusvorstellung, wobei das | |
aufgefahrene Brimborium kaum darüber hinwegtäuschen kann, dass Helene | |
Fischer ihre Perfektion vor allem in den Disziplinen Dösbackigkeit, | |
Gefühlsduselei und Harmlosigkeit zelebriert. | |
Bereits ihre Ansagen sind so banal, dass man vor Langeweile mit dem Kopf | |
auf die Tischplatte knallen und in tausendjährigen Tiefschlaf verfallen | |
will: „Sie alle kennen das, wenn man nachts nicht schlafen kann, weil einem | |
sooo viele Dinge durch den Kopf gehen. Wie gut, wenn dann jemand neben | |
einem liegt, der einen hält und umarmt – und alles ist wieder gut.“ | |
## Fleischgewordene Spießerfantasie notgeiler Säcke | |
Was mögen das nur für furchtbare Dinge sein, die einem da des Nachts durch | |
den Kopf baldowern: Ist noch Bier im Kühlschrank? Hab ich das | |
Nagellackfläschchen auch verschlossen? Muss das Duftbäumchen im Auto mal | |
wieder ausgetauscht werden? | |
Ihre Fans ficht das nicht weiter an. Sie finden die Helene auf Twitter | |
wahlweise „Hammer“, „Sabber“ oder „einfach nur wow!“ – je nach Ge… | |
ein Role Model für frustrierte Frauen oder fleischgewordene Spießerfantasie | |
notgeiler Säcke. | |
„Gibt es was, was diese Frau nicht kann?“, fragt einer entrückt. Dabei | |
gehört die menschliche Schwäche durchaus zum Konzept: „Manchmal bin ich | |
kein Held, kauf ein ohne Geld und verpass den letzten Zug“, gesteht | |
„Germany’s Goldkehlchen“ (Die Zeit) in ihrem Song „Fehlerfrei“. Um ku… | |
darauf in den Refrain zu münden: „Spinner und Spieler, Träumer und Fühler | |
hat diese Welt doch nie genug.“ Eine vergessene Geldbörse, ein verpasster | |
Zug: Das ist genau das Maß an Ausgeflipptheit, das in der heilen Welt der | |
Helene-Fans vorstellbar ist. | |
Und so gibt es nur eines, was bei Helene-Fischer-Shows noch gruseliger ist | |
als der Blick auf die Bühne – und das ist jener ins Publikum: Menschen, die | |
es nach belanglosen Rockballaden von den Sitzen reißt; die verträumt ihre | |
gehirnlosen Köpfchen aneinander schmiegen und die ob des ganzen | |
Schwachsinns bezaubert lächeln. | |
Nein, „scharf“ kann diese singende Schlaftablette nur finden, wer zu den | |
Scorpions rockt, die SPD für links hält und die Peperoni auf seiner Pizza | |
am Tellerrand sammelt. Es stimmt schon: Spinner und Träumer hat diese Welt | |
nicht genug – im Gegensatz zu Helene-Fischer-Fans. | |
7 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Philip Meinhold | |
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