# taz.de -- Die Berliner Band Haudegen: Lizenz zum Mitgrölen | |
> Das Berliner Duo Haudegen setzt auf Hausgemachtes. Ihr Deutschrock spielt | |
> mit altmodischen Proletenklischees und schwammigen Politparolen. | |
Bild: Da stehen sie und könnten auch anders: Haudegen vor Haus. | |
Man schuftet irgendwo im Schweiße seines Angesichts, hinter der | |
Fleischtheke oder an der Tankstellenkasse, und dann reicht die miese | |
Bezahlung nicht mal zum Leben. Im Niedriglohnland Deutschland breiten sich | |
Jobs, mit denen man sich nicht über Wasser halten kann, immer stärker aus. | |
Von NPD bis Linkspartei bemühen sich Parteien deswegen gleichermaßen um die | |
Zukurzgekommenen mit ihren Versprechen vom wahren Lohn für wahre Arbeit. | |
Noch mehr Europa und noch mehr Euromilliarden für die Banken ziehen einfach | |
nicht mehr. | |
Diese sogenannten kleinen Leute, die Unterschichtler, die Arbeiterklasse, | |
so muss sich ein cleverer Geschäftsmann in einer großen Plattenfirma | |
gedacht haben, müsste man doch auch musikalisch mal wieder an ihren | |
Stammtischen abholen. Nicht bloß mit öder Atzenmusik oder | |
Deutschland-sucht-den Superstar-Gejaule. | |
Nein, echte Arbeiterlieder sollen es sein. Falls das zu Woody-Guthrie-mäßig | |
klingt, wenigstens mit handfestem Proletenrock inklusive „echte deutsche | |
Wertarbeit“-Siegel müsste das gelingen. | |
## Bedürfnis nach Klartext-Ausssagen | |
Herbert Grönemeyer ist für diesen Job längst zu etabliert, lebt inzwischen | |
in London statt in Bochum und singt neuerdings sogar auf Englisch. Und die | |
Böhsen Onkelz, früher die Rächer der Verlierer, machen es nicht mehr. Also | |
wurde „Haudegen“ am Reißbrett entworfen, ein Berliner Duo, dessen Erfolg in | |
den deutschen Charts beweisen soll, dass es hierzulande ganz offensichtlich | |
ein Bedürfnis nach kumpeligen Klartext-Aussagen gibt, dargereicht in | |
handgezimmertem Hardrock mit der Lizenz zum Mitgrölen. | |
Haudegen, so der Plan, der vollständig aufgegangen ist, geben den deutschen | |
Arbeitern ihre Würde zurück. | |
In der teutonischen Proletkultwelt von Haudegen geht man nach getaner | |
Arbeit tatsächlich einen trinken in der Eckkneipe, isst Pichelsteiner statt | |
Sushi und trägt auch nach Feierabend noch Blaumann oder Zimmermannskluft | |
samt Hut. Mal was anderes als immer nur Ballonseide. | |
## Grotesk zurechtdesignter Imageballast | |
Das Atemberaubende an Haudegen, deren zweites Album „En Garde“ nach dem | |
Debüt „Schlicht und ergreifend“ erneut in den Top Ten der Charts gelandet | |
ist, liegt in der spektakulären Gratwanderung. Einerseits müssen sie einen | |
grotesk zurechtdesignten Imageballast schultern. Andererseits müssen sie – | |
weit mehr als andere Popacts – so tun, als seien sie wirklich so, wie sie | |
vorgeben zu sein. | |
Haudegen sind ja keine Peter Maffays oder Wolf Maahns. Männer, die sich | |
über viele Jahre hinweg Bruce-Springsteen-mäßig mit der Gitarre in der Hand | |
nach oben gerockt haben. Haudegen sind vor zwei Jahren sozusagen aus dem | |
Nichts aufgetaucht, zumindest in der Wahrnehmung der Zielgruppe, die sie | |
mit ihrem Deutschrock samt selbst erklärter „Gossenpoesie“ anpeilen. | |
## Geschorene Fleischklöpse | |
Gleichzeitig müssen Haudegen aber die Botschaft vermitteln, alle Härten des | |
Lebens in- und auswendig zu kennen. Aber diesen Schauspielertrick | |
beherrschen sie schon längst. Der wurde bestens einstudiert in ihren | |
Pop-Karrieren vor Haudegen. Und zwar als HipHopper. | |
Hagen Stoll, die eine Hälfte von Haudegen, hat viele Jahre lang als | |
HipHop-Produzent gearbeitet, bevor er es als Joe Rilla zum rappenden Stolz | |
des Ostens und überschaubarem Ruhm gebracht hat. | |
Das berüchtigte Berliner Label Aggro, das ein feines Händchen dafür hatte, | |
seine Rüpel-Rapper mit comichaft überzeichneten Images auszustatten, | |
verkaufte Joe Rilla als Ex-Hooligan aus dem Berliner Plattenbauviertel | |
Marzahn, der den vom Westen gedemütigten Ossis einbläute: Steht wieder auf! | |
„Der Osten rollt“ hieß sein Hit. | |
Sven Gillert alias Tyron Berlin, wie Joe Rilla ein kurz geschorener | |
Fleischklops, rappte damals schon gerne mit seinem Kumpel aus Marzahn. | |
Gemeinsam absolvierten sie Auftritte, sogar bei einer Feier der Hell’s | |
Angels sollen sie einmal aufgetreten sein. Als sich vor fünf Jahren die | |
Harte-Kerle-aus-Berlin-Rapwelle totlief, schulten Sven Gillert und Hagen | |
Stoll kurzerhand auf Deutschrock um. Nach eigener Aussage verdankt sich | |
ihre Version dem vielleicht glanzlosesten aller deutschen Rocksänger, Klaus | |
Lage. | |
## Zwischen Stehimbiss und Hartz-IV-Elend | |
„Hart auf Hart“ war Lages Hit, den er zusammen mit Götz George eingesungen | |
hat. Hagen Stoll hat schon zu Joe-Rilla-Zeiten Journalisten gerne seinen | |
Kiez gezeigt, den eigenen Kosmos zwischen Stehimbiss und Hartz-IV-Elend. Im | |
alten Benz fuhr er interessierte Pressevertreter herum und holte zum | |
Abschluss der Tour den Baseballschläger aus dem Kofferraum. Um damit zu | |
demonstrieren, ja, das Leben hier ist wirklich nicht einfach! | |
Aus der HipHop-Hood wurde bei Haudegen einfach die deutsche Scholle. Es | |
ging raus aus dem Elend, hinein ins pralle Leben. Draußen auf dem Lande, so | |
die Message, ist das Leben noch in Ordnung. Dafür wurde die Großstadt gegen | |
eine Arbeiteridylle wie aus einer Landlust-Fotostrecke getauscht. | |
In fast jedem Videoclip von Haudegen tapern die beiden bis zum Hals | |
tätowierten Pfundskerle, die auch schon bei Markus Lanz zum „Promi-Dinner“ | |
geladen waren, durchs saftige Grün. Gerne putzen sie sich auch im Freien | |
auf dem Pferdeacker die Zähne, übernehmen mal hier, mal dort einen | |
Handwerkerjob, während irgendwo vor einer Holzhütte ein Mädel wartet. | |
Ein wirklich archaisches Deutschlandbild wird hier gezeichnet, eine Welt, | |
in der es noch echte Männerfreundschaften gibt, echtes Handwerk. Wo man | |
gemeinsam durch Dick und Dünn geht. Haudegen-Songs haben Titel wie „Ein | |
Mann, ein Wort“ oder „Wir gegen den Rest“. Und in den Texten heißt es �… | |
Herz, mein Blut für die Familie“ oder „Geh da raus und steh dein’ Mann�… | |
Das ist nicht viel mehr als etwas fantasielosere Rammstein-Lyrik. | |
Irgendwelche Neonazi-Barden könnten einen derartigen Kitsch aus | |
Männerbündlerei und Naturverbundenheit kaum besser inszenieren, weswegen in | |
Antifa-Foren rauf- und runterdiskutiert wird, wo Haudegen politisch | |
einzuordnen seien. | |
## Das alte Spiel | |
Das alte Links-rechts-Spielchen halt. Die Fakten sind, dass Neonazis | |
durchaus Gefallen finden an dem Steh-dein’-Mann-Geraune von Haudegen und | |
auch gerne die Konzerte der Band besuchen. Nur, die selber verortet sich | |
links, hat sicherheitshalber sogar den alten Säuselbarden Reinhard Mey als | |
Gastsänger für eines ihrer Lieder eingeladen. Selbst Bundesinnenminister | |
Hans-Peter Friedrich (CSU) hat aus dem Haudegen-Song „Flügel & Schwert“ bei | |
einer Veranstaltung gegen rechts zitiert. | |
Am Ende ist es Haudegen aber wohl auch nicht so wichtig, ob einer links | |
oder rechts ist, Hauptsache, er ist Arbeiter. | |
23 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
## TAGS | |
HipHop | |
Rap | |
Comeback | |
Musik | |
DDR | |
Soul | |
Punk | |
Musik | |
Rap | |
HipHop | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Comeback der Böhsen Onkelz: Antifa – ihr könnt mich mal! | |
Die Böhsen Onkelz sind zurück und spielen zwei Konzerte. Beide waren sofort | |
ausverkauft. Naziband oder nicht? Ein Besuch bei einem Fan. | |
Peter Plate mit Soloalbum: Musik für das Gemeinwohl | |
Er war mit „Rosenstolz“ sehr erfolgreich, dann konnte Peter Plate nicht | |
mehr. In seinem neuen Album wird das durchschnittliche Leben zum Traum. | |
Ossi-Studie: Setzen, sechs | |
Eine dubiose Studie an der Universität Leipzig sieht die Ostdeutschen als | |
„symbolische Ausländer“. Haltbar ist die These allerdings nicht. | |
Neues Album von Cody ChesnuTT: Der Bärtige, der sich die Brust hält | |
Er wäre gern der neue Marvin Gaye: Der afroamerikanische Sänger Cody | |
ChesnuTT legt sein neues Album „Landing on a Hundred“ vor. Hat ihm die | |
zehnjährige Auszeit gutgetan? | |
Loses Mundwerk: Bmmm, dege-dede de-de | |
Die deutschen Beatboxer kürten am Wochenende in Kreuzberg ihren Meister: | |
Robin Calderolla aus Marburg konnte seinen Titel verteidigen. | |
Musikkultur „Taqwacore“: Muhammad was a Punkrocker | |
Die Taqwacore-Bewegung aus den USA verbindet Punk mit den Insignien des | |
Islam zu einer neuen Gegenkultur. Der Ansatz funktioniert nur im Westen. | |
Dubstep aus London: Außerhalb der eigenen Komfortzone | |
Der Londoner Dubstep-Veteran Mala macht Musik mit kubanischen Kollegen. | |
Dabei entstand „Mala in Cuba“, ein recht konservatives Album. | |
Moses Pelhams neues Album: Vom Lieben und Zweifeln | |
Zerbrechlich und lebensklug: Mit „Geteiltes Leid 3“ schließt Moses Pelham | |
seine Trilogie ab – und zeigt, dass deutscher Rap erwachsen geworden ist. | |
Neues Album von Flying Lotus: Stolperbeat der Träume | |
Der kalifornische Produzent Flying Lotus findet auf seinem neuen Album | |
„Until the Quiet Comes“ den elektronischen Fortschritt in leisen Tönen. |