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# taz.de -- Die Wahrheit: Cool wie Merkel
> Bei den Meinungsumfragen im Videotext ist die Welt noch überschaubar. Die
> Sender gewähren tief gehende Einblicke in das Bewusstsein der Zuschauer.
Bild: Zahlen sind das A und O des Videotexts, wo Teilnehmer von Meinungsumfrage…
Die menschliche Natur lässt sich nur schwer in die Schranken weisen: Seit
ich zu Hause das Internet abgeschafft habe, damit ich mich nicht vom
Schreiben ablenken lasse, bin ich ein großer Fan des Videotextes geworden.
Das Inhaltsverzeichnis kenne ich fast auswendig: Ich weiß, wo sich die
ARD-Einschaltquoten vom Vorabend finden (Seite 448) und die
5-Tage-Wettervorschau des rbb (172) und die Vorwahlen für die günstigsten
Mobilfunktarife beim ZDF (589). Sogar die Seite für die Ergebnisse der
Kreislage A des Berliner Fußballverbandes kenne ich: rbb-Seite 889.
Ich liebe die kompakten Informationen auf wenigen Zeilen, das kontemplative
Blättern von Seite zu Seite, vor allem aber liebe ich die TED-Umfragen, bei
denen andere Videotext-Freaks ihre Meinung kundtun. Umfragen, die zwar
nicht im engeren Sinne als repräsentativ gelten können, die aber doch tiefe
Einblicke in die Zuschauerschaft der privaten Fernsehsender gewähren
(zumindest jenes Teils der Zuschauer, der einfältig genug ist, sein Geld in
sinnlose Telefonumfragen zu investieren).
So fragt der Musiksender VIVA regelmäßig nach zielgruppenaffinen
Prominenten: „Nach acht Staffeln GNTM wächst die Kritik an Heidi Klum. Wer
hätte das Zeug zur neuen Model-Mama?“ 12,5 Prozent der Anrufer sind für
Jorge Gonzales, 18,8 Prozent für Michelle Hunziker, 62,5 Prozent für Bruce
Darnell. Wobei sich die queere Grundmenge der Befragten aus 16 Anrufern
speist.
Publikumswirksamer scheint der Anreiz von Tele 5, der Regierung mal tüchtig
die Leviten zu lesen: Rund 2.400 Zuschauer haben angerufen, um die Frage
„Welche Schulnoten geben Sie der Regierung von Merkel und Co?“ zu
beantworten.
Das Ergebnis: 80,7 Prozent geben „ungenügend“, nur 12,6 Prozent „sehr gu…
oder „gut“. Wobei derartiger Populismus durchaus demokratiestabilisierende
Wirkung haben kann: Wo kann man für 25 Cent schon so leicht Luft ablassen,
um anschließend in Ruhe weiter „Target – Krieg der Sniper“ zu sehen?
## Sieger bei Sat 1: Alternative für Deutschland
Tiefer gehende Einblicke in das politische Bewusstsein seiner Zuschauer
gewährt Sat.1: Auf die Suggestivfrage, ob Merkels Versprechen von
Wahlgeschenken in Höhe von 28,5 Milliarden glaubwürdig sei, antworten wenig
überraschend drei Viertel der Anrufer mit „Nein“. Getoppt wird dies nur
durch die 95,5 Prozent, die Philipp Röslers Forderung nach Zuwanderung
weiterer hochqualifizierter Ausländer ablehnen.
Da nimmt einen auch das Ergebnis der Sonntagsfrage nicht weiter wunder, die
die Comedy-Spezies von Sat.1 wöchentlich im Angebot haben: Mit gut 6
Prozent würden die Zuschauer FDP und Linke in den Bundestag wählen, Grüne
und CDU kämen auf 11 beziehungsweise 13 Prozent, die Steinbrück-Partei auf
20. Überragender Sieger wäre die „Alternative für Deutschland“ mit 42
Prozent.
Nun fragt man sich, was die Euroskeptiker ausgerechnet einem Sender wie
Sat.1 in die Arme treibt, aber vielleicht ist es ja auch der
AfD-Vorsitzende Bernd Lucke höchstselbst, der sich mit 80 Euro
Telefongebühren diesen kleinen Motivationsschub beschert.
Zappen wir lieber schnell zu Pro7, das mit einer serviceorientierten
Umfrage wenigstens praktischen Nutzen verspricht: „Deutschland versinkt im
Dauerregen: Was tun?“ Zwei Anrufer schlagen vor, mehr zu arbeiten, drei
stimmen für „Verreisen“ – eine überwältigende Mehrheit von 44,4 Prozent
(acht Stimmen) rät dagegen, am besten cool zu bleiben. Gelassenheit – das
Mantra aller Raab-Anhänger; nur ich hatte mir irgendwie etwas anderes
erhofft. Aber zum Glück lässt sich bei Dauerregen auch prima im Videotext
schmökern.
4 Jun 2013
## AUTOREN
Philip Meinhold
## TAGS
Internet
Umfrage
Schwerpunkt Angela Merkel
Tatort
Gentrifizierung
Journalismus
Countrymusic
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