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# taz.de -- Flüchtlinge im Libanon: Bei Kälte und Schnee im Zelt
> Der harte Winter im Nahen Osten erschwert das Leben syrischer Flüchtlinge
> in den Lagern. Eine Alternative haben sie nicht.
Bild: Zwischen den Flüchtlingszelten ist der Schnee einen halben Meter hoch
DALHAMIEH taz | Bis sich die Augen vom gleißenden Schnee auf den
umliegenden Feldern an das schummrige Licht im Zelt gewöhnt haben, sieht
man nur Schemen. „Komm rein! Komm rein!“, sagt die 80-jährige Syrerin und
zeigt auf den kleinen, warmen Ölofen, der in der Mitte des Zelts steht.
Nachdem alle ihre Schuhe ausgezogen haben und sitzen, enthüllt ein breites
Lächeln die wenigen Zähne, die sie noch hat. „Ich heiße Thaljeh. Ich wurde
an einem schneereichen Tag geboren.“ Thaljeh, arabisch für „Schnee“, ist
eine von knapp tausend syrischen Flüchtlingen, die im hochgelegenen
Bekaa-Tal in einer Zeltstadt wohnen.
Unweit vom Camp sieht man die weißen Gipfel des Anti-Libanon-Gebirges in
den tiefhängenden Wolken verschwinden. Dahinter liegt Syrien. Thaljeh ist
sich der Ironie ihres Namens nur zu bewusst. „Wir waren glücklich in
Syrien. Dort waren die Winter ähnlich, aber wir hatten ein Haus“, sagt sie.
Zusammen mit ihrem Ehemann und zehn Kindern lebte sie Homs. Ihr Mann
arbeitete bis ins hohe Alter als Schafhirte. Als ihre Kinder genug Geld
verdienten, übernahmen sie die Versorgung. Trotzig blickt sich Thaljeh in
ihrem neuen Zuhause um. „Ich hätte nie gedacht, dass ich ein Mal unter
solchen Umständen leben müsste“, sagt Thaljeh.
## Unter Plastikplanen und Kartoffelsäcken
Die Zelte bestehen aus Plastikplanen und zusammengenähten Kartoffelsäcken.
Auf dem Betonfundament liegen ein dünner Teppich und Matratzen. Zwischen
den Zelten ist der Schnee einen halben Meter hoch. Tagsüber schmilzt er und
sickert in die Zelte. Nachts fallen die Temperaturen weit unter den
Gefrierpunkt.
Eine Wohnung können sich die Menschen hier nicht leisten. Vergangene Woche
zog der schlimmste Sturm seit 25 Jahren über den Libanon hinweg. Bis an die
Strände Beiruts fiel Schnee und Hagel. Viele Landesteile wurden durch den
Schneefall von der Außenwelt abgeschnitten. Mehrere Menschen starben und
Dutzende wurden verletzt.
„Der Sturm war schrecklich“, sagt Thaljeh und das Lächeln weicht aus ihrem
Gesicht. „Wir waren im Zelt gefangen und der Wind und Regen war so laut,
dass ich die ganze Nacht Angst hatte.“ Die Männer blieben nachts wach, um
den Schnee vom Zeltdach zu schieben und Kanäle um die Zelte zu graben.
Andere wurden von dem Sturm überrascht.
## Überschwemmte Zelte
Khaleds Zelt wurde am ersten Tag des Sturms vollstänig überschwemmt. Der
23-Jährige liegt auf einer klammen Matratze, die Decke bis ans Kinn
gezogen. Auf dem nackten Beton um ihn herum steht das Wasser. „Ich habe
keine andere Möglichkeit als hier zu bleiben. Ich muss das Zelt wieder
trocken kriegen.“
Die handbreiten Holzlatten, die das Dach stützen, sind von der Schnee- und
Wasserlast durchgedrückt. Seine Ehefrau Nesrine ist zu ihren Eltern ins
Zelt gezogen. Ihre einjährige Tochter wurde in der Nacht der Überschwemmung
wie die meisten Kinder im Lager krank. Auch eine Woche später hat sie noch
Fieber.
Fehlende medizinische Betreuung, Kälte und schlechte Ernährung erschweren
die Genesung. „Wir schliefen, als das Zelt überflutet wurde. Wir wachten
erst auf, als alles nass war,“ sagt Nesrine. Die 19-Jährige sitzt auf einer
Matratze am Rand des Zelts. Ihr violettes Gewand spannt über ihrem Bauch.
Sie ist im sechsten Monat schwanger.
Wenn das Kind ein Junge wird, soll es Mahmoud heißen. Zur Ehre ihres
Schwagers, der im Krieg in Syrien getötet wurde. „Ich habe Angst, mein Kind
in diesen Umständen großzuziehen“, sagt sie. „Es mangelt uns am
Notwendigsten.“ Ihre Eltern und fünf Geschwister sitzen um sie herum.
Nachts teilen sie sich vier Wolldecken.
## Die UN zahlt 30 Dollar pro Monat
Jedes Familienmitglied erhält vom Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen 30
Dollar pro Monat. Damit müssen sie alle ihre Ausgaben decken. Doch schon
der Schulbus kostet monatlich knapp 20 Dollar. Für ihr Zelt zahlt die
Familie im Monat knapp 30 Dollar. Heizmaterial und ein wenig Elektrizität
am Abend kosten extra.
Ihre spärlichen Mahlzeiten aus Reis, Kartoffeln und Bulgur bereitet
Nesrines Mutter in einem abgetrennten Bereich zu. Hosn zeigt einen
Gaskocher, ein paar Metall- und Plastikschüsseln und Töpfe. Tapfer lächelt
sie. Der Schlafraum ist kahl, aber aufgeräumt. Die Küche hingegen scheint
unmöglich sauber zu halten. In den Ritzen des Betonbodens verfängt sich
Dreck.
Die Feuchtigkeit verwandelt alles in Matsch. „Wir haben Ratten und Mäuse
hier“, sagt die 34-Jährige und zeigt auf die Kochecke. „Sie kommen in die
Zelte und fressen die Essensreste.“
## Der Winter dauert bis Ende März
Zwei Meter dahinter teilt eine dreckig-weiße Plastikplane den Raum. „Hier
waschen wir uns“, sagt Hosn und zieht die Plane zur Seite. Ein Dutzend
Plastikeimer stehen in der Ecke eines Raums. Im Boden klafft handgroß ein
Abfluss im Beton. Um sich zu duschen, erhitzen sie Wasser. In dem Raum
herrscht die gleiche Temperatur wie draußen.
Der Winter im Bekaa-Tal dauert mindestens bis Ende März, wobei die
Schneeschmelze die Situation noch verschlimmern wird. Wann sie zurück nach
Syrien können, darauf hat Nesrine keine Antwort. Ihr Blick wandert zu ihrer
kranken Tochter, die in eine Decke gewickelt ihr gegenüber liegt und zuckt
mit den Achseln. „Es ist immer noch sicherer als in Syrien.“
16 Jan 2013
## AUTOREN
Raphael Thelen
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Flüchtlinge
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