# taz.de -- Salafismus unter Jugendlichen: „Nicht kompatibel mit Demokratie“ | |
> Warum werden junge Menschen Salafisten? Das muss überhaupt noch erforscht | |
> werden, sagt der Islamwissenschaftler Rauf Ceylan. | |
Bild: Wer da betet, ist auch Experten rätselhaft: salafistische Kundgebung in … | |
taz: Herr Ceylan, was sind Ihre Schlussfolgerungen aus einem Wochenende der | |
Befassung mit dem Salafismus? | |
Rauf Ceylan: Uns sind drei Sachen deutlich geworden. Erstens: Salafismus | |
ist eine Herausforderung, die interdisziplinär angegangen werden muss, von | |
den Sozialwissenschaften genauso wie von den Religionswissenschaften, aber | |
auch der Theologie. Ansonsten wird man dem komplexen Phänomen nicht | |
gerecht, weil man es nicht verstehen und analysieren kann. Zweitens – und | |
das ist meiner Meinung nach ein Armutszeugnis – gibt es keine empirischen | |
Untersuchungen. Wir sprechen zwar über Radikalisierungsprävention und | |
meinen damit eine Zielgruppe von 15- bis 25-Jährigen. | |
Aber um Präventionsmaßnahmen zu formulieren, fehlen uns die Erkenntnisse, | |
etwa aus biografischen Interviews, aus denen wir rekonstruieren können, | |
warum jemand in dieses Milieu abdriftet. Die dritte Erkenntnis der Tagung | |
ist, dass wir in der Radikalisierungsprävention zu Salafismus über keine | |
Erfahrung verfügen. Wenn ein junger Mensch in das Milieu abdriftet, ist das | |
kein Prozess, der von heute auf morgen beginnt. Es gibt viele Zeugen für | |
die Entwicklung. Aber niemand interveniert. | |
Woran liegt das? | |
Es fehlen beispielsweise Informationen, um das Phänomen einzuordnen. Nicht | |
jeder, der anfängt, den Islam zu praktizieren oder einen Bart zu tragen, | |
ist schließlich gleich ein Salafist! Aber mir scheint es da eine gewisse | |
Hilflosigkeit zu geben. Immerhin können viele beobachten, wie jemand sich | |
radikalisiert: die Familie, der Freundeskreis und vor allem die | |
Bildungseinrichtungen, also auch Lehrkräfte. | |
Wie viele Salafisten gibt es in Deutschland? | |
Das ist nicht geklärt. Es gibt nur Schätzungen, die sich im Bereich | |
zwischen 3.000 bis 5.000 bewegen. In Nordrhein-Westfalen soll sich die Zahl | |
im letzten Jahr verdoppelt haben. Auch die Reichweite der Salafisten ist | |
ungeklärt. Der Salafismus hat eine besondere Struktur. Er besteht aus losen | |
Netzwerken. | |
Es gibt Seminare und private Treffs in Wohnungen. Auch wenn ein junger | |
Mensch sich nicht in diesem Milieu bewegt, kann er mit ihm in Kontakt | |
kommen, etwa weil er die Antwort auf eine religiöse Frage sucht. Aber auch | |
die Zahl dieser Sympathisanten ist nicht erfasst. | |
Heißt Salafismus denn gleich radikal? | |
Es geht darum, wie diese Menschen zur Demokratie und zu Menschenrechten | |
stehen. Ich habe in diesem Fall eine andere Meinung als die | |
Sicherheitsbehörden, die nur beobachten, wer aktiv gegen die Demokratie | |
arbeitet und die zwischen puristischen und politischen beziehungsweise | |
jihadistischen Salafisten unterscheiden. | |
Man muss aber schon sagen, dass der Salafismus unabhängig von den | |
unterschiedlichen Typologien ein Weltbild vertritt, das nicht kompatibel | |
ist mit unseren demokratischen Werten. Die Frage ist, wie fließend die | |
Grenzen von einem Typ zum anderen sind. Es gibt keine starren | |
Demarkationslinien zwischen den puristischen, politischen und den | |
jihadistischen Salafisten. | |
Was kann dagegen unternommen werden? | |
Ich denke, dass da die Schulen die größte Aufgabe haben, nicht nur die | |
Gemeinden oder Jugendeinrichtungen. Die Akzeptanz der verschiedenen | |
Lebensstile kann dort vermittelt werden, weil sich verschiedene Kulturen | |
treffen. Es gibt ja schon lange die Diskussion zur interkulturellen | |
Pädagogik. Im Kultusministerium gab es sogar in den 1990er-Jahren | |
Beschlüsse dazu. Aber leider sind die nicht ausreichend realisiert worden. | |
Kann im Religionsunterricht etwas getan werden? | |
Der Religionsunterricht kann eine solide religiöse Grundbildung vermitteln. | |
Da kann es etwa um Tradition gehen, ein im theologischen Sinne nicht | |
negativ besetzter Begriff, wenn sie reflexive Religiosität zulässt. | |
Aufgeklärte Tradition steht für etwas Bewährtes und Gefestigtes, akzeptiert | |
Meinungspluralismus und schließt Radikalität im Grunde genommen aus. | |
Der Salafismus lehnt dagegen diese Tradition ab. Deshalb bekommen die | |
Eltern in der Regel als erste den Wandel ihrer Kinder zu spüren. Die jungen | |
Leute glauben, dass ihre Eltern gar keine richtigen Muslime sind. | |
Was kann die Schule noch tun? | |
In den gesellschafts und geisteswissenschaftlichen Fächern kann die | |
Vielfältigkeit unserer Gesellschaft vermittelt werden. Wir leben | |
schließlich in einer Gesellschaft, die auch ohne Muslime und Migranten in | |
sich selbst schon sehr vielfältig ist. Eigentlich geht es eher um Milieus. | |
Ein türkischer Homosexueller hat mit einem deutschen Homosexuellen viel | |
gemeinsam, genauso ein Katholik mit einem traditionellen Muslim, der jede | |
Woche das Freitagsgebet besucht. | |
29 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Anne Reinert | |
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