# taz.de -- Streit unter Medizinern: Der Kampf ums Herz | |
> Die Zahl herzkranker Menschen wächst. Ein lukrativer Markt. Ärzte ringen | |
> darum, wer die Patientinnen behandeln darf. Nicht immer zu deren Wohl. | |
Bild: Herz-Operation in einer deutschen Klinik: Die Zahl der Herzkrankheiten w�… | |
BERLIN taz | Die Rivalität zwischen Kardiologen und Herzchirurgen um die | |
Behandlung herzkranker Patienten in Deutschland erreicht nun auch die | |
Öffentlichkeit. Führende Mediziner der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, | |
Herz- und Gefäßchirurgie sowie der Deutschen Herzstiftung werfen ihren | |
Kardiologenkollegen aus der inneren Medizin vor, immer öfter auch solche | |
Patienten mit innovativen, aber riskanten Methoden zu behandeln, die laut | |
etablierter Standards besser von einem Chirurgen operiert werden müssten. | |
Sie handelten damit gegen die geltende Leitlinie der Fachgesellschaft der | |
Kardiologen. | |
Statt gemeinsam mit den Chirurgen über die bestmögliche Therapie für einen | |
Patienten zu beraten, würden die Kardiologen diese Entscheidung zunehmend | |
im Alleingang treffen: "Die Kardiologen agieren wie Gatekeeper. Sie sehen | |
die Patienten zuerst und können sie dann in eine bestimmte Richtung | |
lenken", sagte der Vorsitzende der Deutschen Herzstiftung, Thomas Meinertz, | |
der sonntaz. | |
Entzündet hat sich der aktuelle Streit an dem hoch umstrittenen | |
Mitralklappen-Clipping, einer bislang wenig erforschten Methode aus den USA | |
zur Behandlung undichter Herzklappen. Dabei wird ein MitraClip, eine etwa | |
ein Zentimeter lange Klemme aus Stahl, über die Leistenschlagader mit einem | |
Katheter bis zu einer der Herzklappen, der Mitralklappe, geführt. Dort | |
heftet sie die beiden Segel dieser undichten Mitralklappe mittig zusammen. | |
## Herzoperation für 12.000 Euro | |
Die Mitralklappeninsuffizienz ist der zweithäufigste Herzklappenfehler bei | |
Erwachsenen in Westeuropa und den USA. Es geht also auch um Gelder, die | |
einmal dafür fließen könnten. | |
Anbieten dürfen die Methode mit dem MitraClip inzwischen auch Kardiologen | |
in deutschen Kliniken. Von den gesetzlichen Krankenkassen werden die | |
Materialkosten für den Clip bereits erstattet. Diese Kosten liegen mit etwa | |
20.000 Euro deutlich höher als die für die Standardtherapie: Die | |
Herzoperation wird mit insgesamt 12.000 bis 15.000 Euro vergütet. | |
Die Chirurgen befürchten nun, dass der Clip-Eingriff in diesem Frühjahr | |
aufgrund seines inzwischen häufigen Einsatzes sogar eine eigene, | |
kostendeckende Fallpauschale zugewiesen bekommen könnte. Das Problem: Der | |
Clip behebt das Problem mit der Herzklappe nur punktuell. Es bleiben | |
undichte Stellen. | |
## Typischerweise hohes Sterberisiko | |
Anders bei der Operation der Herzchirurgen, die seit mehr als 30 Jahren bei | |
weltweit einer Million Patienten angewendet wurde und laut aktuellem | |
Deutschen Herzbericht in 65,1 Prozent der Fälle dazu führt, dass die | |
Patienten mit gesundem Herzen entlassen werden können. "Um es klar zu | |
sagen: Die Operation ist in der Regel kurativ, also heilend, und der Clip | |
ist meist nur palliativ, lindernd", sagt Friedrich Mohr, Präsident der | |
Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, der sonntaz. | |
Nach Angaben des US-Medizin-Konzerns Abbott, der den MitraClip herstellt, | |
wurde der Clip speziell für Patienten entwickelt, die, so die Firma in | |
einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der sonntaz, "in der Regel sehr | |
krank und betagt" seien: "Die Patienten haben typischerweise ein hohes | |
Sterberisiko bei einer herkömmlichen Operation." | |
Tatsächlich aber, kritisiert die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- | |
und Gefäßchirurgie, werde der Clip zunehmend auch jüngeren Patienten ohne | |
nennenswerte Begleiterkrankungen oder erhöhtes Operationsrisiko eingesetzt. | |
Patienten also, die eindeutig von den Herzchirurgen zu behandeln seien, | |
zumal sie von der Operation viel stärker profitierten: Denn der Clip | |
erreicht weder die Effizienz der herzchirurgischen Operation, noch vermag | |
er die Patienten zu heilen. | |
## Kardiologen weisen Vorwürfe zurück | |
Im Gegenteil: Studien aus den USA zeigen, dass etwa jeder fünfte mit einem | |
Clip behandelte Patient aufgrund teils schwerwiegender Komplikationen | |
binnen eines Jahres nachoperiert werden musste. "Uns liegen keine Zahlen | |
vor, wie viele derartige MitraClip-Operationen im Bundesgebiet durchgeführt | |
werden", kritisierte Mohr. "Wir können leider auch nicht sicherstellen, | |
dass diese Prozeduren jeweils im Einvernehmen mit einem Herzchirurgen | |
geplant wurden." | |
Die Folgen für die Patienten sind teils gravierend: Nach Recherchen der | |
sonntaz haben mehrere Patienten nach dem Clipping, unter anderem durch | |
Kardiologen am Deutschen Herzzentrum München, keineswegs Linderung oder | |
Heilung erfahren. Im Gegenteil: Einige mussten auf konventionelle Art | |
nachoperiert werden. Die Mitralklappe stellte sich bei manchen als nicht | |
rettbar heraus. Das Gewebe war beispielsweise mit dem Clip verwachsen und | |
musste entfernt werden. | |
Zwei der damals am Deutschen Herzzentrum München behandelnden Kardiologen | |
wiesen die Kritik gegenüber der sonntaz zurück. Es sei "ausdrücklicher | |
Wunsch" der Patienten gewesen, nicht mit der Standardtherapie, sondern mit | |
dem Clip behandelt zu werden. Insgesamt seien zwischen Ende 2009 und Sommer | |
2012 am Deutschen Herzzentrum München mehr als 150 Patienten mit einem | |
Mitralklappen-Clip versorgt worden. Weniger als 20 Prozent von ihnen hätten | |
nachoperiert werden müssen, und von denen wiederum habe bei jedem zweiten | |
die Mitralklappe erhalten werden können. Zum damaligen Zeitpunkt sei | |
überdies wissenschaftlich noch gar nicht nachgewiesen, dass der Clip der | |
Operation in puncto Effizienz unterlegen sei. | |
Einer der Patienten der Münchner Kardiologen war Robert Michalek. Er hat | |
nach der Behandlung nicht nur eine Herzklappe verloren. | |
Wie es dazu kam und was der Fall des bayerischen Patienten über das | |
deutsche Gesundheitssystem erzählt, lesen Sie in der [1][sonntaz vom | |
16./17. Februar 2013]. Am Kiosk, [2][eKiosk] oder gleich im | |
[3][Wochenendabo.] | |
16 Feb 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://bit.ly/gcsTy1 | |
[2] http://bit.ly/ILRE6W | |
[3] http://bit.ly/LYGGQ8 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
Heike Haarhoff | |
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