# taz.de -- Deutschland lacht über BER-Desaster: Berlin kriegt die Quittung | |
> Hinter der Häme über das Flughafendesaster steckt der Neid über das | |
> angeblich gute Leben an der Spree. Dabei ist Berlin oft piefige Provinz. | |
Bild: Die Begrüßung muss warten. Mindestens bis 2014 bleiben Berlin und Brand… | |
Berlin war mal mehr als angesagt und hip. Berlin war mal cool. Richtig | |
cool. Leider ist das fast 25 Jahre her. | |
In den Wirren der Wendezeit wirkte die Ex-und-noch-nicht-wieder-Hauptstadt | |
irre. Ossis kauften an der Sonnenallee die Läden leer, soffen auf der | |
Oranienburger so lange, bis sie kaum noch ein Bier aufkriegten – und | |
brummten dann mit ihren Trabis davon. In den Hausfassaden erzählten | |
Abdrücke von Maschinengewehrgarben vom Zweiten Weltkrieg. | |
In Wohnungen wurden Schreibtische von ihren BesitzerInnen so platziert, | |
dass sie die Türen versperrten – der dazugehörige Balkon war schon vor | |
Jahrzehnten abgestürzt. In dubiosen Kellern eröffneten immer neue Clubs, | |
zugemauerte Hauseingänge verwandelten sich in U-Bahn-Passagen, zu denen | |
vorher nur die DDR-Grenztruppen Zugang hatten. Das roch nach Anarchie: Dem | |
„Westdeutschen, der sein Geld versäuft“ (Ideal), stand das Maul offen. | |
Zu bekam er es auch daheim nicht mehr. Wer in sein wollte, ging – und, so | |
ist zu befürchten, geht noch immer – nach Berlin. Ganze Karawanen | |
stilbewusster Gelangweilter sind nach 1988 an die Spree gezogen. Billig war | |
das nie: Gute Jobs, von denen man leben kann, gab es vor 20 Jahren noch | |
weniger als heute. | |
## „Berlinförderung“ | |
Denn die Hauptstadt hängt seit Gründung der Bundesrepublik am Tropf | |
Westdeutschlands. Erst hieß das Ganze „Berlinförderung“ und sollte die | |
Zufriedenheit der eingeschlossenen Bewohner des Westteils sicherstellen – | |
die Propagandawirkung einer Massenflucht in den ebenso gepimperten, | |
„Hauptstadt der DDR“ genannten Osten wäre schließlich verheerend gewesen. | |
Und nach der Wende sprudelte das Geld weiter. | |
Jetzt heißt es „Länderfinanzausgleich“: Von den 128 Milliarden Euro, die | |
seit 1990 in diese Umverteilungsmaschine geflossen sind, landeten satte 45 | |
Milliarden in Berlin – das ist mehr als jeder dritte Euro. An zweiter | |
Stelle liegt Sachsen mit 17 Milliarden. Das auf Platz drei liegende | |
Sachsen-Anhalt konnte noch 10 Milliarden abgreifen. | |
Gezahlt haben mit jeweils 38 Milliarden vor allem Hessen und Bayern, es | |
folgt Baden-Württemberg mit knapp 36 Milliarden. Selbst aus dem von Kohle- | |
und Stahlkrise gebeutelten Nordrhein-Westfalen flossen Milliarden. Ein | |
„Skandal“ sei das, kommentiert nicht nur die Westdeutsche Zeitung aus | |
Düsseldorf. | |
## Arm aber sexy | |
In Süd- und Westdeutschland wächst die Wut auf die Berliner nicht erst seit | |
den „Arm-aber-sexy“-Sprüchen des Regierenden Wowereits. Seit einem knappen | |
Vierteljahrhundert müssen sich die Daheimgebliebenen anhören, wie gut es | |
sich doch an der Spree leben lässt – selbst wer dort scheitert, gibt das | |
beim Verwandtenbesuch nicht gern zu. Und natürlich hat Berlin noch heute | |
viel, was auch westdeutsche Großstädte gern hätten – das geniale, leider | |
aber schon zu Vorkriegszeiten angelegte U-Bahn-Netz zum Beispiel. | |
Denn das funktioniert im Gegensatz zum längst nicht fertigen Großflughafen | |
„Willy Brandt“ immerhin tadellos. Die Häme aber, die sich wegen des | |
Pannen-Airports über die Berliner ergießt – sie hat andere Quellen: Hinter | |
ihr steckt der Neid auf das aus der Ferne gefühlte gute, subventionierte | |
Leben ohne Gegenleistung, das die Hauptstädter in den Augen vieler | |
Westdeutscher führen. | |
Und der Neid, der sucht sich merkwürdige Ventile. Etwa den ziemlich | |
speziellen Streit, ob Brötchen besser Weckle (wie sie die Schwaben in | |
Prenzlauer Berg nennen) oder doch noch Schrippen genannt werden sollten. | |
„Wer 60 Jahre in den Länderfinanzausgleich einzahlt, darf Backwaren in ganz | |
Deutschland so nennen, wie er will“, tönte etwa Baden-Württembergs | |
FDP-Vorsitzende Birgit Homburger, natürlich in Stuttgart. | |
Verdient hat Berlin das nicht. Die Quittung für die eingesackten Milliarden | |
zahlt die Stadt schon längst: Die zugezogenen Spießer, die ganze Bezirke | |
mit dem Flair ihrer piefigen Provinz überziehen, sind Strafe genug. Die | |
Jahre, in denen Berlin richtig cool war, sind lange her. Leider. | |
10 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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