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# taz.de -- Debatte Wahlen in Israel: Optimismus, trotz allem
> Auch wenn die Rechte die Knesset-Wahlen am Dienstag gewinnt und die Linke
> marginalisiert ist: Israel bleibt eine liberale Demokratie.
Bild: Die Sehnsucht nach einfachen Lösungen für komplexe Probleme lässt so m…
Der bemerkenswerteste Aspekt des jetzigen israelischen Wahlkampfs ist die
Tatsache, dass Meretz die einzige Partei ist, die es wagt, sich links zu
nennen, während die Vorsitzende der Arbeitspartei, Schelly Jachimowitsch,
alles daransetzt zu beweisen, dass ihre Partei nicht links ist und niemals
links war.
Israels politisches System scheint völlig aus dem Gleichgewicht geraten zu
sein: Es gibt eine sehr starke Rechte, ein vergleichsweise schwaches
Zentrum und eine praktisch nicht existente Linke. Kann es so weit kommen,
dass die israelische Demokratie kollabiert und ein nichtliberales, extrem
rechtes Regime das Land regiert?
Diese Aussicht beunruhigt viele liberale Israelis: Man hört sie in privaten
Gesprächen, die Seiten der Tageszeitung Ha’aretz sind voll mit Artikeln
über die Bedrohung der israelischen Demokratie. Es wäre gut, einmal
leidenschaftslos an diese Frage heranzugehen.
## Konflikt ohne Lösung
Psychologische Forschung hat seit dem berühmten
Kognitiven-Dissonanz-Paradigma der 50er Jahre wieder und wieder gezeigt,
dass Menschen anhaltende Konflikte nicht lange ertragen können. Besitzen
wir zwei sich widersprechende Überzeugungen, müssen wir ab einem bestimmten
Punkt eine von ihnen ändern, weil wir die kognitive Dissonanz nicht
ertragen.
Israelis sehen sich nun einer anhaltenden, grundlegenden Dissonanz zwischen
zwei Überzeugungen gegenüber: Die meisten von ihnen denken, dass Israel
einerseits demokratisch und ein jüdischer Staat sein sollte – und dass es
andererseits keine Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt
gibt, die nicht bestimmte Risiken für die israelische Sicherheit mit sich
bringt.
Es ist geradezu ein Markenzeichen der israelischen Linken, diesen Konflikt
stark zu betonen. Sie hat den Israelis erzählt: „Wenn Israel am
Westjordanland festhält, wird es entweder nicht mehr jüdisch oder nicht
mehr demokratisch sein können – und deshalb müssen wir ein gewisses
Sicherheitsrisiko eingehen.“ Der jetzige Wahlkampf zeigt, dass die Israelis
es nicht mehr ertragen, dies zu hören.
Wie löst die Mehrheit der Israelis die Dissonanz zwischen zwischen „jüdisch
und demokratisch“ und „das Westjordanland behalten“? Eine detaillierte
Untersuchung aus dem letzten Jahr zeigt, dass die Israelis bereit sind, die
Demokratie zu beschneiden – und zwar sowohl für Araber als auch für die
linke Kritik an Israel. So lösen sie die kognitive Dissonanz auf. Viele
Israelis möchten, dass die Linke einfach die Klappe hält. Sie wollen nicht
länger mit einem Konflikt konfrontiert werden, von dem sie nicht wissen,
wie sie ihn lösen sollen.
## Schwarz-Weiß-Wahrheiten
Natürlich ist das gefährlich für die israelische Demokratie. Die Auflösung
einer kognitiven Dissonanz führt oft zu regressiven Formen des Denkens. Die
Sehnsucht nach einfachen Lösungen für komplexe Probleme kann den Wunsch
nach einem starken Führer mit sich bringen, dem blind gefolgt werden kann.
Sie ist auf Schwarz-Weiß-Wahrheiten angewiesen, oft auf eine Ideologie, die
die Nation, das Volk und dessen Verbindung zum Land verherrlicht. Im Europa
des 20. Jahrhunderts geschah dies gleich mehrere Male: Länder wie Italien,
Deutschland oder Griechenland durchliefen Zeiten nichtdemokratischer
Regimes, als sie nicht in der Lage waren, ihre inneren und äußeren
Konflikte zu lösen.
Steht auch Israel vor einer solchen Periode? Sollte etwa der äußere Druck
auf Israel steigen oder sich die Sicherheitslage verschlechtern, könnte die
Sehnsucht nach einfachen Lösungen zu einer Gesetzgebung führen, die die
Meinungsfreiheit und die akademische Freiheit beschneidet. In der letzten
Legislaturperiode gab es bereits solche Versuche.
Dennoch bin ich optimistisch: Die nächste Knesset wird einen ansehnlichen
linken Block haben, und es bleibt zu hoffen, dass Jachimowitsch, Tzipi
Livni (Hatnua-Partei) und Yair Lapid (Partei „Es gibt eine Zukunft“)
verstehen werden, dass es zu ihren Pflichten gehört, sich jeder
Gesetzgebung, die die liberale Grundordnung gefährdet, entgegenzustellen –
ob als Teil einer neuen Regierung oder der Opposition.
Auch langfristig bin ich für die israelische Demokratie aus einem einfachen
Grund optimistisch. Israels Antiliberale haben keinen gemeinsamen Nenner
außer der Dämonisierung der Linken und dem Hass auf die Araber. Die Agenda
von Avigdor Lieberman ist grundsätzlich säkular, wohingegen Ultraorthodoxe
und Teile des nationalreligiösen Lagers eine Theokratie anstreben. Sie
werden nicht in der Lage sein, sich hinter einer gemeinsamen Agenda zu
sammeln und wahrscheinlich auch nicht hinter einem einzigen Anführer.
Darüber hinaus werden die verschiedenen religiösen Fraktionen feststellen,
dass sie nicht einmal einen Konsens erreichen können, was für ein
religiöses Regime sie wollen.
## Liberalen Zionismus retten
Sie werden deshalb herausfinden, dass sie paradoxerweise keine Alternative
zur liberalen Demokratie haben. Schließlich wurde dieses System genau dafür
erfunden, um Gruppen mit verschiedenen Überzeugungen zu ermöglichen, im
selben Gemeinwesen zu leben, ohne sich permanent im Kriegszustand zu
befinden. Die Frage ist, wie Israels Wähler überzeugt werden können, dass
es wert ist, Risiken einzugehen, um Israel als das demokratische Heimatland
der Juden zu erhalten und das liberale zionistische Projekt zu retten.
Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass noch immer zwei Drittel der israelischen
Bevölkerung ein Abkommen mit den Palästinensern befürworten würden, das
Israels Sicherheit garantiert, und dass sie sogar bereit wären, unter
dieser Bedingung Jerusalem zu teilen. Dies entspricht früheren
Umfrageergebnissen. Das überraschende Resultat der neuen Befragung ist
aber, dass auch 57 Prozent der Wähler von Likud-Beitenu und Habajit
Hajehudi ein solches Abkommen unterstützen, obwohl Habajit Hajehudi
explizit die Annektion weiter Teile des Westjordanlandes fordert.
Das zeigt, dass die meisten Israelis, die die Rechten wählen, dies eher aus
Furcht um ihre Sicherheit tun denn aus ideologischen Gründen. Die große
Herausforderung für das Friedenslager besteht darin, die Israelis zu
überzeugen, dass es sichere Wege gibt, ein solches Abkommen zu erreichen
und umzusetzen.
19 Jan 2013
## AUTOREN
Carlo Strenger
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Israel
Wahlen
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