# taz.de -- Die nächste Industrierevolution: Industrie 4.0 | |
> „Smart Factory“ ist das neue Schlagwort der Industrie. Übers Netz sollen | |
> Produktionsmodule miteinander kommunizieren und Entscheidungen treffen. | |
Bild: Industrie-Roboter im Einsatz: Künftig sollen sie nur aktiv werden, wenn … | |
BERLIN taz | Schon wieder eine Industrierevolution – aber die wievielte? | |
Während der US-amerikanische Ökonom [1][Jeremy Rifkin] derzeit mit seiner | |
Vision der „dritten industriellen Revolution“ – einer umweltverträglichen | |
„grünen Wirtschaft“ – durch die Konferenzsäle tingelt, arbeiten deutsche | |
Produktionstechniker bereits emsig am Konzept einer „Industrie 4.0“. | |
Sie will die Fabrikwelt mit dem Internet verbinden und neue Dimensionen | |
einer effizienten Produktion erschließen. „Wir werden intelligente | |
Maschinen sehen, die sich selbst steuern und sich gegenseitig optimieren, | |
um intelligente Produkte herzustellen“, beschreibt Henning Kagermann, | |
früherer Chef des Software-Riesen SAP und heutiger Präsident der | |
[2][Deutschen Akademie der Technikwissenschaften „Acatech“], seinen | |
Ausblick auf die entstehende „Smart Factory“. | |
Zur Präsentation des aktuellen Forschungsstandes hatten sich Acatech und | |
der Thinktank des Bundesforschungsministeriums, die [3][„Forschungsunion“], | |
unlängst das [4][Produktionstechnische Zentrum (PTZ)] in Berlin ausgesucht, | |
einen kreisrunden, elfenbeinfarbenen Wissenschaftstempel am Ufer des | |
Moabiter Spreebogens. | |
Ein höchst symbolischer Ort, denn die gemeinsame Einrichtung von | |
[5][Fraunhofer Gesellschaft] und [6][Technischer Universität Berlin] war | |
1986 für den Produktionswissenschaftler Günter Spur errichtet worden, um | |
hier die computergesteuerte Fabrik der Zukunft („Computer Integrated | |
Manufacturing“, kurz CIM genannt) – die Industrie 3.0 – vorzubereiten. | |
## Ein Paradigmenwechsel | |
Die Verheiratung der Werkzeugmaschinen mit den Rechenmaschinen, der | |
Produktionstechnik mit der Informatik, war damals der dritte Schub der | |
Industriemodernisierung, nach dem Zeitalter der großen Dampfmaschinen und | |
dem Einzug der Elektrotechnik. Die damalige Befürchtung, mit CIM beginne | |
die Ära der menschenleeren Fabrik, hat sich allerdings nicht bewahrheitet. | |
„Bei Industrie 4.0 handelt es sich um einen Paradigmenwechsel: Wir gehen | |
weg von der zentralen Fabriksteuerung hin zu einer dezentralen Steuerung“, | |
erklärt Wolfgang Wahlster, Leiter des [7][Deutschen Forschungszentrums für | |
Künstliche Intelligenz (DFKI)] in Saarbrücken. | |
## „Bitte färbe mich rot“ | |
Durch die informationstechnische Vernetzung kann der Rohling einer | |
Produktionsmaschine mitteilen, wie er bearbeitet werden will. „Er beantragt | |
beim Roboter: Bitte färbe mich rot oder schleife mich an dieser Stelle“, | |
beschreibt Wahlster die neuen Maschinendialoge. „Das ist eine völlige | |
Umkehrung der bisherigen Produktionslogik.“ | |
In Wahlsters Forschungslabor werden die Techniken dafür entwickelt, mit | |
denen zum Beispiel Seifenflaschen über den aufgedruckten RFID-Tag dem | |
Einfüllautomaten melden, mit welcher Seife sie befüllt werden sollen und | |
welche Farbe der Deckel dazu haben muss. | |
Ihre Programmierung lässt die intelligenten Seifenflaschen dann in | |
unterschiedliche Kartons rauschen, mit ebenfalls unterschiedlichen | |
Bestimmungsorten. | |
## Globale Kundschaft | |
Über das Internet wird die smarte Fabrik mit der globalen Warenwelt | |
verknüpft. Der Trend: Bauteile werden in kleineren Stückzahlen und auf | |
direkte Kundenanforderung produziert. Das senkt die Verlustrate und | |
beschleunigt die Auslieferung. Der Automobilzulieferer Bosch hat die | |
Herstellung von Einspritzdüsen für Dieselmotoren jetzt so umgestellt, dass | |
die Produktion erst dann beginnt, wenn irgendwo auf der Welt eine | |
elektronische Bestellung dafür aufgegeben wurde. | |
Die voranschreitende Digitalisierung der Produktion verändert auch die | |
Industrieforschung. Die Hälfte seines Forschungsaufwands steckt Siemens | |
heute in die Software-Entwicklung; 17.000 der insgesamt 30.000 | |
FuE-Spezialisten bei Siemens sind damit befasst. | |
Das Bundesforschungsministerium will diesen Trend weiter forcieren und hat | |
über seine [8][Hightech-Strategie] laut Staatssekretär Georg Schütte bisher | |
25 Millionen Euro in Forschungsprojekte für „Industrie 4.0“ gesteckt. „In | |
den kommenden vier Jahren wollen wir bis zu 200 Millionen Euro zur | |
Verfügung stellen“, kündigte der Politiker an. | |
## Autonome Service-Roboter | |
Das Bundeswirtschaftsministerium startete seinerseits den Förderwettbewerb | |
„Autonomik“, der mit 40 Millionen Euro ausgestattet ist. Gesucht werden | |
Pilotprojekte, die von autonomen Service-Robotern im industriellen | |
Dienstleistungsbereich bis hin zum „elektronischen Butler in der Pflege“ | |
reichen. Weitere Programme sollen auf der Hannover Messe im kommenden April | |
präsentiert werden. | |
Der Wandel in den Fabriken birgt auch neue Chancen für ihr Umfeld. Ihr Lärm | |
und giftige Ausdünstungen haben die Produktionsstätten der Industrie erst | |
an den Rand der Städte und vielfach ganz hinausgedrängt. | |
Die neue Fabrikgeneration verspricht, sauber und klein genug zu sein, um | |
wieder in die Städte zurückkehren zu können. Das Maschinenbau-Unternehmen | |
Wittenstein konnte in Fellbach nördlich von Stuttgart eine Fabrik im | |
Wohngebiet errichten, weil sie praktisch emissionsfrei ist. Für die | |
Beschäftigten ist der wohnortnahe Standort von Vorteil, weil sich die | |
Anfahrtszeiten verkürzen. | |
## Warmwasser für de Nachbarschaft | |
Aber es gibt auch ein „Gegengeschäft“ für die Kommune: Die Prozesswärme … | |
Maschinen wird über einen Wärmetauscher aufgefangen und an die umliegenden | |
Wohnhäuser abgegeben. | |
Schon wird bei Wittenstein darüber nachgedacht, die Öko-Effekte der smarten | |
Fabrik weiter zu verbessern. „Unsere Vision ist, die Produktion so zu | |
steuern, dass sie dann läuft, wenn in der Nachbarschaft viel Warmwasser | |
gebraucht wird, etwa morgens zum Duschen“, erklärt Philipp Guth von der | |
Wittenstein Bastian GmbH. | |
„Das könnte am Ende sogar dazu führen, dass Energie für uns alle etwas | |
billiger wird“, stellt er in Aussicht. Damit könnte die Industrie 4.0 nicht | |
nur die Fabriken revolutionieren, sondern auch die Energiewende mit | |
voranbringen. | |
11 Jan 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.foet.org/ | |
[2] http://www.acatech.de/ | |
[3] http://www.forschungsunion.de/ | |
[4] http://www.ptz-berlin.de/ | |
[5] http://www.fraunhofer.de/ | |
[6] http://www.tu-berlin.de/ | |
[7] http://www.dfki.de/ | |
[8] http://www.bmbf.de/de/6618.php | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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