# taz.de -- SPD-Spitzenkandidat in Niedersachsen: Weil, den keiner kennt | |
> Ein spröder Typ mit Bilderbuchkarriere in der SPD. Das ist Stephan Weil. | |
> Bald könnte der 54-Jährige Niedersachen regieren. | |
Bild: Ein Drittel der Niedersachsen kennen ihn nicht. Deshalb nochmal für alle… | |
BRAUNSCHWEIG taz | Ein Mann mit einem Strauß Rosen pest im Stechschritt | |
über den Schlossplatz in Braunschweig auf eine Frau zu. „Alles gut? Am 20. | |
Januar wählen gehen“, ruft er, drückt ihr eine Blume in die Hand. Kaum | |
fasst sie die Rose, hastet er weiter zum Einkaufszentrum „Schloss-Arkaden“. | |
Sein roter Schal weht, der Tross aus Swingkapelle und Kamerateams kommt | |
kaum hinterher. „Wer war das denn?“, fragt ein irritierter Passant. „Unser | |
Spitzenkandidat“, raunt es aus der Entourage des Eiligen. | |
Der Mann mit den Rosen ist Stephan Weil. Noch ist er Oberbürgermeister von | |
Hannover. Bei der Landtagswahl am 20. Januar könnte der Sozialdemokrat | |
Ministerpräsident David McAllister (CDU) ablösen. Obwohl er zehn Tage vor | |
der Wahl noch einem Drittel der Niedersachsen unbekannt ist. Dennoch sehen | |
Umfragen eine Mehrheit für Rot-Grün. Das liegt vor allem an der Schwäche | |
der FDP. Die klebt seit Monaten unter 5 Prozent. Schafft Weil es, wäre er | |
quasi Zufalls-Ministerpräsident einer 30-Prozent-plus-x-SPD. | |
Damit das klappt, müht sich der 54-Jährige in einem Wahlkampf, der eher | |
betulich vor sich hin plätschert. An diesem Montag hat er von morgens | |
sieben bis abends um zehn Programm. Eine Stunde ist für die Aktion in | |
Braunschweig vorgesehen, dann geht es mit dem Zug nach Peine. Noch mehr | |
Rosen verteilen. Und Taschentücher mit dem Aufdruck „Nicht weinen, wählen�… | |
Weil nennt das „positiven Stress“. | |
Während in Berlin von der Kanzlerin über SPD-Kanzlerkandidat Peer | |
Steinbrück bis zu FDP-Chef Philipp Rösler „alle auf dem Seil tanzen“, wie | |
Weil es formuliert, fehlt in Niedersachsen das wirkliche Streitthema. Und | |
die klare Konfrontation. | |
Amtsinhaber McAllister geht Weil aus dem Weg. Er will seinem Herausforderer | |
keinesfalls zu Aufmerksamkeit verhelfen. Nur beim TV-Duell treffen sie | |
heute aufeinander. Auch deshalb tingelt Weil seit Monaten durchs Land. | |
Zuletzt schaffte es seine Forderung, Banken die Lizenz zu entziehen, wenn | |
sie Steuerhinterzieher decken, immerhin bundesweit in die Medien. | |
## Der große Auftritt ist nicht seins | |
Aber der große Auftritt, locker zu wirken, das ist nicht so seins. Der | |
Jurist mit jahrelanger Verwaltungskarriere ist ein spröder, eher in sich | |
gekehrter Typ. Wenn er es versucht, wirkt er schnell ein bisschen | |
übereifrig. „Ungefiltert“ wolle er den Menschen begegnen, sagt er in | |
Braunschweig. Er stürzt sich auf alle, die er sieht – vergisst aber, sich | |
vorzustellen. Er sei „absolut sicher“, dass man ihn erkennt, sagt Weil. | |
Auch sonst läuft einiges schief, seit die Niedersachsen-SPD ihn vor über | |
einem Jahr per Urwahl zum Spitzenkandidaten kürte. Schon da setzte er sich | |
nur knapp gegen seinen Kontrahenten Olaf Lies durch, ein SPD-Quereinsteiger | |
und Parteilinker. Weil dagegen ist ein Bilderbuch-Funktionär: Über 30 Jahre | |
SPD-Mitglied, Juso-Chef in Hannover, Ministerialrat zu Schröder-Zeiten, | |
neun Jahre Stadtkämmerer, dann Oberbürgermeister in Hannover, wo Rot-Grün | |
seit 1986 regiert. Gerhard Schröder nennt er ein Vorbild, im Wahlkampf | |
treten sie zusammen auf. | |
Weil war Wunschkandidat von Bundeschef Sigmar Gabriel und | |
Bundestagsfraktions-Vize Hubertus Heil. Mit der Hilfe von oben hat er sich | |
an der Basis durchgesetzt. | |
Im Mittelpunkt steht er dennoch selten. Kaum war Weil Spitzenkandidat, | |
meldete Doris Schröder-Köpf Ambitionen auf ein Landtagsmandat an – prompt | |
stand nicht er im Blitzlicht, sondern die Altkanzlergattin. Dann wurde ewig | |
über den Kanzlerkandidaten der Partei diskutiert – und nicht über Weil. Der | |
drängte, die Frage früher als geplant zu klären, versprach sich | |
„Rückenwind“. Jetzt hat er Steinbrück am Hals. Nun droht am Freitag auch | |
noch seiner Frau die Abwahl als Präsidentin der Hochschule Hannover: | |
Studierende wie Lehrende werfen ihr einen autoritären Führungsstil und | |
schlechte Finanzplanung vor. „Familiendrama in Niedersachsen“ titelt das | |
Handelsblatt. | |
Immerhin: Weil weiß die Querschläge für sich zu nutzen. Schröder-Köpf hat | |
er als künftige Integrationsbeauftragte auserkoren. Seither gibt sie ihre | |
Interviews nicht nur in eigener Mission, sondern für Weils Team. Seine Frau | |
lobt er für ihren „aufrechten Gang“ im Hochschul-Streit. Und neben dem | |
angeschlagen Steinbrück wirkt mittlerweile selbst der spröde Niedersachse | |
bei gemeinsamen Auftritten geradezu lebendig. | |
## Optimistisch, nicht siegesgewiss | |
So kann er sich im Zug von Braunschweig nach Peine entspannt in den Sitz | |
lehnen, als die Journalisten nach dem Kanzlerkandidaten fragen. Dem hatte | |
Weil jüngst noch ein „ausgeprägtes soziales Gespür“ attestiert. Jetzt gi… | |
der bekennende Biertrinker und „Tatort“-Gucker den Gegenentwurf zu | |
Steinbrück, nennt sich einen „Normalo“, der immer mit seinem Gehalt | |
ausgekommen sei. Und das werde „auch mit meinem künftigen Salär so sein“. | |
Die Steinbrück-Debatte, glaubt Weil, sei für Niedersachsen ohnehin kein | |
Thema. „Das perlt an uns ab.“ | |
Zugleich fehlt ihm selbst das Thema, das durchdringt. Er setzt auf | |
„Bildung, Familie, Qualifizierung“, also striktes SPD-Programm: Mehr | |
Kinderbetreuung, mehr Gesamtschulen, Abschaffung der Studiengebühren, und | |
alles unter Finanzierungsvorbehalt, wie es sich für einen Ex-Stadtkämmerer | |
gehört. Beim Thema Betreuungsgeld wird Weil noch am emotionalsten. Das | |
liegt ihm: In Hannover hat er einst die Krippe mitgegründet, die sein Sohn | |
besuchte. | |
Entsprechend blickt Weil auch auf den 20. Januar pragmatisch: Er sei | |
„optimistisch, nicht siegesgewiss“, sagt er und hält sich neben Rot-Grün | |
alles offen. Auch eine große Koalition? Damit beschäftige er sich derzeit | |
nicht, erklärt er. An „Ausschließeritis“ aber leide er nicht. Er ist halt | |
ein bekennender Pragmatiker. | |
10 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Teresa Havlicek | |
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