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# taz.de -- Die Wahrheit: Irre demokratisch
> Zur einschlägigen Widerstandsfolklore gehört auch die Montagsdemo. Doch
> zunehmend bemächtigen sich unangenehme Populisten dieser Veranstaltungen.
Bild: Weltfrieden: Nur ein Deckel, unter den noch jede Kloschüssel passt.
Jeder Wochentag ist bekanntlich mit einem anderen Unheil geschlagen: Der
Donnerstag ist der Ausstrahlungstermin von „Germany’s next Topmodel“, der
Sonntag der Katertag zwischen Ausgehen und Arbeit – am Schlimmsten hat es
allerdings den Montag erwischt. An diesem Tag nimmt nicht nur eine stets
jungfräuliche Arbeitswoche ihren Anfang, der Montag muss auch noch als
Namenspatron für aberwitzige Demonstrationen aller Art seinen
Allerwertesten hinhalten.
Seit die Leipziger vor 25 Jahren mit den sogenannten Montagsdemos ihre
Spießerdiktatur zum Einklappen brachten, beflügelt dieser Wochentag die
Allmachtsfantasien des kleinen Mannes auf der Straße.
Kein Anlass scheint nichtig genug für den historischen Namen, keine Meinung
zu abwegig, um sie am Wochenanfang kundzutun. Im Grunde genügt schon die
Überschrift „Montagsdemo“, um selbst bei berechtigten Anliegen schnellstens
Reißaus zu nehmen, da sich unter diesem Motto nur unangenehmste,
populistische Klientel versammelt, deren größter Traum es ist, einmal „Wir
sind das Volk!“ in die Landschaft zu krakeelen.
Noch vor zehn Jahren waren es die Leipziger selbst, die ausgerechnet mit
einer Montagsdemo für Olympische Spiele in ihrer Stadt demonstrierten.
Aktuell hat die Krimkrise zu einer neuen Flut bundesweiter
Wochenanfangsdemos geführt. Von Dortmund bis Berlin gehen Menschen derzeit
für den so berechtigten wie frommen Wunsch aller Christen und Dreijährigen
auf die Straße: den Weltfrieden, für den allerdings ausschließlich der
Westen verantwortlich ist, will er doch die russische Annexion der Krim und
womöglich der Ostukraine nicht einfach jubelnd zur Kenntnis nehmen.
Interessant sind diese Veranstaltungen vor allem deshalb, weil man eine
Spezies, die sich sonst nur im Paralleluniversum des Internets tummelt,
einmal in freier Wildbahn beobachten kann: Verschwörungsgläubige jedweder
Couleur, die wahlweise meinen, dass die Kondensstreifen am Himmel vergiftet
sind oder die Bundesrepublik Deutschland nicht existiert. Für sie ist der
Wunsch nach Weltfrieden lediglich der Deckel, unter den noch jede
Kloschüssel passt.
So erklärte eine Rednerin bei der Hamburger Montagsdemonstration Mitte
April, dass Deutschland seit hundert Jahren ein besetzter Staat sei, um
anschließend auf Michael Jackson zu kommen: Nur eine Woche nachdem dieser
erklärt habe, dass die Presse lüge, sei er ermordet worden. Da schien
selbst die in verschraubtesten Gedankengängen nicht gerade ungeübte
Zuhörerschaft einigermaßen verdattert: Warum hat man davon bisher nie was
erfahren?
Regelmäßiger Hauptredner beim Berliner Montagspopanz ist der ehemalige
Radiomoderator Ken Jebsen, der mit über 100.000 Facebook-Fans einer der
Protagonisten der selbsternannten Wahrheitssuchenden ist: Von 9/11 über die
ferngesteuerten Medien bis hin zu der Mutmaßung, dass die CIA Angela Merkel
und Joachim Gauck erpresse, weil diese als Ostdeutsche sicher ein paar
Leichen im Keller hätten, hat Jebsen auf seiner Internetseite alles im
Angebot, was das paranoide Amerika-Bild seiner Gefolgschaft bedient.
Bei seinen Montagsreden reiht er mit der Assoziationsfähigkeit eines
Psychiatrie-Patienten eine wahnwitzige Mischung aus Stand-up-Comedy,
Propaganda und Allgemeingeschwurbel aneinander, wie zum Beispiel den
Wunsch, dass die Menschen einander wieder mehr zuhören sollten – was
natürlich vor allem dann gilt, wenn es Jebsen selbst ist, der spricht. Was
genau er sagt und vor allem will, ist allerdings auch am Ende seiner bis zu
einstündigen Suada nicht so leicht zusammenzufassen. Mal abgesehen von der
Feststellung, dass Frieden gut ist, die Antifa rechts und die Medien
hierzulande Verbrecher sind. Konkrete Verbesserungsvorschläge oder
Forderungen sucht man indes vergebens. Und so handelt es sich bei den
Montagsdemos vor allem um die Simulation eines Protestes, dessen einziges
Ziel es ist, das Selbstbild der Teilnehmer als eingeweihte Elite gegenüber
dem verblödeten, fernsehglotzenden Mainstream zu bedienen.
In Hamburg hat sich das Auditorium derweil vom Schock der
Michael-Jackson-Enthüllung erholt und lauscht, wie die Rednerin sich über
Chemtrails, mit denen „SIE uns fertigmachen wollen“, echauffiert, um
schließlich – wie bei jeder ordentlich antisemitischen Verschwörungstheorie
– bei den Rothschilds zu landen. Ein Name, der genügt, damit die
dreistellige Zuschauerschar klatscht und johlt.
Einen Augenblick lang ist man tatsächlich geneigt zu glauben, dass
zumindest montags doch irgendwas in diesen Kondensstreifen ist – so
verstrahlt, wie hier alle sind.
27 Apr 2014
## AUTOREN
Philip Meinhold
## TAGS
Montagsdemos
Populismus
Verschwörungsmythen und Corona
Antisemitismus
Rechtsextremismus
Geschmackssache
Montagsdemos
Tatort
Helene Fischer
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