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# taz.de -- Suhrkamp Verlag: Mein liebes Suhrkamp-Buch
> Was ist die Suhrkamp-Kultur, deren Aussterben viele fürchten? Genau
> wissen wir das auch nicht. Im Zweifel hilft nur Lesen. Acht subjektive
> Antworten.
Bild: Was wird nur aus dem Suhrkamp-Verlag?
Dits et Ecrits
Es war die Revolution für das Taschenbuch in der Bundesrepublik, als Unseld
1963 die ersten 20 Bände der edition suhrkamp, diese billigen Erstausgaben
in simplem, aber genialem Design, auf den Markt warf, Literatur und
Theorie, eine Reihe, von der ihm alle abrieten, auch erschwinglich für
Studenten, der erste Band: Brechts aufklärerischer Galilei.
1968 dann kam Band 272, es war der erste Foucault, und man muss Suhrkamp
und später auch dem Merve Verlag auf immer dankbar sein dafür, dass sie ihn
herausbrachten, ihn, der eine Revolution im Denken auslöste, der davon
sprach, dass nicht das Subjekt konstituierend, sondern selbst ein
konstituiertes ist, womit man auch in Frankfurt, im akademischen Umfeld von
Suhrkamp, Probleme hatte und aus Foucault einen Konservativen zu machen
trachtete.
Ja, und dann übersetzte der Suhrkamp Verlag ab 2005 zu Foucaults 75.
Geburtstag auch noch die „Dits et Ecrits“, seine verstreuten Artikel,
Reden, Interviews etc. in vier Bänden, ingesamt etwa 4.000 Seiten. Dafür
eine Verneigung. TANIA MARTINI
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Politik und Verbrechen
Irre, jeden zweiten Tag eine neue Suhrkamp-Solidaritätserklärung. Gestern
eine per Mail, eröffnet mit einem Zitat von Peter Handke: „Das
Suhrkamp-Haus, das Haus Siegfried Unseld ist für mich immer noch und heute
grundfester denn je das deutschsprachige Haus des Geistes.“ Soll wohl nach
Salon und ganz großer Villa klingen, ist aber gedanklich nationale
Gartenlaube und Hochkulturwichtelei. Unterschrieben haben 70 Autoren, von
Durs Grünbein und Uwe Tellkamp (na logisch!) bis Thomas Meinecke und Ulli
Lust (warum nur?).
Der Wege zu Suhrkamp sind offensichtlich viele. Sie können über Adorno,
Benjamin, Brecht, Horváth, Joyce, Vargas Llosa, Goetz führen, oder eben –
wie oben zitiert. 1964 veröffentlichte Hans Magnus Enzensberger in der
damals kulturrevolutionären Phase des Hauses seine Textsammlung „Politik
und Verbrechen“ und spendierte damit der Zeitschrift Die Beute dreißig
Jahre später ihren Untertitel. Der Haupttitel von Die Beute war in den
1990er Jahren jedoch einer Gerichtsreportage Joseph Roths entlehnt, neu
aufgelegt bei Kiepenheuer & Witsch. ANDREAS FANIZADEH
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Über Haschisch
Dieses Büchlein war meine persönliche Einführung in Walter Benjamins
Denken. Benjamins akribische Drogenprotokolle – Menge, Ort, Uhrzeit,
anwesende Personen werden festgehalten – weisen anschauliche Bezüge zu
seinen großen Schriften auf, etwa sein mystischer „Aura“-Begriff, der im
Kunstwerk-Aufsatz eine zentrale Rolle einnimmt.
Viel witziger ist aber, wie sich der Rausch hier der messerscharfen Analyse
unterwirft und umgekehrt. Dinge und Wörter verlieren ihre fest umrissene
Bedeutung, eine „anarchische Kraft“ lockert und stiftet Chaos. Auch wenn
nicht immer als „genießendes Prosawesen höchster Potenz“, so erkundet
Benjamin seine „satanische Phase“ eben in einem Gemälde von Delacroix.
Kiffen ist sowieso nur profane Erleuchtung, genauso wie Lesen oder
Spazierengehen: „Man geht die gleichen Weg des Denkens wie vorher, nur
scheinen sie mit Rosen bestreut.“ FATMA AYDEMIR
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Zürich, Anfang September
Mein erster Suhrkamp-Band war „Zürich, Anfang September“ von Reto Hänny
(Edition Suhrkamp Neue Folge 79). Geschenkt bekam ich ihn im Februar 1982
von meinem Erdkundelehrer, möglicherweise da ich einmal nicht renitent
gewesen bin. Der Schriftsteller Hänny schildert darin die Zürcher
Jugendunruhen aus „Sicht eines betroffenen Chronisten“.
Er wurde im September 1980 bei einer Demonstration aus Protest gegen das
geschlossene Jugendzentrum AJZ verhaftet, von Polizisten übel zugerichtet
und verbrachte mehrere Tage unter skandalösen Umständen im Gefängnis. Auf
der Buchrückseite steht ein Zitat von Georg Büchner. „Der Hass ist so gut
erlaubt als die Liebe.“ Auch Hobbes wird zitiert und Max Frisch.
Es gab kein Internet damals, und so war diese kleine Schrift aus Zürich
eine wichtige Informationsquelle zum zivilen Ungehorsam, geschrieben in
eigentümlichem Schweizerdeutsch, eingerahmt im spezifischen
Willy-Fleckhaus-Design, also ganz legal. JULIAN WEBER
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Theorie der Avantgarde
War Peter Bürgers „Theorie der Avantgarde“ mein erstes Suhrkamp-Buch?
Sicher nicht. Was das war, weiß ich nicht. Warum hätte ich es mir auch
merken sollen? War ein Suhrkamp-Buch in die Hand zu nehmen ein sakraler
Akt? Teil der Rites de passage? War man danach gewissermaßen intellektuell
entjungfert? Falls das für manche Leute so gewesen ist, ich habe zu diesen
Leuten nie gehört.
Suhrkamp war eine wichtige Adresse für Wissenschaft und Theorie in der
Zeit, in der Peter Bürgers „Theorie der Avantgarde“ dort erschien. Aber
fand man zur gleichen Zeit nicht die rasanten Sachen doch eher bei Merve?
Oder wie, etwas später, Barbara Vinkens „Mode nach der Mode“ beim S.
Fischer Verlag?
Überhaupt scheint mir – und das ist, was ich mit der viel gepriesenen
Suhrkamp-Kultur verbinde –, waren Frauen, sofern sie nicht auf den
Hausherrn, sondern auf eine Veröffentlichung aus waren, anderswo besser
aufgehoben. BRIGITTE WERNEBURG
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Der destruktive Charakter
Was war das Erste? Benjamins „Illuminationen“? Oder doch die
Taschenbuchoriginalausgabe von Goetzens „Irre“, 1986. An dieser Frage
offenbart sich bereits, welche Vielfalt an Denkstilen, Sprechweisen und
Temperamenten das Suhrkamp-Firmament überspannt. Wenn man in beiden
Bändchen blättert, zeigen sich ungeahnte Querverbindungen. „Der destruktive
Charakter kennt nur eine Parole: Platz schaffen; nur eine Tätigkeit:
räumen.
Sein Bedürfnis nach frischer Luft und freiem Raum ist stärker als jeder
Hass.“ Die Sätze Walter Benjamins klingen wie eine Beschreibung von
Goetzens Protagonist Raspe, der als Arzt fast selbst irre wird am
Klinikalltag.
Als Handelnder inmitten der Kraftfelder einer institutionellen Struktur ist
er wiederum Johann Holtrop, dem jüngsten Helden von Rainald Goetz, nicht
unähnlich, was beweist, dass Bücher von anderen Büchern handeln. Unter den
wichtigsten sind immer welche von Suhrkamp. ULRICH GUTMAIR
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Das kommende Geschlecht
Meine Suhrkamp-Lektüre beginnt mit Edward Bulwer-Lytton. Sein „Das kommende
Geschlecht“, ein Proto-Science-Fiction-Roman über eine unter der Erde
verborgene Zivilisation, kommt als sehr bedächtig erzählte Dystopie daher.
Für ihn allein müsste man Suhrkamp wohl nicht retten. Im Gedächtnis
geblieben ist eine hermeneutische Maxime dieser subterranen Kultur, die
sich besser kein Verlagshaus zum Prinzip machen sollte: „Wer alte Bücher
studiert, wird immer wieder Neues in ihnen entdecken; wer neue liest, stets
Altes darin finden.“ Für mich war es der erste Band aus der Phantastischen
Bibliothek von Suhrkamp, die mit Autoren wie H. P. Lovecraft und Stanislaw
Lem einen Nebenstrang zur offiziellen Hochliteratur oder Diskursschwere
lieferte und das Programm zum Pop durchlässig machte. TIM CASPAR BOEHME
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Der Steppenwolf
Ich war wohl 14, als ich Hesses „Steppenwolf“ in der lila
Taschenbuchausgabe meiner großen Schwester gelesen hatte. Auf dem
Autorenfoto erinnert der Dichter ein bisschen an Horst Mahler, der damals
RAF-Anwalt war. In der Bundesrepublik war der „Steppenwolf“ erst durch die
amerikanischen Hippies richtig populär geworden. Hesse hatte den Ruf, „ein
’Über-Weiser‘ zu sein, größer als Tolkien!“, so der LSD-Prophet Timothy
Leary, der das Buch als „psychedelische Reise“ interpretierte.
Besonders gut hatte mir die Passage gefallen, wo der Held in einer Art
Zeitreise auf junge Mädchen trifft, die er sich – (in dem Alter, in dem ich
als Leser war) – nicht anzusprechen getraut hatte und die er nun, in einer
optimierten Version seiner Lebensgeschichte, küssen durfte. Die Vorstellung
verpasster erotischer Gelegenheiten, denen man mit 50 nachtrauert, hatte
mich mit 14 sehr melancholisch gestimmt. DETLEF KUHLBRODT
11 Jan 2013
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