# taz.de -- Moses Pelhams neues Album: Vom Lieben und Zweifeln | |
> Zerbrechlich und lebensklug: Mit „Geteiltes Leid 3“ schließt Moses Pelham | |
> seine Trilogie ab – und zeigt, dass deutscher Rap erwachsen geworden ist. | |
Bild: Moses Pelham ist Jurymitglied in der Vox-Castingshow X-Factor. | |
Da sitzt er und strahlt wie ein Buddha. Der Rüpel, der vor zwei Jahrzehnten | |
alle Eltern in Schrecken versetzte. Der Songwriter, der diese traurigen | |
Soullieder schreibt. Und der Labelbetreiber, der einst Xavier Naidoo zu | |
Ruhm verhalf. Moses Pelham hat ein neues Soloalbum veröffentlicht, inmitten | |
der Dreharbeiten zur Castingshow X-Factor. | |
Dort ist er neben Sängerin Sarah Connor Teil der Jury, was erst mal | |
einleuchtend klingt – hat Pelham doch die Musikszene nicht nur durch sich | |
selbst, sondern auch mit Talenten wie Cassandra Steen bereichert. Sein | |
Engagement bei der Castingshow sei aber etwas ganz anderes als die | |
Talentförderung, wie er sie bisher im Rahmen des eigenen Plattenlabels | |
betrieben habe, sagt Moses Pelham im Interview. | |
„Ich hab mit den Menschen, die jetzt bei ’X-Factor‘ in meiner Gruppe sind, | |
wenn es hochkommt, fünf Tage verbracht. Es geht nur darum, was ich zur | |
Musik sage, und das war’s. Ich gebe ihnen schon auch Tipps. Aber ich kann | |
keine Verantwortung für die übernehmen, das will ich auch gar nicht. Es ist | |
so schön, ich hab nur Verantwortung für mich selbst!“ Und er strahlt schon | |
wieder. | |
Moses Pelham wirkt tatsächlich sehr zufrieden mit seinem neuen Werk | |
„Geteiltes Leid 3“, das vergangene Woche erschienen ist. Vor allem, weil es | |
hier um ihn geht, um seine Kunst und nicht um irgendeinen anderen, der bei | |
seinem Label 3P unter Vertrag steht, den er produzieren und vermarkten | |
muss, dem er seine Zeit widmet, die er in die eigene Musik stecken könnte. | |
## Es kostete Kraft, Geld und Freundschaften | |
Acht Jahre hat es gedauert, bis er ein neues Soloalbum veröffentlicht hat. | |
Einst habe er angefangen, selbst Musik zu produzieren, weil er mit der | |
Musik von anderen unzufrieden war, erzählt Pelham. Und als ihm dann die | |
Arbeitsweise der Labels nicht gefiel, hat er sein eigenes Label gegründet. | |
Dass er allmählich anfing, befreundete Musiker zu unterstützen, habe sich | |
einfach so ergeben – mehr aus der Leidenschaft heraus, gute Musik zu | |
produzieren, als aus der Vision, explizit neue Talente zu entdecken. Doch | |
hat ihn diese Tätigkeit häufig nicht nur viel Kraft und Geld, sondern auch | |
Freundschaften gekostet. | |
„Nicht von dieser Welt“, das erste und vielleicht aufregendste Album von | |
Sänger Xavier Naidoo aus dem Jahr 1998, entstand unter Pelhams Fittichen | |
und bescherte dem Team ein millionenschweres Debüt. Was folgte, war aber | |
nicht das heiß erwartete Folgeprojekt, sondern ein jahrelanger Rechtsstreit | |
um Einnahmen und Rechte zwischen Naidoo und Pelham. Sowie absolute | |
Funkstille. | |
Dass die beiden nun gemeinsam auf Pelhams neuem Album – und zwar auf dem | |
letzten Song „Halt aus“ – zu hören sind, ist eine kleine Sensation. Lange | |
sind sie getrennte Wege gegangen, haben jeder für sich große Erfolge | |
gefeiert: Naidoo als populärster Soulsänger Deutschlands, Pelham als Chef | |
der Talentschmiede 3P sowie als kreatives Zentrum der geistreichen Soulband | |
Glashaus. | |
## Damit rechnet der Hörer nicht | |
Eher zufällig kreuzten sich kürzlich wieder bei Freunden ihre Wege. Spontan | |
verabredeten sie die Zusammenarbeit. „Ich finde das geil“, sagt Pelham. „… | |
passt zum Widerstandsgeist des ganzen Albums. Hier passieren eben Dinge, | |
mit denen der Hörer niemals gerechnet hat.“ | |
Mit „Geteiltes Leid 3“ bringt Moses Pelham den letzten Teil seiner Trilogie | |
heraus, die vor 14 Jahren mit „Geteiltes Leid I“ begann. Seine Karriere in | |
der Musikindustrie beginnt aber schon viel früher, nämlich 1989 mit der | |
Single „Twilight Zone“. Da rappt er unter dem Namen Moses P noch auf | |
Englisch – wie alle anderen deutschen Rapper damals auch. | |
Bis Anfang der 1990er Jahre kann sich noch kaum einer vorstellen, dass Rap | |
auf Deutsch irgendwie cool sein könnte. Der Durchbruch außerhalb der Szene | |
gelingt dem Frankfurter aber in der Landessprache mit der Formation | |
Rödelheim Hartreim Projekt, kurz RHP. | |
„Direkt aus Rödelheim“ erscheint 1994 und zählt zu den ersten Rap-Platten, | |
die die Grobheit des amerikanischen Gangsterrap ins Deutsche übersetzten. | |
Damit positionierten sich RHP konträr zu den bislang einzigen und recht | |
spaßigen Hip-Hoppern im Mainstream, den Fantastischen Vier, und erhielten | |
auch viel Zuspruch von der Szene. | |
## Die „Böhsen Onkelz“ als Vorbild | |
RHP provozieren und werden dafür mit medialer Aufmerksamkeit – als die Bad | |
Boys schlechthin – belohnt. Auf die Aussage, die „Böhsen Onkelz“ gehört… | |
zu seinen musikalischen Vorbildern, werden dem dunkelhäutigen Moses Pelham | |
im Jahr 1996 Beziehungen zur Skinhead-Szene unterstellt – von der taz. Als | |
einer der Pioniere des deutschen HipHop hat Moses Pelham eben alle Phasen | |
der Wahrnehmung und Berichterstattung hinsichtlich der Rapmusik hierzulande | |
miterlebt. | |
Auf „Hoo“, einem Song aus dem aktuellen Album, rappt er: „Glaub mir, dies… | |
Typ rappt länger, als die alt sind.“ Tatsächlich lebt die Popularität von | |
Rap erheblich von der sich ständig neu generierenden jungen Hörerschaft. Ob | |
die mit dem extrem melancholischen und ernsten Ton des neuen Albums etwas | |
anfangen kann? „Ich denke, meine Musik spricht eher zu Erwachsenen, die | |
etwa in meinem Alter sind. | |
Und mit 16 Jahren will man ja auch nicht die Platte vom Opa hören. Es gibt | |
eigentlich nichts Schlimmeres als einen Jugendlichen, der nicht seine | |
eigene Musik hat. Man will sich doch damit erst vom Establishment abheben“, | |
sagt Pelham. Er selbst sei mit Funk und Blues von Künstlern wie Sly & The | |
Family Stone und B. B. King aufgewachsen. „Aber irgendwann dachte ich: Das | |
kann’s doch nicht sein. Ich brauch etwas Eigenes! Und es muss so brutal | |
sein, dass meine Eltern irgendwann kotzen und sagen: Was ist das für ’n | |
Scheiß?“ | |
## Zitate aus der Bibel | |
Zur pubertären Rebellion taugt Moses Pelhams neues Album in der Tat | |
überhaupt nicht. Es spricht vom Lieben und Zweifeln, zitiert die Bibel, | |
erzählt Geschichten in einer ganz eigenen Sprache, die Moses Pelham seit | |
über 20 Jahren fortwährend entwickelt. | |
Pelham ist Lyriker durch und durch. Er hat kein Problem damit, Schwächen zu | |
zeigen, und er kann eine ganze Platte mit Emotionen vollquatschen, ohne | |
dass die Ernsthaftigkeit bricht. Drei Jahre lang hat er Lieder produziert, | |
bis er zwölf Stück zusammenhatte, die er mit der Außenwelt teilen wollte. | |
„Heute kann doch jeder Tracks machen“, sagt Pelham über den Zwang, ständig | |
etwas Neues zu veröffentlichen. „Und alle sagen: Ey Mann, Musik ist für | |
mich wie Therapie. Aber warum soll ich mir deine Therapieakte kaufen? | |
Wieso?“ Dass seine Kunst ihn als Menschen abbilde, sei ihm zwar unheimlich | |
wichtig, doch betont er: „Da muss doch irgendwas darüber hinaus passieren, | |
damit es wert ist, veröffentlicht zu werden!“ | |
„Geteiltes Leid 3“ hat die Ästhetik eines Livealbums, alle Songs wurden mit | |
Band eingespielt. Dass der Rapper während des Schaffensprozesses viel Bach | |
und Rockmusik gehört hat, merkt man der Platte an. Komponiert hat Pelham | |
seine Lieder gemeinsam mit dem Frankfurter Produzenten Martin Haas. Die | |
beiden arbeiten seit über zwanzig Jahren zusammen, und so tragen ihre | |
Produktionen immer einen unverfälschten Sound. | |
Haas ist der einzige Künstler, mit dem Pelham seine gesamte Karriere über | |
zusammenhielt, während so viele andere bei ihm ein- und ausgegangen sind. | |
Das wird wohl kein unwesentlicher Parameter dafür sein, dass „Geteiltes | |
Leid 3“ anknüpft und weiterweist: schroff wie RHP, zerbrechlich wie | |
Glashaus und lebensklug wie die Musik vom Opa. | |
13 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
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