# taz.de -- Musikkultur „Taqwacore“: Muhammad was a Punkrocker | |
> Die Taqwacore-Bewegung aus den USA verbindet Punk mit den Insignien des | |
> Islam zu einer neuen Gegenkultur. Der Ansatz funktioniert nur im Westen. | |
Bild: Ausschnitt des Plakats zum Dokumentarfilm „Taqwacore: The Birth of Punk… | |
Auf dem ersten Blick könnte der Gegensatz kaum größer sein. Der Islam | |
zeichnet sich durch ein striktes Regelwerk aus, das auf innere und äußere | |
Perfektionierung abzielt. Die Punk-Bewegung dagegen steht für Spontanität, | |
eine Ästhetik des Kaputten und des Do-it-yourself. Allerdings ist aus dem | |
Punk auch die Straight-Edge-Bewegung hervorgegangen, die Drogen ablehnt und | |
auf körperliche Ertüchtigung Wert legt. | |
Außerdem ist Punk die Musik derjenigen, die am Rande der Gesellschaft | |
stehen, der Sound der Provokation und der Außenseiter. Und als Außenseiter | |
empfinden sich in westlichen Gesellschaften nicht wenige Muslime: Es gibt | |
also genug Anknüpfungspunkte, damit im Westen eine Islam-Punk-Bewegung | |
entstehen konnte. | |
Am Anfang war auch hier das Wort. Vor etwa zehn Jahren begann der damals | |
25-jährige Michael Muhammad Knight damit, seinen Roman „Taqwacore“ zu | |
schreiben. Taqwacore ist ein Kunstwort, das sich aus „Taqwa“, dem | |
arabischen Wort für Frömmigkeit, und „Core“ wie in Hardcore zusammensetzt. | |
Unter diesem Titel erschien im Jahr 2004 in den USA sein Roman, eine | |
deutsche Übersetzung folgte – stark verspätet und mit verhaltenem Echo – … | |
diesem Frühjahr (Rogner & Bernhard Verlag). | |
## Sex in einer Burka | |
Der Roman beschreibt das Leben in einer fiktiven muslimischen Punk-WG in | |
Buffalo, New York, in der viel gebetet und noch mehr gefeiert wird. Die | |
Bewohner leben ihre eigene Lesart des Islam: Sie kiffen, schmökern im Koran | |
oder tragen beim Sex eine Burka, es treten auch schwule Muslime und ein | |
weiblicher Imam auf. | |
Man kann „Taqwacore“ als literarische Utopie, als Dokument einer | |
spirituellen Sinnsuche lesen – und als Kritik am religiösen Dogmatismus. | |
Stilistisch an US-amerikanische Beat-Poeten wie Jack Kerouac anknüpfend, | |
reflektierte Knight in „Taqwacore“ aber auch die düstere, antimuslimische | |
Atmosphäre in den USA nach dem 11. September 2001. | |
Michael Muhammad Knight, heute 35, stammt ursprünglich aus einer | |
irisch-katholischen Familie, konvertierte als Jugendlicher zum Islam und | |
reiste sogar nach Pakistan, um seiner neuen Religion auf den Grund zu | |
gehen. Sein Buch machte eine erstaunliche Karriere. Denn weil sich junge | |
US-Muslime darin wiederzufinden glaubten, entstand in der Folge eine reale | |
Musikszene – mit Bands wie The Kominas aus Boston, die Songs wie „Sharia | |
Law in the USA“ schrieben (ein Echo auf „Anarchy in the UK“ von den Sex | |
Pistols), oder Einmannkapellen wie Vote Hezbollah, von denen die Hymne | |
„Muhammad was A Punkrocker“ stammt. Die Szene ist klein, und man muss ihre | |
Provokationen nicht allzu wörtlich nehmen, denn sie besitzen eine stark | |
satirische und parodistische Seite. Aber die Wut ist echt. | |
Im Jahr 2007 begleitete der Regisseur Imar Majeed mit seiner Kamera den | |
Autor Muhammad Knight und fünf dieser Bands, deren Geister er einst auf den | |
Plan gerufen hatte, auf einer gemeinsamen Tournee durch die USA und Kanada, | |
im Jahr 2010 folgte eine Verfilmung seines Romans. So entstand um den | |
Islam-Punk ein kleiner Hype, und die Taqwacore-Szene wurde ein beliebtes | |
Sujet für College-Seminare und akademische Essays in | |
US-Campus-Zeitschriften. | |
Einen Vorläufer hatte diese Bewegung in den 90er Jahren in Gestalt der | |
britischen Band Fun-Da-Mental mit ihrem pakistanischstämmigen Frontmann Aki | |
Nawaz. Anders als es der Name suggeriert, handelt es sich bei Fun-Da-Metal | |
nicht um islamische Fundamentalisten. Vielmehr setzte die Band schon früh | |
mit lärmendem Elektro-Fusion-Sound auf plakative antirassistische | |
Botschaften, Schockeffekte und das Spiel mit Stereotypen. Vor allem ihr | |
bislang letztes Album, „All is war“, das 2006 erschien, sorgte in | |
Großbritannien für Schlagzeilen. Weil Fun-Da-Mental darauf die Unmoral des | |
Westens im „Krieg gegen den Terror“ anprangerte und Bin Laden mit Che | |
Guevara verglich, bezeichneten britische Boulevardblätter sie als | |
„musikalische Selbstmordattentäter“. | |
## Die Spur zu Public Enemy | |
Den Islam zu bemühen, um seine Opposition zur Mehrheitsgesellschaft zu | |
markieren, hat in den USA Tradition. Schon in den 30er Jahren entstand in | |
Detroit die „Nation of Islam“, die einen ausgeprägten schwarzen | |
Nationalismus mit einer sehr eigenen Interpretation der islamischen Gebote | |
verband. Bis heute hat die „Nation of Islam“ innerhalb der schwarzen | |
Communitys der USA großen Einfluss, und ihretwegen ihr gilt der Islam bis | |
heute auch als inoffizielle Religion des HipHop. Offiziell machen die | |
meisten US-Rapper zwar kein großes Aufheben um ihren Glauben, in ihren | |
Texten aber zeigen sie sich oft von islamischen Denkschulen beeinflusst, | |
greifen auf muslimische Formeln und religiöse Redensarten zurück oder | |
zitieren Vordenker der „Nation of Islam“ wie Malcolm X und Louis Farrakhan. | |
Selbst Superstars des US-HipHop wie Snoop Dogg oder Wyclef Jean haben der | |
„Nation of Islam“ in den letzten Jahren ihre Aufwartung gemacht, was für | |
ihre ungebrochene Bedeutung spricht. | |
Niemand aber hat die Synthese eines kämpferischen schwarzen Nationalismus | |
und der Ideologie der „Nation of Islam“ mit den avanciertesten Mitteln des | |
HipHop so auf die Spitze getrieben wie Public Enemy zu ihren besten Zeiten. | |
Die liegen zwar schon gute zwanzig Jahre zurück, aber der Einfluss der | |
Polit-Rap-Pioniere ist bis heute spürbar. Deshalb ist es kein Zufall, dass | |
sich sowohl Fun-Da-Metal als auch Michael Muhammad Knight deutlich von | |
Public Enemy, der wohl einflussreichsten Polit-Rap-Gruppe aller Zeiten, | |
beeinflusst zeigten. | |
## Unter Satanismus-Verdacht | |
Auf überwiegend muslimisch geprägte Länder lässt sich ihr Ansatz allerdings | |
kaum übertragen. Zwar gibt es auch in Ländern wie Pakistan, Ägypten oder | |
Indonesien eine Rockszene, vereinzelt trifft man dort sogar auf Punks. Aber | |
deren Musik steht dort in einem starken Widerspruch zur religiösen | |
Orthodoxie, der sich nicht mal eben mit ein paar Gitarrenriffs auflösen | |
lässt. In manchen muslimischen Ländern stehen Rockmusiker unter | |
Satanismus-Verdacht. Und in der indonesischen Provinz Aceh, wo | |
Fundamentalisten regieren, wurden im vergangenen Jahr sogar 60 Punks zur | |
„Umerziehung“ verurteilt, weil ihr Verhalten den Autoritäten ein Dorn im | |
Auge war: Die Irokesenfrisur wurde ihnen abrasiert, ihre T-Shirts mit dem | |
„Anarchie“-Zeichen mussten sie gegen unauffälligere Kleidung tauschen. Der | |
Islam-Punk à la Taqwacore, er bleibt eine rein westliche Kopfgeburt. | |
Selbst in Europa kann es zu Missverständnissen kommen. Kürzlich erinnerte | |
sich Michael Muhammad Knight in seiner Kolumne, die er für das US-Magazin | |
Vice verfasst, an seine letzte Lesereise, die ihn nach Deutschland führte, | |
als hier die deutsche Übersetzung von „Taqwacore“ erschien. Befremdet | |
musste er dort erleben, wie ihm ein mehrheitlich weißes Publikum gönnerhaft | |
auf die Schulter klopfte – dafür, dass sein Roman „bevölkert ist von | |
blasphemischen Figuren, die trinken, rauchen, den Propheten beleidigen und | |
ihrer Gemeinschaft den Rücken kehren“, wie er selbstkritisch einräumte. | |
Hatte er den Deutschen also nur eine Fantasie über einen Islam geliefert, | |
fragte er sich, wie diese selbst ihn sich wünschten –rebellisch, westlich | |
und respektlos gegenüber den eigenen Traditionen? Der Autor fürchtet | |
inzwischen: ja. „Es gibt eine ganze Industrie von Muslimen, die | |
Islamophobie an Nichtmuslime verkaufen. Ohne es zu merken, war ich einer | |
davon geworden“, resümierte er resigniert. Denn das Schlimmste, was einer | |
Protestbewegung passieren kann, ist Applaus von der falschen Seite. | |
28 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
## TAGS | |
Punk | |
Islam | |
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