# taz.de -- Debatte Berlusconis Wiederkehr: Die anarchistische Rechte | |
> Silvio Berlusconi ist wieder da. Sein Erfolg ist die Folge davon, dass | |
> die Konservativen hier schon immer staatsfeindlicher waren als die | |
> Linken. | |
Bild: Da stimmt doch was nicht! Berlusconi gibt schon wieder ein Zeichen von si… | |
Verwundert reibt auch Italien sich die Augen. Da ist er wieder, gut | |
gelaunt, quietschfidel, mit langsam, aber stetig steigenden Umfragewerten. | |
Er, der noch vor ein paar Wochen als nunmehr wirklich und definitiv | |
erledigt galt, schien dazu verdammt, der Abkehr von fast 20 Jahren | |
Berlusconismus ohnmächtig zuzusehen. Die Zeit schien reif für die neue | |
Nüchternheit im Zeichen Mario Montis. Endlich schien das bisher in Italien | |
Undenkbare möglich: dass eine seriöse, konstitutionelle Rechte die bisher | |
dominierende populistische Rechte an die Seite drängen werde. | |
Und jetzt? Jetzt hat sich das Bild gedreht. Gut vier Wochen vor den Wahlen | |
am 24. und 25. Februar klebt das Monti-Lager in allen Umfragen bei 15 | |
Prozent, die Berlusconi-Allianz dagegen, in die sich auch die | |
rechtspopulistisch-fremdenfeindliche Lega Nord brav wieder einreihte, | |
marschiert auf 30 Prozent zu. Einigermaßen hilflos sind die Erklärungen, | |
die jetzt wieder bemüht werden angesichts dieser erneuten, der x-ten | |
politischen Wiederauferstehung Berlusconis. | |
Gewiss, das Fernsehen: Seit Dezember sind die Italiener unter | |
Silvio-Dauerbeschuss, insgesamt an die 70 Stunden lang konnten sie den | |
begnadeten Erzähler auf dem Schirm bewundern. Gewiss, das Verkaufstalent: | |
Silvio Berlusconi kann Wahlkampf wie kein anderer in Italien, angefangen | |
bei der Gabe, auch grobe Lügen zu erzählen, ohne je zu erröten. | |
## Berlusconis Werte | |
Und dann wäre da noch die „genetische Mutation“ Italiens, die viele | |
Berlusconi-Gegner in ihrer Hilflosigkeit bemühen, um die bleibende | |
Attraktivität des doch eigentlich Entzauberten zu erklären: In den letzten | |
20 Jahren, so die These, habe Berlusconi die italienische öffentliche | |
Meinung eben völlig auf seine Werte, seine Standards, sein | |
Kommunikationsmodell zugerichtet. | |
Ein doppelter Blickwechsel könnte womöglich helfen, bei der Erklärung der | |
politischen Unsterblichkeit Berlusconis weiterzukommen: erstens ein | |
Blickwechsel weg von dem vermeintlich finster-genialen Kandidaten, hin zu | |
seinen Wählern, und zweitens ein Blickwechsel weg von dem angeblichen | |
Epochenbruch vor 20 Jahren, hin zu den großen Kontinuitätslinien in den | |
Einstellungen der italienischen Wählerschaft. | |
Es waren US-Politologen wie Gabriel Almond und Sidney Verba, die in den | |
50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts auszogen, um die Civic Culture in | |
Italien zu erforschen, die Einstellungen der Bürger zu Staat und | |
Gemeinwesen, ihr Vertrauen in die Institutionen, ihre Bereitschaft zur | |
Partizipation. Überzeugt, sie würden dort ein zweites Weimar finden, mit | |
einer allzu starken Kommunistischen Partei und mit den Demokraten in der | |
Defensive, stießen sie auf ein paradoxes Resultat. Ausgerechnet die Wähler | |
der KPI nämlich waren jene, die am ehesten dem demokratischen Prozess und | |
den Institutionen vertrauten, die am ehesten auch bereit waren, aktiv zu | |
partizipieren. | |
Die Wähler der regierenden Democrazia Cristiana und ihrer kleinen | |
Koalitionspartner dagegen? Bei ihnen herrschte Misstrauen gegen „den Staat“ | |
vor, Passivität, eine Orientierung an engen Partikularinteressen: Weit | |
entfernt vom angelsächsischen Ideal des Citizen, war ein gut Teil von ihnen | |
vor allem willige Kundschaft von Klientelpolitik. | |
## Familienhorizont | |
„Amoralischen Familismus“ taufte ein weiterer US-Politologe, Edward | |
Banfield, dieses Einstellungsmuster. Er meinte damit einen Wertehorizont, | |
der just bis zum Rand der eigenen Familie reicht, während das Gemeinwesen | |
recht eigentlich als feindliches Terrain gilt, als Terrain, auf dem man mit | |
Gesetzen und Steuerforderungen traktiert wird, als Terrain aber auch, auf | |
dem es per Kontakt zu den „richtigen“ Politikern Klientelgeschenke | |
abzugreifen gilt. Das Vorherrschen solcher Einstellungsmuster erklärt, | |
warum auf der politischen Rechten in Italien immer anarchoide, eher | |
„staatsfeindliche“ als „staatstragende“ Haltungen dominierten. | |
Und heute? Auch heute noch macht der Wahlforscher Ilvo Diamanti weite Teile | |
der Wählerschaft aus, die zwar, bitte schön, vom Staat geschützt werden | |
wollen, ihm zugleich aber weiterhin tiefes Misstrauen entgegenbringen. Über | |
Jahrzehnte bediente die Democrazia Cristiana an der Regierung diese | |
Einstellungen, wirkte zugleich aber auch mäßigend auf diesen recht großen | |
Teil ihrer Wählerschaft. Als sie dann Anfang der 90er Jahre des letzten | |
Jahrhunderts unter der Last zahlreicher Korruptionsskandale zusammenbrach, | |
war es Berlusconi, der die entstandene Lücke füllte – ganz ohne | |
Epochenbruch. | |
## Linkes Schreckgespenst | |
Einen Bruch vollzog er nur in einem, allerdings durchaus relevanten Punkt. | |
Anders als die italienischen Christdemokraten appellierte er offen und | |
ungeniert an den amoralischen Familismus, heizte er die feindselige Haltung | |
gegenüber dem Gemeinwesen offensiv an, ja lebte er sie mit seinen Prozessen | |
wegen Steuerhinterziehung, wegen schwarzer Auslandskonten oder | |
Bilanzfälschung geradezu exemplarisch vor. Millionen Wähler folgten ihm | |
begeistert – und diese Millionen erblicken in Mario Monti alles andere als | |
eine attraktive Alternative zu Berlusconi. | |
Ihnen reicht es, dass ein Wahlsieg der Linken droht, um sie erneut zu | |
mobilisieren. Und ihnen reicht, dass Berlusconi seinen Wahlkampf mit dem | |
Versprechen „Steuern runter“, vor allem mit dem Slogan „Weg mit der | |
Grundsteuer!“ führt. Zukunftsentwürfe für die italienische Gesellschaft? An | |
denen haben sie in ihrer defensiv-misstrauischen Haltung keinen Bedarf. | |
Ihnen genügen die Zukunftsentwürfe der anderen – als Schreckgespenst, sei | |
es ein Monti, der ihnen für Blut, Schweiß und Tränen steht, sei es der | |
linke Spitzenkandidat Pierluigi Bersani, der mit einem „gerechten Italien“ | |
(heißt das nicht schon wieder: höhere Steuern und vor allem Bekämpfung der | |
endemischen Steuerhinterziehung?) droht. Mit dieser treuen Wählerschaft | |
kann Berlusconi diesmal zwar nicht auf Sieg hoffen, aber durchaus auf Platz | |
– und darauf, dass er der italienischen Politik zumindest als Störenfried | |
erhalten bleibt. | |
27 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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