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# taz.de -- Die Wahrheit: Mehdorn in Bahngewittern
> Aus aktuellem Anlass aus dem Archiv: Bereits 2003 porträtierte die Bahn
> den damaligen Chef in ihrer Hochglanzjahresschrift. Wir haben
> nachgelesen.
Bild: Mann aus Stahl: Hartmut Mehdorn.
Vom Volk gehasst, vom Fahrgastverband „Pro Bahn“ verleumdet, von der Presse
mit einer üblen Kampagne überzogen: Bisher hat Bahnchef Mehdorn eingesteckt
wie weiland Witalo Klitschko. Doch nun holt er zum publizistischen
Gegenschlag aus: Im soeben erschienenen jährlichen Themenheft der Deutschen
Bahn lässt er sich unter der Überschrift „Sturm und Drang“ porträtieren.
Vier Seiten, die Mehdorn zeigen, wie er wirklich ist.
Gleich am Anfang erfahren wir etwas über den Menschen Mehdorn (übrigens die
einzige Alliteration, die Autor Hans Borchert nicht strapaziert). Sonntags
nämlich kommt Mehdorn manchmal heimlich in sein Büro, wundert sich, „wie
mir das gut tut. Einfach herumzupusseln, ohne Blick zur Uhr. Auch ohne
rechtes Ziel.“ Eine Arbeitsweise, die er in kürzerster Zeit auf das gesamte
Unternehmen übertragen konnte.
Ansonsten hat Mehdorn zur Arbeit eine volkswirtschaftlich vorbildliche,
wenn auch etwas merkwürdige Einstellung: „Zum Glück folgt jedem Sonntag
sogleich der Montag. Und damit los, in die Hände gespuckt und an die
Arbeit. Am liebsten schon morgens um sieben. Typisch für Hartmut Mehdorn.“
In der Folge zeichnet Borchert das eindringliche Bild eines Helden, wie wir
ihn aus Western- und Landserheften kennen. Es ist ein einsamer Kampf, den
Mehdorn führt: „Nur er, der Schreibtisch, die Papiere, der Laptop.“ Doch
einer wie Mehdorn scheut auch die Konfrontation nicht. Zum Beispiel wenn er
die Frauen und Männer der Bahn trifft, deren Stellen er demnächst streicht:
„Ernst ihre Mienen und doch – auf beiden Seiten offenes Visier.“
Cool wie John Wayne tritt er ihnen gegenüber: „Ohne Manuskript, locker ans
Pult gelehnt, skizziert der Bahnchef die Lage des Unternehmens im
wirtschaftlichen Kontext der Republik.“ Wir wechseln vom Western- ins
Weltkriegsfach: „Was folgt, heißt: Feuer frei. Frage und Antwort. Antwort
und Frage.“ Als läge er neben Ernst Jünger im Schützengraben. Wobei man
schon gern wüsste, wie es sich anhört, wenn die Bahner die Fragen zu
Mehdorns Antworten stellen.
Klar, dass Mehdorn immer Klartext redet: „Ihm kullern keine Modewörter aus
dem Munde, er ist kein Sprachverderber. Was zu sagen ist, das sagt er:
deutlich und auf Deutsch.“ Zum Beispiel? „Ich weiß: Sanieren nervt.
Sanieren geht allen auf den Keks. Wenn die Bahn in der Pampe steckt, dann
müssen wir uns selber helfen, uns bei diesem atemraubenden Prozess am
Schlafittchen packen.“ Keks, Pampe, Schlafittchen - Vokabeln, die Autor
Borchert zusammenzucken lassen: „Mehdorn liebt klare Worte.“
## He-Man mit Mutter Beimer gekreuzt
Wer aber im Fragenhagel der Mitarbeiter besteht, den können auch
Naturgewalten nicht ins Wanken bringen. Borchert konfrontiert seinen Helden
mit der Jahrhundertflut. „Deutschland im Herbst 2002. Weit überflutet das
Land. Felder und Wälder unter Wasser. Abgeschnitten ganze Städte. Voll
gelaufen unzählige Keller, weggerissen und zerstört Häuser und Straßen.“
Mehdorns landserlogische Antwort: „Die Bahn wie ein Mann und wie aus einem
Guss.“ Und aus welchem Material gegossen wird, steht für ihn auch außer
Frage: „Damaszenerstahl ist nur deshalb so gut, weil er immer wieder
geschmiedet wird.“
Was Mehdorn für ein Teufelskerl ist, erkennt Autor Borchert schon an der
Physiognomie: „Wahr ist: Die Bahn hat ein Gesicht. Es trägt die Züge eines
vitalen Lebens. Eisernen Willen signalisieren schmale Lippen und gewölbte,
hohe Stirn, Energie bündelt das Kinn. Die Augen blitzen. Mal kampfbereit,
mal voller Lebenslust.“ Gesichtszüge, als hätte sie Leni Riefenstahl
persönlich geschnitzt. Und ein Mann wie von Breker in Marmor gemeißelt:
„Nein, den Brocken Eisenbahn tragen keine schmalen Schultern, noch bewegt
ihn zierlich eine Pianistenhand. Diesen Konzern regieren nebst dem Verstand
auch Kraft und Wille.“
Als hätte sich für den tapferen Hartmut He-Man mit Mutter Beimer gepaart.
Aber man stutzt. Wieso kommt auf einmal Verstand ins Spiel? Von dem war
doch bisher noch nicht die Rede. Und ist es auch weiterhin nicht - Autor
Borchert hat Verstand und Gedächtnis verwechselt: „Selbst kleinste Details
memoriert der Mann aus dem Stegreif.“ Die Namen sämtlicher ICE womöglich?
Die Speisekarte der IC-Bistros? Alle Devotionalien aus dem DB-Shop
inklusive Preis? Noch besser: die „Zwischengrößen der neuen Uniformen für
,unsere hübschen jungen Damen' “.
Auch wenn es nicht ausgesprochen wird, hier wird zur Gewissheit, was wir
schon ahnten: Mehdorn hat Eier aus Stahl und einen Schwanz wie eine
Schiene. Und Autor Borchert, der schon für Die Woche und den Stern schrieb,
hat mit diesem Artikel wohl ein neues literarisches Genre begründet: den
kapitalistischen Realismus.
8 Mar 2013
## AUTOREN
Philip Meinhold
## TAGS
Mehdorn
Bahn
Journalismus
Countrymusic
Flughafen Berlin-Brandenburg (BER)
Mehdorn
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