# taz.de -- Loses Mundwerk: Bmmm, dege-dede de-de | |
> Die deutschen Beatboxer kürten am Wochenende in Kreuzberg ihren Meister: | |
> Robin Calderolla aus Marburg konnte seinen Titel verteidigen. | |
Bild: Wichtig beim Beatboxen: Das Mikro immer direkt an den Mund halten! | |
Kurzer Soundcheck vor dem Start: „Dsch, dsch, tmm, tmm.“ Höhen und Tiefen | |
sind austariert, die Technik stimmt. „Let the battle begin“, brüllt der | |
Moderator. „Are you ready? Let’s do this!“ Er pusht die Menge. Brüllt in | |
einer Stimmlage, gegen die AC/DC nichts ist. Die Menge johlt. | |
Jetzt kommt der Beatboxer Mr. Babeli auf die Bühne. Er legt los. Nicht nur | |
seine Lippen und seine Zunge vibrieren, der ganze Raum bebt: | |
„Bff-e-te-te-bff-te-te-te, bff-e-te-te-bff-te-te-te.“ Ein paar | |
Snareschläge. Tiefe Beats, die er aus seinen Lungenflügeln pumpt. Dann | |
dreht er richtig auf. „Bm, dege-dede-de-de-de-de-dm-dm-dm, bm, | |
dege-dede-de-de-de-de-dm-dm-dm.“ Und zum Schluss ein Schlagzeugsolo – eine | |
Wonne! | |
Es ist Samstagabend, im Kreuzberger Gretchen-Club wird der deutsche | |
Beatboxmeister gekürt. Beatboxen, das ist die Kunst, nur mit Mund und | |
Mikrofon Geräusche zu erzeugen, die etwa wie Rap-, Dub- oder Elektrosounds | |
klingen. Die Geräuschkünstler fabrizieren mit den Lippen, der Zunge und dem | |
Gaumenzäpfchen Bässe, Beats und frickelige Klänge. So mancher Schlagzeuger | |
und Perkussionist mag vor Neid erblasbarsen, wenn er die „Human Beatboxes“, | |
wie man sie auch nennt, hört. | |
Der nationale Zungenbrecherbattle findet zum siebten Mal statt. Insgesamt | |
sind 25 Beatboxer am Start. Die Auftritte dauern zwei Minuten, eine Jury | |
wählt die Besten in die Finalrunde. Dort tritt man direkt gegeneinander an, | |
die „Judges“, wie sie auch genannt werden, erklären einen zum Sieger. Im | |
Finale setzt sich am Ende Mr. Babeli gegen den Berliner Rokiie durch. Der | |
Marburger, der bürgerlich Robin Calderolla heißt, darf sich damit zum | |
zweiten Mal hintereinander deutscher Beatboxmeister nennen. | |
Erdem Kaya, 18-jähriger Schüler aus Reinickendorf, hat sich zum ersten Mal | |
für die Endrunde bei den Beatboxmeisterschaften qualifiziert. Die | |
Moderatoren stellen ihn als Nachwuchshoffnung vor. Er nennt sich EBM, das | |
steht für Electronic Body Music. „Ich habe mir das Beatboxen über | |
YouTube-Lehrvideos beigebracht“, erzählt er. Beatboxen sei für ihn | |
„Lifestyle“. „Das ist ja nicht wie Klarinette lernen.“ Man versuche zum | |
Beispiel, neue Beatboxsounds aus seinen Lieblingssongs zu kreieren und die | |
zu sampeln. „So findet man zu seinem eigenen Stil.“ | |
Was genau zwischen Lunge und Lippen passiert, kann auch EBM nicht erklären. | |
„Das hört sich komplizierter an, als es ist. Mit viel Training kann man das | |
lernen.“ Dann legt er gleich wieder los. „Bm-bm-bm-bm-tsch.“ Er klingt | |
dabei wie ein ganzes Soundsystem. Ausdauer brauche man beim Beatboxen, sagt | |
er. „Die Atmung muss man auf jeden Fall trainieren. Ich hätte einmal fast | |
hyperventiliert bei einem Auftritt.“ | |
Entstanden ist Beatboxen in den frühen 80ern, fast zeitgleich mit der | |
US-amerikanischen HipHop-Kultur. Man begann, mit Mund und Mikro erzeugte | |
Beatboxelemente zunehmend in Electro-, HipHop oder R&B-Musik zu | |
integrieren. Nachdem es zwischendurch ruhiger um die Beatboxer wurde, | |
erlebt die Kunstform dank YouTube und Webstreams in den letzten Jahren ein | |
Revival. | |
Ruhig wird es im Gretchen heute kaum mal. Auch der Sohn der 2003 in | |
Köpenick niedergestochenen Berliner Beatbox-Legende Maxim kommt auf die | |
Bühne. Maxim junior, zwölf Jahre alt, sorgt für einen Höhepunkt des Abends | |
– und wohl auch für einige feuchte Augen. Maxim war neben dem Berliner | |
Szeneurgestein Bee Low eine wichtige Figur in der Berliner Beatbox-Szene. | |
Sein Sohn mag erst zwölf Jahre alt sein, sein Organ aber klingt schon wie | |
das eines Erwachsenen. | |
Seit 2002 organisiert Bee Low alias Alexander Bülow internationale und | |
nationale Wettkämpfe. „Wir haben hier Ende der 80er mit Beatboxen | |
angefangen“, erzählt Markus Hertel, 36, einer von Bee Lows Helfern. „Das | |
war eigentlich ein kleiner Wilmersdorfer und Schmargendorfer Freundeskreis, | |
der sich für Breakdance, Graffiti und Beatboxen begeistert hat.“ | |
Mittlerweile kooperiert die Veranstaltungsreihe weltweit mit anderen | |
Beatboxern. | |
Der Beatboxbattle sei ein gut funktionierendes, kleines Unternehmen, sagt | |
Hertel. In diesem Jahr feiert man Jubiläum. „Wir ziehen jetzt seit zehn | |
Jahren undergroundmäßig hier unser Ding durch“, ruft Bee Low von der Bühne. | |
Hertel betont, dass die Szene auch weiterhin offen für alle Neuankömmlinge | |
sei. „Es gibt Workshops an der Uni, es gibt Lehrbücher, es gibt | |
Lern-Software. Jeder kann das lernen.“ | |
Es macht Spaß, diesen wandelnden Ghettoblastern bei ihrer Arbeit zuzuhören. | |
Immer mal wieder klingen an diesem Abend bekannte Töne an. „Smooth | |
Criminal“ von Michael Jackson, „I follow“ von Lykke Li oder Songfetzen von | |
Tim Bendzko werden in eigenen Versionen mit zischenden und röhrenden Lauten | |
versehen. Derweil setzt sich die Begeisterung für das Beatboxen bis auf die | |
Herrentoilette fort. Während ein Besucher pinkelt, trainiert er lautstark | |
vor sich hin. „Mmm-ba-ba-ba-mmh“, schallt es vom Plätschern begleitet durch | |
den Raum. Möglich, dass dieser Mann im nächsten Jahr schon selbst auf der | |
Bühne steht. | |
2 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
## TAGS | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
HipHop | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Sprechen lernen nach einem Unfall: Raue, schmatzende, ploppende Töne | |
Ein schwerer Autounfall nimmt Michael Bergen die Fähigkeit zu sprechen. Das | |
Beatboxen hilft ihm, das Chaos in seinem Kopf zu ordnen. | |
Die Berliner Band Haudegen: Lizenz zum Mitgrölen | |
Das Berliner Duo Haudegen setzt auf Hausgemachtes. Ihr Deutschrock spielt | |
mit altmodischen Proletenklischees und schwammigen Politparolen. |