# taz.de -- Niedersachsen-Wahl: Immer nur lächeln | |
> Das TV-Duell im NDR war das einzige direkte Aufeinandertreffen der | |
> Spitzenkandidaten Stephan Weil und David McAllister. | |
Bild: Hektische Flecken können Wahlen verlieren: David McAllister, geschminkt … | |
HANNOVER taz | Lächelnd taucht David McAllister in den dunklen Gang, der | |
aus dem Messestudio des NDR führt. Sein CDU-Büroleiter dackelt ihm nach, | |
ein Parteisprecher ebenso und nun folgt auch der Herr mit dem weißgrau | |
gewellten Haar, mit dem er sich schon an der Kabeltrommel abgeklatscht | |
hherratte, Franz Rainer Enste, der Staatskanzleisprecher. An der Tür warten | |
die nächsten dunkelblauen Anzüge, ein sich nach hinten verzweigender und | |
erweiternder Schweif bildet sich, wie bei Schwan-kleb-an. | |
Aber Schwan ist der falsche Vogel. Und allmählich dämmert’s dem Kandidaten, | |
dass er’s hinter sich hat. Es ist 22.15 Uhr, Donnerstag, das einzige | |
direkte Aufeinandertreffen der Spitzenkandidaten im niedersächsischen | |
Landtagswahlkampf, das „TV-Duell“ mit Herausforderer Stephan Weil, ist | |
über’n Äther. Im Foyer beginnen plötzlich McAllisters Beine zu laufen, | |
„kommt jetzt mal mit zu mir rein!“, schreit er, „alle!“. Die Treppe im | |
Laufschritt, oben im Flur rennt er fast, nur noch zwei, drei Schritte bis | |
zum Garderobenzimmerchen. Den Kopf klemmt er dabei merkwürdig nach rechts | |
auf die Schulter, als ginge es darum, das Lächeln zu verstecken. Tür auf, | |
Schwanz rein, jetzt boxt ihm Generalsekretär Ulf Thiele eine gerade Rechte | |
gegen die Schulter, jungsmäßig. Tür zu. Es dauert ein bisschen, dann setzt | |
Pennälergrölen ein, Jaahhh!, vielkehlig: Kurz drauf rauscht die ganze | |
Kolonne ab zum Hangar 5, wo die Junge Union schon seit zwei Stunden | |
vorglüht, Annette Schavan hat das Warm-Up übernommen. Die Christdemokraten | |
üben, wie früher Gerd Schröder, die Kunst der Selbstsuggestion: Gewonnen | |
hat, wer lauter brüllt. „Jaahhhh!“. Und seine Angst hat McAllister am | |
Donnerstagabend ja wirklich besiegt. | |
Die war groß. McAllister, in der Disziplin Bürgergespräch ein echter Crack, | |
ist ja kaum telegen. Nun ist auch Kontrahent Weil kein Charismatiker. Aber | |
bei McAllister gibt’s ja diese Vorgeschichte. Einmal war er in einer großen | |
Talkshow, bei Markus Lanz. Der gilt als so unerbittlich hart wie ein | |
Vanillepudding. Und doch war McAllister an dessen konfrontativen Fragen | |
zerbrochen, im August. Starrer Blick, schmale Lippen, Krampflächeln. | |
Trauma. | |
Diesmal hat man nichts dem Zufall überlassen. Extra-Training, Terminzank. | |
Auch traut die CDU dem öffentlich-rechtlichen Sender wohl alle erdenklichen | |
Gemeinheiten zu: McAllisters Team hatte darauf bestanden, die eigene | |
Maskenbildnerin mitzubringen. Hektische Flecken können Wahlen verlieren. | |
Die Sorgen sind aber unbegründet, also von wegen böser Willen des NDR: | |
Sobald einer des anderen Deckung zu durchbrechen droht, geht | |
TV-Chefredakteur Andreas Cichowicz dazwischen wie ein bei den Amish-People | |
ausgebildeter Ringrichter. Friede sei mit Euch! Es fließt kein Blut in die | |
260.000 zugeschalteten niedersächsischen Fernseher, 8,4 Prozent, es fließen | |
keine Tränen, und weder auf McAllisters privater, noch auf den | |
öffentlich-rechtlichen Masken von Weil und Cichowicz perlt der Schweiß. | |
Selbst auf Twitter tröpfeln die Kommentare übers kleine Fernsehspiel von | |
der Verholzung dreier Männer am Stehpult spärlich. Auf #ndsduell #tvduell | |
fragt um 21.20 Uhr ein Alex-@_maeander, „welcher Puppenspieler wohl gleich | |
seine Arme aus McAllister und Weil zieht?“, vorher schon hatte Isabell | |
Prophet@Izyy vermutet, „die Jungs“ hätten ihren Schlagabtausch „geprobt�… | |
Zugleich ringen die politischen Lager elektronisch um die Deutungshoheit. | |
@twittprognosis will per „Blitzumfrage“ festgestellt haben, dass Weil (SPD) | |
das Duell mit 57 Prozent Zustimmung gewonnen habe. Mit 61 Prozent | |
User-Voten Pro Mac kontert die Bild-Hannover. Aus deren Redaktion hatte | |
sich der Ministerpräsident den Chef seines Wahlkampfbüros eingekauft, Dirk | |
Herrmann, und der neue Parteisprecher hat sich, mitten ins kleine Kabuff | |
für Journalisten gepflanzt: Generalsekretär Thiele, ein stattlicher Mann, | |
tritt bei jeder neuen SMS mit ausladenden Gesten an ihn heran, sie tuscheln | |
halblaut. Viel physische Präsenz, und dazu ein erschlagender | |
Frikadellenmief. | |
Tatsächlich ist die Luft schon um 20.30 Uhr zu stickig für klare Gedanken. | |
Es gibt ein Fenster, aber nur zum Flur und nicht zu öffnen. Was unter | |
Sauerstoffmangel vom Denken übrig blieb, läuft per W-LAN noch während der | |
Sendung auf den Online-Portalen ein, gefühlsmäßige Auswertung inklusive. | |
Auf dem Flur jubelt der Unions-Tross, als McAllister mit einer | |
Zweitaufführung seiner Neujahrsansprache endet, also zuzüglich | |
Wahlempfehlung. Langsam tut das Lächeln aber doch weh. | |
Auswendig lernen hat Vorteile in politischer Kommunikation: Wortgleich | |
wiederholte Botschaften prägen sich besser ein. Auch: Der Satzbau ist klar. | |
Weil formuliert freier, komplex, verhaspelt anfangs. Das Gesagte | |
verflüchtigt sich schneller. Hat aber auch was für sich: Es gibt keine | |
Dissonanz zwischen Worten und Mimik. Das fällt vor allem daheim auf, beim | |
entspannten Zugucken. Im Forum auf [1][ndr.de] werden mehrere Einträge | |
McAllister sein Lächeln als Arroganz auslegen. Ganz falsch, verteidigen ihn | |
dort seine Anhänger. Das wirke nur wegen der Kameraführung so. | |
Weil wirkt mitunter tapsig, aber das komplett, also: ganzheitlich. | |
Schauspielern kann er genauso wenig wie McAllister. Aber er scheint’s auch | |
gar nicht zu wollen. Und wenn Weil mit kleinen Einwürfen den bisherigen | |
Amtsinhaber piesackt, und der die Fassung verliert, dann durchzuckt eine | |
diebische Freude den ganzen Mann: Drittletzter sei Niedersachsen beim | |
Kindergartenausbau, erinnert Hannovers Oberbürgermeister in einer der | |
langen Atempausen McAllisters, der versucht, wieder die Spur zu kriegen, | |
–Wie alle Flächenländer sind wir – …Drittletzter!, flötet Weil, | |
– Wir sind… | |
– …Drittletzter!“ | |
Unsere Ausbaudynamik … | |
„Beides stimmt“, deeskaliert Cichowicz. Er hat die Gnade der tiefen Stimme. | |
Das macht es Cichowicz so leicht, fast zu leicht, die beiden Kontrahenten | |
zu trennen. Die sind Tenöre, und während Weil stärker moduliert, aber die | |
Laute recht laryngal bildet, rettet sich McAllister von Wortinsel zu | |
Wortinsel. „Betrifft beide“, twittert @powerphil um 21.35 Uhr: „Vielleicht | |
hätte man auch die Betonung auswendig lernen sollen“. | |
Früher wäre jetzt Cohiba geraucht worden, vielleicht getanzt. Stephan Weil | |
lehnt am Stehtisch, Rücken ans Treppengeländer, süppelt am Glas Gilde, ihm | |
gegenüber ein tiefenentspannter Chef der Landtagsfraktion. Stefan Schostok | |
soll ihn als Oberbürgermeister beerben. Jetzt lobt er Weil, übt | |
konstruktive Kritik, Weils Blick geht nach innen, er hört nur mit halbem | |
Ohr zu, versonnen. Hätte er wirklich zu streng geguckt? „Und dann dacht’ | |
ich“, sagt Schostok, „jetzt bitte, bitte, lächle doch.“ | |
11 Jan 2013 | |
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