# taz.de -- die wahrheit: Die Rache der Spanier | |
> Touri-Terror: Berlin ist ein einziger Vergnügungspark für Vollpfosten. | |
Bild: Westdeutsche Touristinnen bespringen mitten in Berlin das Denkmal für di… | |
Freitagabend im Kreuzberger Szene-Lokal Tiki Heart: Fünf Österreicher in | |
Surfer-Klamotten verstopfen den Weg zum Tresen, trinken den Bodensatz ihres | |
Biers, während einer von ihnen mit rhythmischen "McDonalds"-Rufen das Ziel | |
ihrer nächsten Etappe vorgibt. | |
Was nicht weiter schlimm wäre, schließlich ist McDonalds die bevorzugte | |
Nahrungsquelle aller Touristen in allen Städten der Welt - wenn, ja wenn, | |
das Tiki Heart nicht einer der besten Burger-Läden der Stadt wäre. Für den | |
Preis eines McMenüs bekommt man hier einen in Whisky gebratenen Burger mit | |
Kartoffelspalten und frischem Salat kredenzt. Aber so sind sie, die | |
Touristen, die über die Hauptstadt herfallen wie eine biblische Plage: | |
laut, raumgreifend und unfassbar dämlich. | |
Zwanzig Millionen Übernachtungen erwartet Berlin dieses Jahr, Platz drei | |
hinter den europäischen Touristenmagneten London und Paris, Tendenz von | |
Jahr zu Jahr steigend. Schon immer war Berlin Anziehungspunkt für | |
Touristen, auch in den Achtzigerjahren kamen sie bereits in die Stadt. Aber | |
im Ostteil hatte man ihre Anzahl mit einem ausgeklügelten System aus | |
Stacheldraht und Unbequemlichkeit auf ein Minimum reduziert; in West-Berlin | |
zeigte man den damals noch Wessis genannten Touristen, wenn sie in ihren | |
Reisebussen großäugig über den Kurfürstendamm rollten, einfach den | |
Mittelfinger. | |
Derart entspannt könnte das Verhältnis auch heute noch sein, wenn die | |
Touris einfach in ihren Bussen blieben und nur an den dafür vorgesehenen | |
Stellen Berliner Luft schnupperten: am Brandenburger Tor, am Checkpoint | |
Charlie und an der Siegessäule. Orten also, an denen man als Einheimischer | |
sowieso nicht verkehrt. Und nicht mal gegen das Verlassen der vorgesehenen | |
Polyglott-Route wäre etwas zu sagen, wenn die Besucher sich denn wirklich | |
für Berlin interessierten. Doch gerade die jüngeren unter ihnen kennen nur | |
ein Ziel: "Party machen!" Statt mit dem Reisebus bewegen sie sich mit | |
"Bier-Bike" oder "Trabi-Safari" durch die Stadt; sie fallen mit "Pubcrawls" | |
in Clubs und Kneipen ein, missbrauchen die Kreuzberger Oranienstraße als | |
Laufsteg für ihren Junggesellenabschied und Berlin als Background für ihre | |
Facebook-Fotos. | |
Manche kommen mit dem Billig-Jet für ein Wochenende; andere bleiben zwei, | |
drei Monate, bis Papas Geld alle ist; wieder andere verbringen sogar | |
mehrere Jahre hier, bis sie der Partys und Pubcrawls überdrüssig in ihre | |
Heimat zurückkehren und das Leben ihrer Eltern führen. Doch bis es so weit | |
ist, verwandeln sie ganz Berlin in einen Vergnügungspark, ein riesiges | |
Disneyland für Paarungs- und Trinkwillige. Konnte man sich bis vor ein paar | |
Jahren noch darauf verlassen, nur in Mitte und Prenzlauer Berg von | |
sogenannten Szene-Touristen belästigt zu werden, so führen ihre | |
elefantenbreiten Ameisenstraßen nunmehr auch in weniger schicke Kieze. | |
Kreuzberg könnte man angesichts der Spanisch sprechenden Horden für die | |
Rache der Spanier für Mallorca halten. Und die Weserstraße im einst | |
verrufenen Neukölln für eine Art Schinkenstraße für Linke. Dabei ist der | |
pseudo-subversive Style der amüsierwilligen Amis, Spanier und deutschen | |
Provinzler meist nur die Maskerade, hinter der sich das politische | |
Bewusstsein eines Fahrkartenstempelautomaten verbirgt. | |
Um dem Ganzen den Ruch des Fremdenfeindlichen zu nehmen: Selbstverständlich | |
ist noch immer jeder herzlich eingeladen, nach Berlin zu ziehen, | |
hierzubleiben und die Feiertage seiner Wahl zu begehen - anstatt die Stadt | |
als Kulisse für die eigene Feierei zu betrachten. Doch genau darauf haben | |
Politik und Stadtmarketing lange hingearbeitet: Viele Jahre versuchten sie | |
mit den Standortfaktoren Clubkultur, Komasaufen und Kreativgedöns Berlin | |
als Party-Metropole zu positionieren, als Abschlepp- und Abhott-Location | |
für die Jugend der Welt. Zu guter Letzt pries Bonmot-Bürgermeister Wowereit | |
höchstselbst seine Stadt mit dem Slogan "arm, aber sexy" einer geizigen, | |
geifernden Besucherschar an. Ein Motto wie für einen Flatrate-Puff. | |
Mit Erfolg. 250.000 Berliner sind mittlerweile im Tourismus beschäftigt, | |
dem damit wichtigsten Wirtschaftsfaktor der Stadt. Bei so viel weltweiter | |
Aufmerksamkeit gerät selbst die einheimische Provinzpresse ganz aus dem | |
Häuschen. So behauptet der Tagesspiegel angesichts des Besucherrekords | |
allen Ernstes: "Ein sympathischer Gedanke: Das Wohl und Wehe der | |
nachindustriellen Stadt hängt an Leuten, die jodelnd auf dem Bierbike Unter | |
den Linden entlanggondeln, Clubs in Prenzlauer Berg oder Kreuzberg | |
verstopfen, am Holocaust-Mahnmal picknicken und sich auf der ulkigen, | |
unbehausten Spielwiese Pariser Platz zum Stelldichein mit Gauklern und sich | |
selber treffen." Mit anderen Worten: Das Wohl und Wehe der Stadt hängt von | |
Vollpfosten ab! Ein Gedanke so sympathisch wie ein dicker fetter | |
Eiterpickel am Arsch. | |
25 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Philip Meinhold | |
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