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# taz.de -- Die Wahrheit: Lindi Ortega und mein Hemd
> Sie singt, was die Stimmbänder hergeben, verteilt herrliche Umarmungen
> und dann passiert noch etwas ganz und gar Wunderbares.
Bild: Zahlen sind das A und O des Videotexts, wo Teilnehmer von Meinungsumfrage…
Die Kanadierin Lindi Ortega gibt sich im Privatclub die Ehre. Mein Freund
Patrick hat sie mir als die neue Dolly Parton, nur mit weniger Oberweite,
avisiert – ein guter Anlass also, um mein neues Westernhemd auszuführen.
Ich habe es vor ein paar Tagen im Berliner Wedding erstanden, in einem
kleinen Country-Shop, der die schönsten Westernhemden der Stadt führt. Es
ist in gedecktem Braun gehalten, mit Blumenornamenten auf den Schultern und
an den Manschetten und diesen Knöpfen, die im Licht oszillieren.
Selbstverständlich wäre ich wie seit fünfzehn Jahren zum Privatclub in der
Pücklerstraße gefahren, aber nein, sagt Patrick, der sei umgezogen und
befinde sich nun an der Hochbahn neben der Post. Prima, dann kann ich
vorher noch Geld abheben. Nein, erklärt Patrick, der Schalterraum habe
neuerdings nach 20 Uhr nicht mehr auf. Herrje, man kennt sich ja in seiner
eigenen Stadt nicht mehr aus!
Im neuen Privatclub sitzen wir im Raucherraum, rauchen Patricks Gitanes und
reden ein bisschen Literaturbetriebs-Blablabla. Auf dem Weg zur Toilette
nickt mir ein anderer Kerl mit Westernhemd wissend zu – ich fühle mich wie
der Fahrer eines VW Käfers, der an der Ampel neben einem anderen
Käferfahrer zum Stehen kommt. Man lächelt sich zu, fühlt sich verbunden und
fragt sich, ob der andere cool genug ist, den Ruf der Gemeinschaft nicht zu
ruinieren?
Als Lindis Vorband tritt die Sängerin Laura Bean in einem Countrykleid auf,
das eins a zu meinem Countryhemd passt. Und dann ist sie auch schon da:
rote Cowboystiefel, Akustikgitarre, obenrum eine knappe Gardine – und
scheiß auf die Oberweite: Diese schwarze Seidenstrumpfhose mit den
Blümchen-Applikationen würde wirklich perfekt zu meinem Westernhemd passen.
Mein Freund Patrick hat recht: Lindi ist die Country-Königin der kommenden
Jahre. Sie singt über Zigaretten und Whiskey, über Marihuana und Männer und
über die shittier days of life – ob wir die nicht auch kennen würden?
Sie singt, was die Stimmbänder hergeben, stampft mit dem Fuß auf; das ist
kein Getue, das ist Countrymusik, wie sie sein soll: Songs, die von Herzen
kommen – und genau da gehen sie hin! „Heaven has no place for me“, klagt
Lindi, und wenn das so ist, denke ich, dann haltet mir ruhig einen Platz in
der Hölle frei.
Weil sie erkältet ist, hustet Lindi zwischen den Songs ordentlich ab. Statt
Bier oder Wasser greift sie zu einer Tasse mit Tee, dazu genehmigt sie sich
ein paar Stöße aus einem Rachenspray, das hervorragend zu meinem
Westernhemd passt, wie mich dünkt.
Am Ende verkündet Lindi, dass, wer ihre CD „Cigarettes & Truckstops“ kaufe,
von ihr einen hug bekomme: Sie habe buddy-hugs, pet-hugs, mindestens zehn
verschiedene Arten von hugs. Und, na klar hole ich mir so eine Umarmung ab,
wenn’s das Album gratis dazu gibt. Sicherheitshalber ordere ich einen
Influenza-hug, denn das mit der Hölle hat noch ein klein bisschen Zeit. Und
dann passiert etwas Wunderbares – denn nach der Umarmung sagt Lindi: „I
love your country shirt.“
19 Mar 2013
## AUTOREN
Philip Meinhold
## TAGS
Countrymusic
Whisky / Whiskey
Internet
Mehdorn
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