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# taz.de -- Piratenpartei im Wahljahr: Querelen mit System
> Nach dem Niedersachsen-Desaster macht die Transparenzpartei wieder von
> sich reden. Leider nicht mit politischen Inhalten.
Bild: Wenigstens der liegt ruhig im Wind: ein Piratenluftballon.
BERLIN taz | Neue Geschlossenheit – so lautete die Parole von Parteichef
Bernd Schlömer am Morgen nach dem Wahldebakel der Piraten in Niedersachsen.
Eine bemerkenswerte Strategie. Musste er nicht ahnen: Piraten und Harmonie,
das kann kaum klappen? Inzwischen ist Schlömers Appell schon Geschichte.
Verantwortlich dafür: ausgerechnet Johannes Ponader, jener
Vorstandskollege, der am Montag bei der Pressekonferenz zur missglückten
Landestagwahl mit Schlömer in Berlin auf dem Podium saß.
Ob es personelle Konsequenzen wegen des Flops in Niedersachsen geben werde,
hatte ein Journalist von Schlömer wissen wollen. Der Parteichef verneinte:
Er werde „durchhalten bis zur Bundestagswahl“. Johannes Ponader,
Politischer Geschäftsführer der Piraten, sparte sich einen ausdrücklichen
Widerspruch. Den holte er am Dienstagabend nach. In einem Piraten-Podcast
rechnete er mit der Arbeitsweise des Parteivorstands ab – und plädierte
nebenbei für eine Neuwahl des Gremiums noch vor der Bundestagswahl.
Geschlossenheit nach Piratenart also.
Stunden später lästert der [1][Berliner Parteipromi Martin Delius auf
Twitter]: „Wie ist da die Sachlage? Darf man den BuVo jetzt öffentlich
kritisieren oder fällt das wegen dieser Geschlossenheit aus?“ Und [2][Klaus
Peukert, Beisitzer im Bundesvorstand, twittert] ratlos: „In welcher
Parallelwelt sind fehlende Personaldebatten schuld am aktuellen
Parteizustand und eine solche Debatte Lösung für irgendwas?“
Die Geschichte ist mehr als eine Anekdote vom Deck des Narrenschiffs. Sie
erzählt eine Menge über die Piratenpartei 2013 – und über die Verlogenheit
der Öffentlichkeit im Umgang mit den Neuen im Parteiensystem.
## Transparenz oder Harmoniesoße
Dass Johannes Ponader einigen der Vorstandskollegen in seiner jüngsten
Abrechnung ausgerechnet intransparentes Gebaren vorhält, ist kein Zufall.
Die Forderung nach mehr Transparenz im Politikbetrieb ist eines der
Leitmotive der Partei – und eines ihrer großen Probleme. Die Piraten haben
sich zu Zoff vor großem Publikum verdammt. Vor gut einem Jahr noch wurden
sie genau deshalb von den Medien gehypt und als innovativ gehandelt. Sie
übertrugen ihre Fraktionssitzungen per Livestream im Netz, protokollierten
Sitzungen des Bundesvorstands in Echtzeit im Internet mit, taten selbst
kontroverseste Standpunkte freimütig kund – und ließen die Konkurrenz für
einen Moment lang ganz schön alt aussehen.
Nur hielt die positive Resonanz nicht lange. Denn hinter den geöffneten
Türen ging es wild zur Sache. Eigentlich keine Überraschung: Zur Politik
gehört auch der Streit um Positionen und Personen. Offenheit macht aus
einer Partei keinen Meditationskreis. Transparenz und perfekt
choreografierte Harmonieshows schließen sich aus. Doch in der alltäglichen
Berichterstattung über die Piraten ist davon selten die Rede.
Mit ihrer Transparenz machen sich die Piraten zur leichten Beute: täglich
neue Streitereien, mundgerecht serviert. Welcher Journalist kann da
widerstehen? Ein Dilemma, aus dem es für die Piraten kaum einen Fluchtweg
gibt. Entweder sie stehen forsch zu ihrer Andersartigkeit. Oder sie hängen
das mit der neuen Transparenz ganz schnell tiefer.
## Transparenz braucht Professionalität
Das mag klingen, als habe Parteichef Bernd Schlömer mit seinem
Geschlossenheitspostulat alles falsch und sein Parteifreund Johannes
Ponader alles richtig gemacht. Die Sache ist aber komplizierter. Wann immer
Piraten gelebte Transparenz versprechen oder fordern, gibt es ein
grundsätzliches Problem. Mit dieser gelebten Transparenz ist es wie mit der
gelebten Demokratie. Prinzipiell sind alle dafür, aber niemand weiß so ganz
genau, was eigentlich gemeint ist. Was der eine für supertransparent hält,
empfindet der nächste schon als Mobbing.
Ein offenerer politischer Prozess erfordert von allen Beteiligten maximale
Professionalität im Umgang miteinander. Davon kann bei den Piraten keine
Rede sein. Im Gegenteil.
Als Außenstehender fragt man sich schlicht: Warum lässt Ponader seinen
Parteifreund Schlömer den Geschlossenheitsappell in die Welt setzen und
führt ihn einen Tag später vor? Warum klären Schlömer und Ponader so eine
Sache nicht, bevor sie sich am Montagmorgen gemeinsam vor die Presse
setzen? Schließlich ist die Frage zu personellen Konsequenzen nach einer
Wahlniederlage Teil des journalistischen Standardrepertoires.
## Befindlichkeiten überdecken Programmatik
Viele in der Partei sind enttäuscht, dass ihre progressive Programmatik in
den Medien so wenig Platz findet und die Journalisten sich stattdessen auf
die Personalquerelen stürzen. Dabei übersehen sie, dass einige Piraten ohne
Not zu diesem Missverhältnis beitragen. Auch Piraten ist in keiner
Geschäftsordnung vorgeschrieben, sämtliche innerparteilichen Zwistigkeiten
sofort auf Twitter, in stundenlangen Podcasts oder persönlichen Blog-Posts
auszubreiten.
Die Piratenpartei ist in ihrer vielleicht schwierigsten Phase. Und was
macht deren Politischer Geschäftsführer? Er denkt laut darüber nach, sein
Amt womöglich noch vor der Bundestagswahl niederzulegen, und referiert
nebenbei seine Befindlichkeit als Mitglied des Bundesvorstands: „Ich muss
persönlich gucken, inwieweit ich in den derzeitigen Strukturen das Gefühl
hab, ich kann meine Arbeit sinnvoll und gut machen.“ Und, na ja: „Derzeit
habe ich das Gefühl nicht.“ Andere reden so mit ihrem Therapeuten.
Schweigen zur rechten Zeit muss weder intransparent noch uncool sein. Klar,
die Piratenpartei steht auch für den Mut zum Laientum in einer erstarrten
Parteienlandschaft. Aber wer überfällige Schritte der innerparteilichen
Professionalisierung mit Spießertum oder gar Selbstverleugnung verwechselt,
der wird im Bundestag nicht glücklich.
## Piraten brauchen Identifikationsfiguren
In der politischen Vorstellungswelt der Piraten ist dem Parteivorstand nur
eine Nebenrolle zugedacht. Er soll sich um Verwaltungsaufgaben kümmern und
ansonsten die Basis machen lassen. „Themen statt Köpfe“ heißt das Motto �…
jeder Parteipromi gilt als latente Gefahr für diesen idealistischen Ansatz.
In einer Talkshow-Demokratie kann dieses Konzept nicht funktionieren.
Ausgerechnet der Bundesvorstand der Piraten hat ein weitreichendes
programmatisches Vordenkverbot. Ein erfahrener Pirat wie Schlömer darf also
weniger zur Kursfindung seiner Partei beitragen als jedes Neumitglied. Und
das hat eine groteske Konsequenz: Das Einzige, was von den Piraten nach
außen dringt, sind ihre Querelen.
24 Jan 2013
## LINKS
[1] http://twitter.com/martindelius
[2] http://twitter.com/klauspeukert
## AUTOREN
Astrid Geisler
## TAGS
Piratenpartei
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Schwerpunkt Landtagswahlen
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