# taz.de -- Die Wahrheit: Breakdance im Keller | |
> Die Wahrheit-Woche der Narben: Die Erfindung des Scar-Move. | |
Im Herbst 1983 war ich zwölf; ein Alter, in dem man jede Mode mitmacht, | |
sofern man von ihr etwas mitbekommt. Durch die ZDF-„Hitparade“ war ich Fan | |
von Hubert Kah geworden, meine Jeansjacke hatte ich mit Buttons gespickt | |
(„3. Weltkrieg? Nein, danke!“). Mein Zimmer war mit Bravo-Postern | |
tapeziert. Dann erfuhr ich von Breakdance. | |
Im Kino hatte ich „Flashdance“ gesehen, einen Film, in dem sich Menschen | |
auf den unmöglichsten Körperteilen wild drehten; auch auf dem Ku’damm | |
konnte man Jugendliche vereinzelt breaken sehen. Als ich bei der | |
Deutschland-Premiere von „Breakdance Sensation ’84“ auch noch Mr. Robot | |
live erlebte, war es um mich geschehen: Ich wollte Breakdancer werden! | |
Mein Wissen über die Entstehungsgeschichte hatte ich aus der | |
Satirezeitschrift MAD, in der es über die New Yorker Bronx hieß: „In dieser | |
ungemein grimmigen Gegend wurde es zur Gewohnheit, daß die Menschen beim | |
Gehen auf der Straße ihre Bewegungen immer wieder kurz unterbrechen mußten | |
(’break‘) … und zwar jedesmal dann, wenn sie von Räubern überfallen wur… | |
Und da sie gleichzeitig unzähligen Ratten ausweichen mußten, entwickelte | |
sich daraus eine Art von Tanzstil aus zackigen Sprüngen und roboterhaften | |
Schrittfolgen, der fast ausschließlich von Jugendlichen ausgeübt wurde.“ | |
Nun gab es bei uns zwar weder Ratten noch Räuber, doch davon ließ ich mich | |
nicht irritieren. Zusammen mit zwei Freunden begann ich zu üben. Unsere | |
Bronx hieß Süd-Zehlendorf, unser Crack Schokolade; mein Schulfreund | |
ruinierte beim Scratchen seine LPs, und ich ließ mich von meiner Mutter zu | |
einem Tanzkurs chauffieren. Ich nahm eine Probestunde in der Tanzschule | |
Keller, doch die vielen anderen Kinder machten mir Angst. It’s like jungle | |
sometimes, it makes me wonder, how I keep from goin’ under. | |
Lieber übte ich mit den Freunden daheim, im Hobbykeller eines formidablen | |
Einfamilienhauses. Beim „Electric Boogie“ fassten wir uns an den Händen und | |
bewegten uns, als würde uns der Reihe nach ein Stromschlag durchfahren; die | |
roboterhaften Figuren hatten wir uns selbst ausgedacht: Beim „Freezer“ | |
öffneten wir einen imaginären Kühlschrank, entnahmen eine Flasche und | |
tranken daraus; bei der „Telefonzelle“ drehten wir uns ruckartig um die | |
eigene Achse, so als tasteten wir die Wände einer Telefonzelle ab. | |
Schwieriger waren die akrobatischen Nummern: Ein „Headspin“, bei dem man | |
sich freihändig auf dem Kopf drehte, war utopisch. Auch die MAD hatte | |
gewarnt: „Vor dem Breakdance trägt man dunklen Anzug, weiße Handschuhe und | |
möglichst ausgeflippte Sonnenbrillen. Hinterher bevorzugt man weiße Farben, | |
oftmals mit Gipsverstärkung.“ | |
Nach zwei Tagen Üben fühlten wir uns gut genug, um vor unseren Eltern den | |
ersten Auftritt unserer Karriere zu wagen. Ein Tag, der in die Geschichte | |
des HipHop eingehen würde als Beginn einer neuen Ära! Die Musik kam aus | |
einem Gettoblaster, dazu hatten wir eine Choreografie einstudiert: Der | |
Haupttänzer breakte jeweils in der Mitte des Raums; wenn er fertig war, | |
zeigte er auf den, dem die Bühne als Nächstes gehörte. | |
Das akrobatische Highlight der Show kam von mir: Bei der „Welle“ sprang ich | |
wie bei einem Köpper aus dem Stand nach vorn, landete auf den Händen und | |
rollte über den Brustkorb ab. Leider war es im Hobbykeller so dunkel, dass | |
ich durch die Sonnenbrille kaum was sah. Als es Zeit für die Welle war, | |
sprang ich ab, sah den Boden zu spät und landete auf dem Kinn. | |
Geistesgegenwärtig zeigte ich auf den Freund, der die Bühne von mir | |
übernahm. Ich war wie ein Boxer im Ring, der die Schmerzen nicht spürt – | |
erst als das Licht wieder anging, sah ich das Blut, das von meinem Kinn auf | |
den Boden rann. Die weißen Handschuhe waren rot. Die Erwachsenen berieten, | |
ob ich ins Krankenhaus müsse. „Geht schon“, sagte ich, so cool, wie es | |
ging. Hauptsache, man nähte mich nicht! | |
Ein paar Jahre später – die Wunde am Kinn war längst vernarbt – kam ich in | |
Sachen Breakdance aber doch noch ganz groß raus. Ich war inzwischen doppelt | |
so alt und arbeitete fürs Radio. Zum fünften Sendergeburtstag traten wir | |
mit einer Radioshow auf, bei der all die Kollegen, die man sonst hörte, auf | |
der Bühne etwas vorführen sollten. Ich wurde als „Breakin’ Phil“ angesa… | |
Ich trug Jogginganzug, Wollmütze und – na klar: weiße Handschuhe. Dazu | |
machte ich all das, was ich im Keller damals einstudiert hatte, nur diesmal | |
vor dreitausend Leuten: den Kühlschrank, die Telefonzelle, sogar den Köpper | |
… | |
Je schlechter der Move, desto größer machte ich ihn. Das Geheimnis meines | |
Auftritts: dass ich mich traute! Mein größter Erfolg war der Wurm: Wie eine | |
Raupe robbte ich die Bühne entlang, das Gesicht auf dem dreckigen Boden. | |
Broken glass everywhere, people pissing on the stairs, you know they just | |
don’t care. | |
Ich war durch eine harte Schule gegangen. Old school, Baby! Süd-Zehlendorf. | |
HipHop war kein Kindergeburtstag. | |
26 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Philip Meinhold | |
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