| # taz.de -- Arzt über Berufsethos und Ökonomie: „Wir haben zu viele Kranken… | |
| > Kein Arzt will seinem Patienten explizit schaden, sagt der | |
| > Chirurgie-Professor Stefan Post. Aber dann sind da diese Grauzonen. Und | |
| > die Zwänge. | |
| Bild: Dass es zu viele Kliniken gibt, traue sich kein Politiker zu sagen, meint… | |
| sonntaz: Herr Post, kann ein Patient heutzutage darauf vertrauen, dass es | |
| Ärzten ausschließlich um sein Wohl geht? | |
| Stefan Post: Die allermeisten Ärzte wollen sicher Schaden für den Patienten | |
| vermeiden. Aber die wenigsten Indikationen in der Medizin sind richtig oder | |
| falsch, schwarz oder weiß. Dazwischen liegt eine große Grauzone. Was in | |
| dieser Grauzone allerdings den Ausschlag dafür gibt, eine Therapie zu | |
| empfehlen oder nicht, das sind – leider – auch Anreize, die nicht nur | |
| patientenorientiert sind. | |
| Was sind das für Anreize? | |
| Die OECD-Statistiken zu Eingriffsfrequenzen liefern einen objektiven | |
| Vergleich: Wir Deutschen sind unter anderem Weltmeister im Herzkathetern, | |
| im Einsetzen von Hüftprothesen und Kniegelenken. | |
| Die Menschen werden älter, Gelenke verschleißen. | |
| Ja, aber das erklärt nicht, weshalb das in Deutschland so viel häufiger | |
| nötig sein soll als in allen anderen Industrienationen mit ebenfalls | |
| alternden Gesellschaften. | |
| Warum verordnen Ärzte so viele Operationen? Es heißt, im Gesundheitssystem | |
| muss gespart werden. | |
| Das Paradoxe ist: In Deutschland gibt es ein Überangebot an medizinischer | |
| Versorgung. Wir haben zu viele Krankenhäuser, zu viele Betten, zu viele | |
| Abteilungen, auch deswegen, weil kein Land, keine Kommune auf seine | |
| Einrichtungen freiwillig verzichtet. Das traut sich aber kein Politiker zu | |
| sagen. Anstatt Häuser dicht zu machen, was ehrlich und Aufgabe der Politik | |
| wäre, wurde vor etwa einer Dekade das Finanzierungssystem der | |
| Fallpauschalen eingeführt. Und dieses System ist darauf angelegt, | |
| Krankenhäuser pleite gehen zu lassen. | |
| Die Fallpauschalen vergüten Behandlungen nach Diagnose und nicht nach Dauer | |
| der Therapie. Das sollte dafür sorgen, dass Kliniken besser wirtschaften, | |
| indem sie Patienten nicht länger auf der Station behalten als nötig. Was | |
| ist daran schlecht? | |
| Die Daumenschrauben werden finanziell Jahr für Jahr enger gedreht, weil die | |
| Preise der Pauschalen immer mehr hinter den Kostensteigerungen der | |
| Krankenhäuser zurückbleiben. Es überleben nur diejenigen, denen es gelingt, | |
| immer effizienter zu werden, und das geht häufig nur über die Steigerung | |
| der Patienten- wie Eingriffszahlen. In dieser Gemengelage sagen sich manche | |
| Ärzte, na gut, dann empfehlen wir diese Kniespiegelung oder jene Operation | |
| eben doch, oder wir empfehlen sie früher als nötig, denn dem Patienten | |
| schadet sie nicht wirklich, aber dem Krankenhaus nützt sie. | |
| Und dem Chefarzt nützt sie auch – der wurde bislang leistungsabhängig | |
| bezahlt. Künftig soll es Bonusverträge nicht mehr geben. Reicht das aus? | |
| Die Änderung ist nötig, aber sie wird das System nicht verändern. Denn der | |
| ökonomische Druck existiert weiter, und der Chefarzt, der in künftigen | |
| Verträgen keine konkreten Eingriffszahlen mehr vorgegeben hat, weiß | |
| trotzdem: Schreibt seine Abteilung rote Zahlen, verliert er seinen Job. Das | |
| war vor 30 Jahren anders: Wer einmal Chefarzt war, hatte gute Chancen, dies | |
| sein Leben lang zu bleiben. Heute spüren Chefärzte den ökonomischen Druck | |
| unmittelbar – und reichen ihn weiter. | |
| Widerspricht Wirtschaftlichkeit dem Gedanken eines solidarischen | |
| Gesundheitssystems? | |
| Wirtschaftliche Effizienz ist kein Gegensatz zu guter Medizin, sondern eine | |
| Bedingung dafür. Als junger Arzt habe ich in Tansania im Entwicklungsdienst | |
| gearbeitet. Da habe ich hautnah erlebt: Wenn nur sehr wenig Geld insgesamt | |
| da ist, dann gibt es einen ethischen Zwang zur Effizienz. Dann muss man | |
| schauen, wie man mit begrenzten Mitteln möglichst vielen Menschen | |
| gesundheitlich helfen kann. Dieses Denken müssen wir in Deutschland erst | |
| noch lernen. | |
| Nicht alles, was medizinisch machbar ist, wird künftig noch bezahlbar sein? | |
| Bezahlbar muss bleiben, was medizinisch sinnvoll und notwendig ist. Das | |
| aber kontrolliert bei uns bislang kaum einer. In unserem Gesundheitssystem | |
| wird weder die Qualität der ärztlichen Entscheidung ausreichend überprüft, | |
| eine bestimmte Therapie anzuwenden, noch die Qualität der Ergebnisse. | |
| Warum nicht? | |
| Weil dafür bisher der politische Wille fehlt und weil es sich nicht lohnt. | |
| Honoriert wird vor allem die Menge. Das ist der größte Fehlanreiz, den wir | |
| haben. | |
| Herr Post, wie geht so was: Ärzte haben ein Berufsethos, sie wollen | |
| Menschen helfen, gesund machen – und dann verlieren sie diesen Fokus eines | |
| Tages aus den Augen? | |
| Ich bin überzeugt, dass das grundsätzlich und pauschal so nicht gilt. Es | |
| gibt bereits bei Medizinstudenten – wie in der übrigen Bevölkerung auch – | |
| ein breites Spektrum von denjenigen, die reinste Idealisten sind, bis hin | |
| zu denjenigen, die überwiegend finanziell motiviert sind. Und einen Verlust | |
| von Idealen im Laufe des Lebens – das hat es auch in früheren Jahrzehnten | |
| und bei anderen Berufsgruppen gegeben. Richtig ist aber auch: Chefärzte | |
| werden heute vermehrt aufgrund ihrer Eignung eingestellt, möglichst | |
| schwarze Zahlen zu schreiben. Wer in dem System Karriere machen will, weiß | |
| das – und passt sich möglicherweise entsprechend an. | |
| Indem er sich empfänglich zeigt für Zuwendungen der Industrie, Rabatte, | |
| Drittmittel oder bezahlte Studien? | |
| Überall, wo es finanzielle Anreize gibt, gibt es Bestechungsversuche. Das | |
| Gesundheitswesen macht da keine Ausnahme. Sicher gibt es den Versuch der | |
| Einflussnahme durch die Industrie. Aber was die Studien angeht: Das Problem | |
| ist doch nicht, dass die Industrie sie bezahlt. Solange sie qualitativ gut | |
| geführt und auch solche Ergebnisse objektiv publiziert werden, die | |
| möglicherweise nicht im Interesse der Industrie sind, ist die Finanzierung | |
| in Ordnung. Für problematischer halte ich, dass viele nötige Studien gar | |
| nicht erst finanziert und durchgeführt werden, weil es kein | |
| Industrieinteresse gibt. Dies gilt in besonderem Maße bei Fragestellungen, | |
| für wen eine bestimmte Operation überhaupt sinnvoll ist. Und so werden | |
| diese qualitativ unerforschten Eingriffe weiter angeboten, ohne ihren | |
| Nutzen zu kennen, einfach nur, weil damit Geld zu verdienen ist. | |
| Wie können sich Patienten schützen? | |
| So, wie das System im Augenblick gestrickt ist, sollten sich Patienten, | |
| gerade wenn es um planbare Eingriffe geht, grundsätzlich eine zweite und | |
| dritte Meinung von Unbeteiligten einholen: Der Arzt ohne finanzielles | |
| Eigeninteresse wird vielleicht doch andere Ratschläge geben. | |
| 16 Feb 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Heike Haarhoff | |
| Heike Haarhoff | |
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